Mi, 29. Jan 2014

Schlaflos glücklich

Jennifer Rostock im Interview

Für Jennifer Rostock aus Berlin hat 2014 bestens begonnen: Ein explosiver Tourauftakt in Graz bzw. Wien, erfreuliche Chartplatzierungen mit dem neuen Album „Schlaflos“ und ehrliche Vorfreude auf ein langes Konzertjahr. Im Interview erzählen 3/5 der Bandmitglieder über weinende Fans, schöne Schlaflosigkeit, Gästelisten oder Geschichten aus dem Leben.

Immer diese lästigen Interviewtermine: Was haltet ihr von Musikjournalisten und der verkaufsfördernden Notwendigkeit, in Medien präsent zu sein?

Jennifer Weist: Wenn die Damen und Herren von der Presse gut vorbereitet sind, können Interviews durchaus spaßig werden. Dabei erwarten wir uns Fragen, die über das oberflächliche Standardgelaber hinausgehen. Wenn ein Gespräch mit ‚Woher kommt den eigentlich euer Bandname?‘ beginnt, dann ist das meistens schon der Anfang vom Ende.

Was war die verrückteste Interviewsituation in eurer bisherigen Bandkarriere?

Christoph Deckert: Bei einer Show im Rahmen der MTV Campus Invasion sind die verantwortlichen Redakteure auf eine super Idee gekommen: Bands interviewen Bands – was in unserem Fall überhaupt nicht funktioniert hat. Gesprächspartner waren die australischen Rocker von Airbourne, die wir damals überhaupt nicht kannten. Jennifer Rostock war ihnen umgekehrt auch kein Begriff. Dementsprechend sinnlos und unangenehm ist dieses Interview verlaufen. Nur Gestammel, keiner hatte sich etwas zu sagen.

Dafür können wir jetzt ausführlich über euer neues Album sprechen: Ihr habt ausgewählten Fans ‚Schlaflos‘ schon vorm offiziellen Veröffentlichungstermin präsentiert. Wie war das direkte Feedback?

Joe Walter: Das Album ist bereits seit einem halben Jahr fertig gewesen, darum konnten wir es nicht mehr erwarten, es endlich jemandem vorspielen. Diese inoffizielle Release Party war eine riesen Erleichterung.
Christoph Deckert: Das Schöne daran: Den Leuten hat’s auch noch gefallen!
Joe Walter: Manche Fans mussten sogar weinen vor Rührung.
Jennifer Weist: Wir sind alle vollkommen zufrieden mit dem Album, darum ist es umso erfreulicher, dass es in Summe gut ankommt.
Christoph Deckert: Dafür sprechen auch die tollen Chartplatzierungen – was wir aber nicht überbewerten wollen.

Euer Ziel war es, die Dynamik und das Feuer eurer Shows auf Platte zu bannen. Steckt dahinter dieses angebliche Dilemma, dass die meisten Bands heutzutage fast nur noch mit Konzerten wirklich Geld verdienen?

Joe Walter: Alben sind oftmals nur noch Mittel zum Zweck bzw. Rechtfertigung, um auf Tour zu gehen. Aber diese Entwicklung kommt uns sehr entgegen: Jennifer Rostock ist am liebsten unterwegs, wir stehen und spielen einfach wahnsinnig gerne auf der Konzertbühne.  ‚Schlaflos‘ soll die Lücke zwischen Studio und Show schließen, damit die Hörerschaft schon in etwa abschätzen kann, was sie live erwartet.
Christoph Deckert: Dahinter steckt kein wirtschaftliches Kalkül – sondern unsere Leidenschaft für rauschende Konzerte!

Passend zum Albumtitel: Was hilft bei akuter Schlaflosigkeit?

Joe Walter: Wenn wir das wüssten, würde unser Album nicht so heißen. (lacht)
Jennifer Weist: Schlaflosigkeit kann auch etwas Positives sein. Zum Beispiel im Zusammenhang mit Party feiern, durch die Nacht ziehen, sich in guten Gesprächen mit Freunden verlieren oder einfach nur bis zum Morgengrauen durchtanzen – da sind wir alle sehr gut darin.
Joe Walter: Der beste Tipp gegen Insomnia: Draufscheißen, keinen Kopf machen und nicht stressen lassen! Irgendwann klappt’s immer mit dem Schlaf…

Was passiert eigentlich, ‚Wenn der Wodka zweimal klingelt‘?

Joe Walter: Einfach wieder hinlegen und weiterschlafen.

Marteria rappt über unnötige Gästelistemenschen in seinem Song ‚Kidz‘ – genau wie Jennifer Rostock mit ‚K.B.A.G.‘. Was nervt euch besonders an diesen Leuten?

Christoph Deckert: Früher war eine Gästeliste für Freunde bzw. Verwandte gedacht, die von der Band dazu eingeladen werden, um sich das Konzert bzw. die Show gratis reinzuziehen. Mittlerweile ist das alles anders: Täglich stellen sich in Berlin beispielsweise hunderte wichtiger Menschen die entscheidende Lebensfrage, auf welcher Gästeliste sie heute stehen können.

Wie oft steht ihr auf der Gästeliste?

(Alle lachen peinlich berührt)
Jennifer Weist: Um ehrlich zu sein, weiß ich jetzt nicht genau, wann ich das letzte Mal Eintritt gezahlt habe.
Christoph Deckert: Da geht’s uns wohl allen sehr ähnlich!
Jennifer Weist: Aber wenn Freunde von uns live spielen oder auflegen, gibt es kein Verlangen nach Gästeliste – den Eintritt kann sich jeder von uns leisten.

Weil die letzten Fragen alle auf die Lyrics eurer neuen Songs ausgerichtet waren: Zu welchem Zeitpunkt entstehen die Liedertexte?

Jennifer Weist: Joe kommt immer mit ersten Ideen, die meisten Textentwürfe stammen aus seiner Feder. Wir zwei probieren den Rohbau dann am Klavier aus – ich muss mich bei der Melodieführung wohl fühlen und habe dabei natürlich absolutes Mitspracherecht. Bei ‚Ein Schmerz und eine Kehle‘ fand ich den Anfangsrhythmus zum Beispiel nicht optimal, deswegen haben wir ihn dann an meinen Gesang adaptiert.
Joe Walter: Der Songtext gibt den weiteren Klangausbau vor. Anders ergibt das Liederschreiben keinen Sinn für uns, da wir uns textlich nicht in ein starres Korsett zwängen wollen. Die Herangehensweise ist natürlich von Künstler zu Künstler unterschiedlich.

Welche Inspirationsquellen stecken in eurem neuen Album?

Joe Walter: Klingt abgedroschen, ist aber so: Das Leben schreibt die besten Geschichten. Darum verarbeiten wir in Liedern alltägliche Erlebnisse von uns und unserem Umfeld. Alle Songs sind also eine Momentaufnahme an Eindrücken und Gefühlen aus der Zeit, in der das Album entstanden ist.
Jennifer Weist: Berlin als pulsierende Metropole hat bei ‚Schlaflos‘ sicherlich auch mitgespielt.

Wo fühlt ihr euch so richtig zuhause?

Joe Walter: Berlin! Auch wenn Jennifer und ich gebürtig aus Usedom stammen.

Auf was freut ihr euch besonders, wenn ihr in Österreich live spielt?

Christoph Deckert: Auf entspannte Leute und ein wohlwollendes Publikum – darum haben wir in Graz bzw. in Wien unsere aktuelle Tour gestartet.
Jennifer Weist: Was sich im Nachhinein als perfekte Entscheidung herausgestellt hat.

Jennifer Rostock spielt im Sommer live beim Tomorrow Festival. Was werdet ihr nie an Österreich verstehen?

Joe Walter: Die Sprache!
Jennifer Weist: Ernsthaft? Da kannst du gerne Nachhilfe von mir haben.
Christoph Deckert: Was mir schon des Öfteren aufgefallen ist: Mich fasziniert diese unvergleichliche Mischung aus Gelassenheit und Ekstase – erst wird ganz gemütlich, fast schon gemächlich am Bier bzw. Spritzer genippt, um Sekunden später mit Beginn der Show vollkommen auszurasten. I like!

We too! Bis zur nächsten Ausrastung beim Tomorrow Festival!