Di, 25. Sep 2018
Fließen, anstatt zu gehen

Fließen, anstatt zu gehen

Schmieds Puls im Interview

„Manic Acid Love“ – mit dieser thematischen Dreifaltigkeit bearbeiten Schmieds Puls auf Album Nummer Drei den immer wiederkehrenden Kreislauf menschlicher Gefühle: von bedingungsloser Hingabe (Manic), deren Schattenseite eine tiefe Verletzlichkeit spürbar macht (Acid), die wiederum nur durch die menschliche Gabe zur Versöhnung überwunden werden kann (Love). Ein emotionales wie musikalisches Spektakel. Grund genug, mit Mira Lu Kovacs über therapeutische Vulkanausbrüche, Selbstliebe, Transformation und Sexismus nachzudenken.

„Manic Acid Love“ – was bedeuten die Worte einzeln und in Kombination für dich?

Als ich letztes Jahr wieder alleine durch Nordamerika gereist bin, ist mir diese Kombination gekommen. Zu reisen energetisiert mich wahnsinnig und ich bin in eine Art „manische Phase“ geraten. Ich wollte es nicht drauf anlegen, aber ich war so in Stimmung zu schreiben. Ich habe wie wahnsinnig alles notiert, was in mir vorging. Ich bin Monate lang nicht von diesem Trip runter gekommen – bis der Körper dann halt entscheidet, dass es ihm zu viel ist und Ruhe braucht. Diese Wendung habe ich dann mit dem Wort „Acid“ betitelt. Da sich diese wie Säure angefühlt hat, die diese positive Energie zerstören wollte – unverzeihlich, wütend, vernichtend. „Love“ ist die große Unbekannte in dem Ganzen. Ich glaube, da bin ich noch nicht. Damit ist aber nicht die zwischenmenschliche oder partnerschaftliche Liebe gemeint, sondern die Selbstliebe und die innere Ruhe, die hoffentlich irgendwann kommt. Denn am liebsten würde ich gerne nichts wollen. „Manic Acid Love“ kann also als Reise zu diesem Frieden verstanden werden. „Love“ sollte eigentlich in Klammer stehen, denn davon verstehe ich noch recht wenig. Oder ich möchte zumindest noch viel mehr davon verstehen, was es heißt „in sich zu ruhen“ – zu fließen, anstatt zu gehen.

Welchen Song des Albums würdest du jeweils „Manic“, „Acid“ und „Love“ zuordnen?

Manic: „Superior“ und „The Plan“
Acid: „Acid“
Love: „The Urge Of Night“ und „The Walk“

Das Album war ein Verarbeitungsprozess, ein therapeutischer Vulkanausbruch. Was gab es alles zu verarbeiten?

Das sprengt etwas den Rahmen … viele Begegnungen mit Menschen, die auf irgendetwas schließen, was nichts mit mir zu tun hat. Ich wollte mich immer offen halten, verletzlich bleiben, denn das hieß echt sein und nicht abzustumpfen – aber das geht einfach nicht lange gut. Ich musste ein paar Türen zu machen und ein paar Leute in ihre Schranken weisen, denn sie hatten meine persönlichen Grenzen verletzt. Und bis ich mir überhaupt erlaubt habe, diese Grenzen zu ziehen, hat es etwas gedauert. Ich bin mittlerweile viel direkter und vielleicht auch härter geworden. Ich beschütze aber nur, was ich wirklich nicht verlieren will – meine Integrität und meine Wahrheit.

(c) Ina Aydogan

Abgesehen von der Verarbeitung in der Musik – wie gehst du privat mit emotionalem Schmerz, Wut, etc. um? Was hilft dir, damit es dir wieder gut geht?

Ich muss es schon irgendwie rauslassen. Ich mache Kraftsport, das hilft. (lacht) Ich muss aber einfach ganz viel reden – über alles und oft, so lange bis es ganz weg ist.

In welchen Momenten bist du „manic“?

Kurz nach Album Releases. Da krieg ich meistens Lust auf Neues.

Stichwort „Love“ … es geht weniger um Liebesbeziehungen (abgesehen von „Don’t Love Me Like That“), sondern mehr um die Beziehung zu sich selbst. Wie steht es um deine Beziehung zu Mira? Und wie pflegst du sie?

Well … wenn nichts mehr geht, dann hilft nur atmen. Ich kämpfe oft mit Fehlern, die ich mir nicht verzeihe. Ich muss mich konkret darum kümmern, dass ich sie mir verzeihe und dass ich eine neue Perspektive gewinne. Ich bin gerne mit mir zu zweit und mache Ordnung in meinem Kopf.

Andererseits lotest du darauf auch Gegensätze aus … welche deiner Eigenschaften würdest du als die gegensätzlichsten bezeichnen?

Ich rede gerne viel mit Menschen und trete gerne in Kontakt, brauche aber drei Mal so viel Ruhe und Raum allein. Denn jeder Kontakt kostet mich so viel Energie, weil ich wirklich verstehen will.

(c) Ina Aydogan

Das Album ist kantiger und direkter. War es dir diesmal wichtig, dezidiert verstanden zu werden? Und was muss ein für alle Mal verstanden werden?

Ja. Es muss verstanden werden, dass nichts selbstverständlich ist – nicht die eigene Lebensrealität und auch nicht die gewohnten Privilegien. Question, question, question! Du kannst von dir nicht auf andere schließen. Niemals.

Welche Annahmen, Vorurteile, etc. über Schmieds Puls lassen dich (vor Wut) explodieren?

(lacht) Das ich zart und fragil bin …

In „The Urge of Night“ singst du „I set a date for my transformation“. Von welcher Transformation sprichst du und bis wann wird/soll diese abgeschlossen sein?

Die Transformation zu diesem Zen-Ich – zu der Person, die dem Außen keine Beachtung mehr schenkt. Ich rechne mit dem Abschluss der Transformation in etwa 37 Jahren.

Stichwort „Superior (Fuck You)“ … hat die österreichische Musikbranche noch immer ein Sexismusproblem?

JA. Wir haben uralte Netzwerke und da finden sich die 90% Dudes, die immer noch fast alles lenken. Mir geht die schon stetige aber lahme Umstrukturierung viel zu langsam. In den Amadeus Music Awards zeigt es sich nicht, aber die interessantesten Acts in Österreich sind zurzeit entweder weiblich oder weiblich gefrontet – sei es im Mainstream oder im Indie. Ich wiederhole mich zu Tode, wenn diese Frage in Interviews kommt. Fragt mal bitte meine männlichen Kollegen, ob die sich herausgefordert fühlen oder denken, dass wir ein Seximusproblem haben. Es ist auch ihre Branche, es ist auch ihr Sexismusproblem!

Und wer sind die „Fearleaders“?

Die Vienna Fearleaders sind die Cheerleader des (all female) Vienna Roller Derby Teams und so wie sie sich in dieser Kombination präsentieren, macht das für mich den Eindruck als würde sich jedes Fearleader tatsächlich mit seiner Männlichkeit auseinandersetzen. Tatsächlich. Denn es braucht eine Revolution der Männlichkeit. Sexualität und Identität ist ein Spektrum und das betrifft sicher nicht nur feminine Persönlichkeiten. What is masculinity? Die Fearleader sind ein ganz besonderer Verein, der noch mehr gefeiert werden sollte, genauso wie das sehr erfolgreiche Roller Derby Team! Die haben dieses Jahr nämlich sogar einen Titel geholt, soweit ich weiß.

Coole Truppe! Wir sehen uns am 25. Oktober im Wiener WUK.