Fr, 8. Mai 2015

Sinn des Lebens

Hot Chip im Interview

Es ist 2015 und Hot Chip präsentieren am 15. Mai ihr mittlerweile fünftes Studioalbum. Eine erste Single hat es mit „Huarache Lights“ bereits gegeben – benannt nach einem ganz gewissen Lebensgefühl, das in die Metapher eines Nike Sneakers gepackt wurde. Aber nach 15 Jahren im Musikgeschäft, braucht da noch jemand das Musikerkollektiv aus London? VOLUME traf Alexis Taylor in Berlin und fand heraus, dass ihm das mit der Relevanz eigentlich nicht wichtig ist. Er sucht längst nach anderen Antworten.

Beim Hören eures neuen Albums scheint es zunächst so, dass ihr besorgt um eure Relevanz als Band seid. Ist euch das so wichtig?

Ehrlicherweise denke ich darüber nicht oft nach. Ich habe wohl den Fehler gemacht, diese eine Zeile in Huarache Lights („Replace us with the things / that do the job better“, Anm. d. Red.) auch noch hervorzuheben. Inmitten all der Aufregung, ein neues Album zu machen, haben wir uns gefragt: „Warte mal kurz. Was, wenn es niemanden interessiert? Was, wenn etwas anderes, von jüngeren Leuten, einfach unten durchrutscht?“ Aber es wäre mir egal, weil ich Mainstream und das, was mehr Menschen erreicht, nicht mag. Es ist also kein großer Teil meiner Gedanken, nur eine Momentaufnahme.

Einem Algorithmus entsprechend, der von Wissenschaftlern in Oxford generiert wurde, liegt die Wahrscheinlichkeit, als Musiker von einem Roboter ersetzt zu werden bei 7,4%. Vielleicht beruhigt euch das ja?

Ehrlich? Ich fand die Zeile recht witzig, weil sie das Gegenteil dessen ist, was man in einem Song machen soll: Du sollst eine Idee repräsentieren, als Band voller Selbstvertrauen sein. Die Zeile war eines der Elemente von „Huarache Lights“ und daraus wurde eine Art Ausgangspunkt für das ganze Album. Aber es kümmert mich wenig, wo Hot Chip reinpasst. „Replace us with the things / that do the job better“ – wenn ihr etwas Besseres finden könnt. Wenn ihr etwas Besseres findet, nehmt es euch. Das zu sagen ist eigentlich selbstbewusst.

Passend dazu heißt das neue Album „Why Make Sense?“. Ist das ein Ausdruck von Zweifel oder von Trotz und Herausforderung?

‚Why Make Sense?‘ ist der Titeltrack des Albums. Er handelt von der Brutalität der Welt, in der wir leben und der Tatsache, dass sie nicht wirklich Sinn ergibt –  ja, inakzeptabel ist. Aber du kannst nur weiter funktionieren, wenn du das akzeptierst – es mag vielleicht eine jugendliche Idee sein, von Teenagern, die Sartre und Camus lesen. Nichtsdestotrotz liegt etwas Anziehendes darin zu sagen, dass das Leben absurd und unlogisch ist. Es ist eine Antwort auf das, was um dich herum passiert, was manchmal zu viel sein kann.

Es ist jetzt nicht so, dass ich an Depressionen leide, aber während man die Zeitungen heute liest, wird man manchmal davon überwältigt, dass wir uns die ganze Zeit nur gegenseitig zerstören. Ein paar Momente auf dem Album haben damit zu tun. Ich bringe kein großes politisches Statement mit, ich halte mich diesbezüglich nicht für sonderlich weltklug. Aber ich habe etwas gefühlt, das ich sagen wollte. Das, was ich vor diesem Album geschrieben habe, war anders. Ich konnte es erklären, es waren vorsätzlich-transparente Texte. Auf diesem Album habe ich mich davon etwas entfernt und versucht herauszufinden, was passiert, wenn man den Worten gestattet, ihre eigenen, nicht entzifferbaren Passagen zu haben.

Einer dieser Teile des Albums, auf die du anspielst, dürfte „Need You Now“ sein – ein Lied über die konstante Gefahr, die Terrorismus über uns bringt. Liegt in der Brutalität von Terror etwas Besonderes, das dich dazu bewogen hat, im Songwriting andere Wege zu gehen?

Ich nehme an, dass ich versucht habe darüber nachzudenken, dass es sich immer noch um eine echte Person handelt, die da stirbt. Es ist nicht nur eine Nachrichtenstory, es ist nicht nur ein Detail. Ich habe versucht, mit der extremen Einsamkeit dieser Position eine Verbindung aufzubauen. Aber genauso habe ich aufgegeben, war erschöpft von der Welt, in der wir leben, wenn das diese Welt ist. Das Lied ist sehr pessimistisch, was ich sonst die meiste Zeit nicht bin. Aber manchmal ist da einfach der Schock. Ich habe keine Antwort darauf.

Hattest du je das Gefühl, dass es zu viel würde oder du nicht mehr mit dem umgehen kannst, was da draußen passiert – vielleicht gar aufhören musstest, darüber nachzudenken?

Ja, ganz oft! Den Sender umschalten, die Zeitung weglegen. Man kann viel sagen, man sollte sich nicht verschließen, sollte versuchen, Antworten zu finden. Die Nachrichten, Zeitungen, das Fernsehen sind manchmal aber auch Informationspenetrationen. Ich habe das Gefühl, dass es nicht angemessen und gesund ist, alle diese Informationen auf diese Art und Weise zu erhalten. Ich weiß nicht, wo das hinführen soll – ehrlich! Es macht mich traurig das zu sagen, aber manchmal ist meine einzige Reaktion, mich abzuwenden. Und auf eine seltsame Art und Weise interessiert mich das als Antwort. Warum ist es so, dass manches von dir verlangt, dich abzuwenden und anderes, dich darauf einzulassen. Ein Freund von uns starb gerade vor einem Monat. Jemand, der mit Hot Chip an fast jedem Album gearbeitet hatte, und du weißt nicht, was deine eigene Antwort sein wird. Ich habe kein großes Argument anzubringen, aber mich interessiert, auf welche Arten und Weisen Gesellschaften auf derlei Dinge antworten. 

Denkst du denn, es könnte für dich als Künstler einfacher sein, damit umzugehen? Immerhin hast du die Freiheit, all solche Gedanken in Musik umwandeln und so auch einen Verarbeitungsprozess anzustoßen.

Ja, ich finde darin etwas Trost. Auf dem letzten Album handelt das Lied „Now There is Nothing“ von dem Tod des Bruders eines Bandkollegen und er sprach mit mir darüber, sagte, er sei sehr gerührt, dass ich dieses Lied geschrieben habe. Es schien, er hat aus dieser Erfahrung etwas mitgenommen, worüber er froh war und am Ende haben wir das Lied im letzten Jahr sehr oft zusammen gespielt. Ich will nicht die ganze Zeit über den Tod reden, aber Verlust ist etwas, worum es in vielen meiner Zeilen geht. Ich weiß nicht wirklich warum, ob es eine eigenartige Besessenheit ist, aber ich weiß, dass es da ist. Menschen finden unterschiedliche Antworten auf Verluste, manche sprechen gar nicht darüber. Ich bin das Gegenteil, ich muss förmlich darüber reden – entweder in Gesprächen oder in meiner Musik. Musik ist oft der Umgang mit etwas, das man nicht in Worte fassen konnte. Musik ist fast die größte Metapher, die es gibt. Auf eine Art ein Ersatz dafür, etwas tatsächlich zu sagen. Vielleicht liegt es daran, dass solche Dinge in der Musik hervortreten.

Vielleicht hat es auch mit solchen Gedanken zu tun, dass ihr dieses Album etwas zurückgenommener und reduzierter aufnehmen wolltet. Es muss schwer sein, mit sieben Soundspezialisten und der ganzen Ausstattung im Studio zu sitzen, um dann zu sagen: „Lasst uns die Musik mal ein wenig reduzieren.“?

Hot Chip hat sich das selbst nicht einfach gemacht, da wir mit der Zeit zu diesem größeren Projekt gewachsen sind, so viele Geräte auf der Bühne, so viele Leute, die gleichzeitig spielen. Nicht jeder Song braucht das auch. Es ist manchmal schwierig, das zurückzustellen. Es gibt auch großartige Musik, die sehr maximalistisch ist – wie Phil Spector oder The Beach Boys zum Beispiel. Ich bin zwischen diesen verschiedenen

Arten, Musik zu machen, immer hin- und hergerissen. Aber ich denke, Hot Chip sind besser darin, Tanzmusik zu machen. Um die Frage sehr ausholend zu beantworten: Ja, es ist sehr schwierig. Wie macht man es? Du versuchst einfach so viele Dinge stummzuschalten, wie nur möglich. Aber ich denke, wir haben das ganz gut hingekriegt. Alles ist vom Arrangement und der Produktion her geringfügig einfacher, weniger vollgestopft. Ich denke, das ist eine gute Sache.

Lag darin auch die Motivation, das Album live aufzunehmen, um es reduzieren zu können?

Ich glaube, nur kleine Teile des Albums wurden dann wirklich live aufgenommen, während alle gemeinsam gespielt haben. Wir arbeiten noch immer hauptsächlich mit den aufgenommenen Demos und fügen dann Ideen hinzu. Also ist das schon anders, als einfach nur Equipment aufzubauen, „Record“ zu drücken und live eine ganze Performance einzufangen. Manchmal verliert man so auch das, was die Platte am Ende interessant macht. Wenn man sich nur an Regeln hält, wie: Die Regel ist, wir müssen alle zusammen spielen. Deswegen klingt es nicht automatisch besser. Manchmal funktioniert es, wenn jemand etwas ganz alleine mit Kopfhörern macht und eine Idee hat, die er gerade niemandem erklären muss. Man wäre dort nie angekommen, wenn man nur live aufnehmen würde.

Eine letzte Frage: „Why Make Sense?“ hat ein außergewöhnliches Artwork, das über einen Algorithmus von einem Zufallsgenerator immer mit anderen Farben und anderen Grafikwinkeln gedruckt wird. In welchem Maße wart ihr in diese Idee verwickelt? Am Ende gibt es über 130.000 mögliche Varianten des Covers, das passt wohl ganz gut zum Titel „Why Make Sense?“.

Wir waren involviert, ja. Ich habe Nick Relph, den Künstler, gebeten, das Artwork zu machen. Wir hatten viele Diskussionen darüber, was wir machen könnten, wie wir das erreichen. Aber es war seine Idee und die hat uns gut gefallen. Wir hatten unabhängig davon schon vorher darüber nachgedacht, das Artwork so zu gestalten, aber uns fehlten Ideen zur physischen Umsetzung. Wir fanden Nicks Grafikidee großartig, ja, perfekt. Dann haben wir das Farbspektrum diskutiert, das auf Peanuts Vintage-Shirts und dem Farbschema der Huarache Light-Sneaker basiert. Die Farbschemata der originalen, ersten Version der Sneaker haben wir als Orientierungshilfe genutzt. Aber das haben wir niemandem erzählt, weil wir nicht wollten, dass sich alles um die Marke Nike dreht. (grinst) Ist aber immer noch ein nettes Detail…

Ach so ist das! Na dann ist es jetzt leider kein Geheimnis mehr – trotzdem alles Gute mit eurem neuen Album uns bis bald…