Mi, 3. Mrz 2010

Unheilig im Interview - Der Graf und sein König

Unheilig zählt zu den großen Gewinnerbands im Jahr 2010: Das aktuelle Album „Große Freiheit“ hält sich hartnäckig auf den Topplätzen deutschsprachiger Charts, die Tournee durch Europa ist schon jetzt so gut wie ausverkauft und der Graf, so das Pseudonym des Masterminds von Unheilig, absolviert einen Fernsehgastauftritt nach dem anderen. VOLUME im Gespräch mit dem haarlosen aber stimmmächtigen Komponisten über Deutschunterricht, Fankontaktpflege und Kirchensteuer.

WIN!
  • 2 mal 1 signiertes Album „ Grosse Freiheit
Interview:

 

Eine Frage zum besseren Verständnis: Wenn du der Graf bist – wer ist dann der König?

Wer der König ist? Keinen Plan! Das Pseudonym „Der Graf“ hat nichts mit Adel oder Monarchie zu tun – es dient mir lediglich dazu, mein Privatleben vor der Popöffentlichkeit fernzuhalten. Mein persönlicher König, so kann ich die Frage beantworten, ist mein Großvater. Über unsere Geschichte habe ich vor geraumer Zeit ein Lied geschrieben, das ihm gewidmet ist. Passender Titel: „Mein König“.

 

Deine Texte und deren Metaphorik begeistern ein stetig größer werdendes Publikum. Warst du ein guter Deutschschüler?

Ganz im Gegenteil. Ich habe Deutsch in der Schule gehasst! Weder bin ich großartig sprachbegabt, noch sonderlich belesen. Um ehrlich zu sein, habe ich in meinem Leben bis dato zwei Bücher gelesen. Das eine war das Telefonbuch, das andere eins für Kinder. Statt im Lesen liegt meine Stärke viel eher im Denken und in der Wahrnehmung meiner Umwelt. Die Texte und meine Lyrik, so abgelutscht das jetzt klingen mag, sind ganz einfach in mir drin, entwickeln sich mit meinen Gedanken, die ich dann nach und nach herausbefördern kann. Woher diese Fähigkeit kommt, weiß ich nicht – aber keinesfalls von einer Begabung im Schulfach Deutsch.

Bei Unheilig, vor allem in deinem Gesang, schwingt etwas aus vergangen Tagen mit.  Wenn du die Wahl hättest, in welches Jahrhundert bzw. Stilepoche würdest du gerne wiedergeboren werden?

Das Hier und Jetzt ist vollkommen okay, ich genieße das 21. Jahrhundert. Klar, ein wenig Nostalgie gehört auch in meinem Leben mit dazu. Mich faszinieren zum Beispiel die 20er Jahre und die Technik aus dieser Zeit. Trotzdem bevorzuge ich die Vorzüge unserer Gegenwart und möchte auf so etwas wie einen Computer zum Komponieren nicht mehr verzichten.

 

Laut deinem Label bist du „eine Offenbarung im deutschsprachigem Electro-Rock“.  Wie bringst du diese Verbindung zusammen – ist der Graf etwa ein Musikalchimist?

Musikalchimist? Den muss ich mir merken! Nein, wieder eine simple Antwort: Ich versuche im Wesentlichen einfach nur den Sound aus meinem Kopf herauszulassen, der in dieser Form nur von mir stammen kann. Beim Schreiben von Songs habe ich mir angewöhnt, Soundlogos vorzuproduzieren. Das können Loops oder Geräusche sein, die dann in anderen Liedern wieder zu hören sind. Damit versuche ich dem Sound von Unheilig unverwechselbare Noten zu geben – ob diese jetzt aus den Stilrichtungen Electro-Rock oder sonst woher stammen, spielt für mich keine Rolle.

Die erste Single „Geboren um zu Leben“ aus deinem neuen Album „Große Freiheit“  ist direkt auf Platz 3 der deutschen Charts eingestiegen, eine Woche später hat dein „Unheiliger Fanclub“ seine Auflösung bekannt gegeben. Ist das wie lachen und weinen gleichzeitig?

Klar finde ich es schade, aber letztendlich müssen das die Leute für sich selbst entscheiden. Einige Fans der ersten Stunde haben vielleicht die Befürchtung oder das Problem, dass mit den Erfolgen jetzt wesentlich mehr Leute auf Unheilig aufmerksam werden. Mit dem Wachsen der Fangemeinde geht dann natürlich auch immer eine gewisse persönliche Nähe zum Publikum verloren. Früher waren 200 Besucher auf den Konzerten, jetzt sind es zum Teil 2000. Das waren halt damals noch sehr intime Vorstellungen, bei denen man noch fast jeden Zuschauer, im übertragenen Sinn, in den Arm nehmen konnte. Heute gestaltet sich das wie gesagt etwas schwieriger und zeitaufwendiger, wobei ich mir nach wie vor noch sehr viel Zeit für meine Fans nehme und beispielsweise bis zu fünf Stunden lange Autogramm-Sessions gebe.

 

Kannst du dich an eine Situation erinnern, bei der dir Kontaktpflege mit deinen Fans zu viel geworden ist?

Ach kein Stress, ich sage schon, wenn es mir zu viel wird. Klar kommt es vor, dass manche Fans nach dem 20. Autogramm ein 21. haben wollen und ich sie freundlich darauf hinweisen muss, dass noch andere Menschen in der Reihe stehen. Aber das ist vollkommen okay, gerade aus dem Grund, weil sie in dieser Situation euphorisiert sind und sich auf eine Begegnung mit Unheilig freuen. Wo ich aber keinen Spaß verstehe ist, wenn jemand in mein Privatleben eindringen will. Aber meine Haltung diesbezüglich akzeptieren die Fans. Fragt sich nur, ob das bei anhaltendem Erfolg so bleibt. Auch wenn in der Presse immer wieder neue Namen kursieren, wie ich mit bürgerlichem heißen soll, werde ich diese trotzdem nicht kommentieren und in der Öffentlichkeit nach wie vor euer Graf bleiben – zum Schutz meiner Privatsphäre und meiner Familie.

Graf, dein neues Album heißt „Große Freiheit“ – was bedeutet Freiheit für dich?

Freiheit ist für mich zu tun und zu lassen, was man will und einen glücklich macht, ohne anderen damit zu schaden.

Da gibt es nichts mehr dazuzufügen! Du bist im Mai wieder in Österreich, Konzertstopp im Gasometer – ist deine Aussprache für den Wiener Schmäh nicht etwas zu hart?

Ach, das empfinde ich ehrlich gesagt nicht so und hoffe, dass sich die Wienerinnen und Wiener, die mich noch nicht kennen, davon selbst ein Urteil bei meinem Konzert bilden. Österreich ist mein Lieblingsurlaubland, und gespielt habe ich hier auch schon mal – sehr fein und keine Verständigungsproblem bis jetzt. Außerdem habe ich mich sehr darüber gefreut, dass die Single „Geboren um zu Leben“ bei euch gleich auf Platz 13 eingestiegen ist.

 

Gratulation, aber auch du kommst um diese VOLUME Frage nicht herum: Hast du einen Fetisch bzw. ein Bühnenritual?

Kurz vor dem Konzert und direkt nach dem Abklatschen mit der Band, stehen alle Musiker auf der Bühne und ich bin der einzige noch im Hintergrund. Dann bete ich. Aber nicht im klassischen Sinne mit gefalteten Händen und auf den Knien. Vielmehr bitte ich den lieben Gott darum, dass er mir die Kraft gibt, die ich brauche, um eine erfüllende Show abliefern zu können.

Abschließend eine letzte Frage, nicht das VOLUME zu weit in die Privatsphäre vordringt – deine Einstellung gegenüber der christlichen Kirche ist nicht die Beste, begründet sogar deinen Bandnamen Unheilig. Hast du dieses Jahr schon Kirchensteuern gezahlt?

Natürlich! Auch wenn man das aufgrund meiner Bandgeschichte nicht unbedingt von mir erwartet, aber ich bin nicht aus der Kirche ausgetreten. Manche kirchliche Institutionen wie beispielsweise Kindergärten haben zweifelsohne ihren Sinn. Darum bin ich gerne bereit, meinen Beitrag dazu zu leisten.

 

Amen, danke für die ehrliche Antwort und bis bald im Gasometer!