Do, 24. Mrz 2016

Touren ist wie Piraterie

Frank Turner im Interview

10 Songs, 10 Fragen. Inspiriert von seinem letzten Release ‚Ten for Ten‘ hat sich VOLUME Frank Turner geschnappt, um ihm 10 Fragen zu seinen 10 meistgehörten Songs auf Spotify zu stellen. Wie sich der Wessex Boy über die Jahre auf Tour verändert hat, was zu Hause für ihn bedeutet und wieso der Tourbus nicht nur sein Lieblingsversteck, sondern auch ein Piratenschiff ist, hat uns der charmante Brite in Wien verraten.

Recovery – Was ist die beste Medizin gegen Liebenskummer?

Vermutlich Zeit. Ich weiß nicht. Ich denke, ich bin die falsche Person, um diese Frage zu beantworten, denn ich habe ein ganzes Album darüber geschrieben, keine Antwort auf diese Frage zu haben. Aber Zeit heilt Wunden – das sagt man doch so. Da ist bestimmt auch etwas Wahres dran. Jemand hat mir mal erklärt, dass es ungefähr die Hälfte der Zeit dauert, die man mit einer Person zusammen war, um darüber hinwegzukommen. Ich weiß nicht, ob das stimmt – ich habe das noch nie ausgerechnet.

The Way I Tend To Be – Wie haben dich die Jahre auf Tour verändert?

Das ist eine schwierige Frage. Ich möchte auf keinen Fall wie ein Angeber klingen, aber ich hab das Gefühl, dass touren für viele Bands wie eine Art Urlaub von ihrem normalen Leben ist, in das sie danach aber wieder zurückkehren. Ich habe meine erste Tour mit 16 Jahren gespielt – das ist schon eine Weile her. Seit 13 oder 14 Jahren bin ich nun ‚Vollzeit‘ auf Tour und habe kein ’normales Leben‘, zu dem ich zurückkomme. Touren ist mein Leben. Es ist mein Leben seit meinen Jugendjahren, deswegen würde ich nicht sagen, dass es mich verändert hat, sondern dass es mich geformt hat. Es gab kein anderes ‚Ich‘ vor dem Touren. Ok, eigentlich schon, aber damals war ich so jung, ich wäre nicht diese Person von damals geblieben – egal was ich gemacht hätte. Touren gehört zu meinem Charakter. Ich liebe es … noch immer!

Wessex Boy – Was bedeutet ‚zu Hause‘ für dich?

Meine Definition von Zuhause hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Ich bin in Winchester aufgewachsen und fühle mich mit dem Ort bis heute sehr verbunden, aber ich hatte neun Jahre lang keine eigene Wohnung. Jetzt habe ich endlich wieder eine – die ist aber in London, nicht in Winchester. Die Familie meines Vaters ist aus London und ich habe auch in North East London angefangen, Musik zu machen. Deshalb ist London und vor allem der Stadtteil Holloway derzeit für mich mehr mein Zuhause. Ich habe viel Zeit damit verbracht, über Winchester zu reden – vielleicht war das idiotisch, denn wenn du mich heute nach meinem Zuhause fragst, dann ist das definitiv Holloway.

Also eher Holloway Boy als Wessex Boy

Ja, genau! Ich hab auch ‚N7‘ auf mein Handgelenk tätowiert – das ist die Postleitzahl von Holloway, meinem Zuhause.

I Still Believe – Was ist das Beste an der Musik?

Vielleicht haltet ihr mich jetzt für langweilig, aber ich spiele Musik, ich höre Musik, ich denke über Musik nach, ich lese Bücher über Musik, Musik ist mein Hobby und ich verdiene gleichzeitig mein Geld damit. Ich denke kaum an etwas anderes. Mein ganzes Leben dreht sich um Musik – vielleicht ist das Beste daran.

If Ever I Stray – Was bereust du am meisten?

Wenn Leute sagen, sie bereuen nichts, dann denke ich immer: ‚Verdammt, du denkst nicht hart genug über dein Leben nach!‘ Ich bereue viele Dinge … beispielsweise das Ende so mancher Beziehung, das vermutlich meine Schuld war, oder dass ich manchmal nicht genau darüber nachgedacht zu haben, wie ich mit einem bestimmten Menschen umgehe. Das sind Dinge, die ich bereue, aber nicht mehr ändern kann.

Peggy Sang The Blues – Was lässt dich den Blues singen?

Weißt du, Peggy war meine Oma. Sie war wirklich einzigartig – eine verrückte, alte Lady! Sie lebte alleine in diesem großen Haus in Holloway und konnte fließend Deutsch. Ich erinnere mich an einen Tag – ich war ungefähr 8 Jahre alt – da hat sie auf der Straße vor ihrem Haus österreichische Rucksacktouristen getroffen und sie auf Deutsch gefragt, ob sie Karten spielen können. Sie bejahten und meine Oma hat geantwortet: ‚Ihr könnt gratis bei mir wohnen, wenn ihr mit mir Poker spielt!‘ – und das haben sie dann auch gemacht. Sie war wundervoll! Sie kam aus einem reichen Elternhaus, hat sich aber einen Dreck um ihren sozialen Status geschert. Sie war so cool! Sie hat mir meinen ersten Whisky serviert – ich war 11 Jahre alt und hatte sie im Poker geschlagen. Nach dem Whisky hat sie natürlich gewonnen. Von ihr hatte ich auch meine erste Zigarette, denn Gentlemen rauchen bekanntlich. Meine Mutter hatte keine Freude. Peggy ist gestorben als ich 14 Jahre alt war. Es ist unglaublich traurig, dass ich sie nicht besser kennen lernen konnte. Das Lied ist für sie. Die Tatsache, dass ich nur so wenig Zeit mit ihr hatte, lässt mich den Blues singen.

Get Better – Welche schlechten Angewohnheiten hast du überwunden?

Nun ja, ich hatte meine Probleme mit Drogen – darüber rede ich nicht so gerne, aber im Moment ist in dieser Hinsicht alles gut. Je älter ich werde, desto mehr wird mir bewusst, dass das Einzige was wirklich zählt, die Art und Weise ist, wie man mit seinen Mitmenschen umgeht. Ich denke oft über Situationen nach, in denen ich rücksichtslos mit meinen Liebsten umgegangen bin. Das war und ist eine meiner schlechten Angewohnheiten. Ich gebe mir wirklich Mühe, mich in dieser Hinsicht zu bessern.

I Am Disappeared – Möchtest du manchmal verschwinden? Und wo befindet sich dein Lieblingsversteck?

Natürlich, sehr oft sogar! Mein Versteck in solchen Moment ist der Tourbus.

Verstehe. Zweite und besonders wichtige Frage: Du singst des Öfteren von einer gewissen Amy – wer ist sie? Unsere Redakteurin heißt nämlich ebenfalls Amy…

Oh Scheiße, das tut mir leid! Amy ist nicht der echte Name dieser Person. Sie ist nicht mehr in meinem Leben und das ist gut so, denn unsere Beziehung war nicht gesund. Ich wünsche ihr dennoch nur das Beste! Und bitte entschuldige, Amy!

The Next Storm – Was hilft dir nach einem Sturm wieder auf die Beine zu kommen?

Die Musik … was für eine langweilige Antwort. Dennoch bin ich sehr wählerisch, was Musik zu verschiedenen Stimmungen und Tageszeiten betrifft. Ich höre immer ‚Everything Sucks‘ von Descendents, wenn ich wütend bin – eine meiner Lieblingsplatte. Ich kann sie in- und auswendig. In letzter Zeit gefällt mir auch Nina Simone sehr gut. Sie ist großartig!

Plain Sailing Weather – In Anlehnung an deinen Namensvetter Will Turner … wärst du in Fluch der Karibik ein Pirat oder lieber ein Commander der britischen Flotte? 

Ein Pirat – keine Frage! Ich weiß, ich habe die Segel-Metapher fast schon zu oft in meinen Songs verwendet. Vielleicht weil ich Engländer bin und wir eine Seefahrernation sind – vor allem Hampshire, wo ich aufgewachsen bin. Anderseits ist touren ein bisschen wie Piraterie. Dein Tourbus ist dein Schiff, du fährst von Hafen zu Hafen, ’stiehlst‘ dort Geld und Alkohol, um dich dann einfach zum nächsten Hafen aufzumachen. Du bist ein Außenseiter der Gesellschaften, die du besuchst. Ich habe mich in sozialen Konventionen sowieso nie wirklich wohl gefühlt, deshalb passt das Tourleben vermutlich auch so gut zu mir.

Wir bedanken uns & Leinen los!