Mo, 7. Jan 2019
Licht ins Dunkel

Licht ins Dunkel

Architects im Interview

Nach dem Tod von Tom Searle – Gründungsmitglied, Bandleader, Hauptsongschreiber, Gitarrist und Zwillingsbruder von Schlagzeuger Dan – im August 2016 standen Architects an einem Scheideweg ihrer Bandgeschichte: Entweder in Trauer und Selbstmitleid versinken, die Welt in all ihrer Ungerechtigkeit verdammen und aufgeben. Oder im Schmerz die Inspiration suchen und finden, den gesamten Bandapparat und dessen Sound dadurch neu justieren und für Tom den Traum weiterleben, in den sie seit 2004 ihr ganzes Herzblut gesteckt haben. Das britische Metalcore-Quintett entschied sich für Weg Nummer 2 und leistet auf „Holy Hell“ ganze Trauerarbeit – für sich selbst sowie für ihre Fans. Wie schwierig und wichtig dies für die Zukunft von Architects war, hätte uns niemand besser erklären können als Dan.

Unser herzlichstes Beileid! Welche Bedeutung hat der Titel „Holy Hell“ in Zusammenhang mit deinem Verlust?

Der Albumtitel ist wörtlich zu verstehen. Das ganze Album dreht sich um das Thema, dass die schlimmsten Situationen und Erfahrungen, die du dir nur vorstellen kannst, und all der Schmerz, der damit verbunden ist, auf lange Sicht nicht zwingend etwas Schlechtes sein müssen. Der Tod meines Bruders war das Schlimmste, was mir je passiert ist. Mir ist aber durch diesen Verlust vieles klarer geworden. Ich musste durch die Trauer, um auf der anderen Seite als besserer Mensch herauszukommen. Ich verstehe mich nun selbst besser, ich verstehe mein Leben besser. Es war eine Möglichkeit zu wachsen und alte Wunden zu heilen, mit denen ich mich früher nicht beschäftigt habe. Das ist auch die Quintessenz dieser Platte: Das Licht im Dunklen zu finden. Den Schmerz als Chance zu nutzen – auch, um die eigene Wahrnehmung von Leiden zu hinterfragen.

Das ist definitiv nicht leicht. Meistens versuchen wir ja eher, uns von unserem Schmerz abzulenken …

Ja, wir leben in einer Kultur, die alles dafür tun würde, sich nicht mit dem eigenen Schmerz auseinandersetzten zu müssen. Wenn wir körperliche Schmerzen haben, dann nehmen wir Tabletten. Wenn wir psychische Schmerzen haben, dann tun wir die verschiedensten Dinge: Wir nehmen vielleicht auch Tabletten. Wir trinken ein Bier. Wir rauchen Gras. Wir arbeiten zu viel. Wir schauen zu viel fern. Wir machen alles Mögliche, um nur ja nicht mit unserem Schmerz konfrontiert zu werden. Ich wollte dieses Album nutzen, um auf die Vorteile des Schmerzes aufmerksam zu machen und darüber zu sprechen, wie wichtig er manchmal ist, damit wir wachsen und uns weiterentwickeln können.

Wie wichtig war dieses Album auch für die gesamte Band, um mit dem Schmerz umzugehen?

Enorm wichtig! Tom war nicht nur mein Bruder, sondern auch Teil dieser Band. Wir haben gemeinsam Musik gemacht und Songs geschrieben. Der Verlust war eine kollektive Erfahrung. Diese Trauer auf dem Album auszudrücken, hat uns allen sehr geholfen. Für mich war es auch eine Möglichkeit, etwas für Tom zu tun – etwas, worauf er stolz wäre. Manchmal hat mir das genau diese Ablenkung verschafft, von der ich vorhin gesprochen habe. Einerseits konnte ich mich durch die Platte von meinen Gefühlen ablenken, anderseits hat sie mich gleichzeitig dazu gezwungen, mich ihnen zu stellen. Es ist schön, die eigene Trauer darauf so offen und ehrlich ausdrücken zu können, mit den Menschen zu teilen und sie im Idealfall dazu zu ermutigen, sich mit ihrem eigenen Schmerz anders auseinanderzusetzen. Ich bin sehr dankbar für dieses Album.

„Holy Hell“ ist eingängiger als sein Vorgänger …

Ja, denn die Platte vereint viele verschiedene Emotionen, die man mit Screaming allein nicht ausdrücken kann. Screaming ist super, um Wut zu verdeutlichen – ich wollte jedoch kein Album machen, das nur wütend ist. Trauer hat so viele verschiedene Facetten. Ich habe mich für mehr Gesangparts entschieden, weil ich mit vielen verschiedenen Gefühlen zu kämpfen hatte und diese ausdrücken wollte.

Die neue Eingängigkeit ist somit eine logische Konsequenz der sehr persönlichen Thematik?

Ja, um die verschiedenen Gefühle ausdrücken zu können, habe ich mich diesmal mehr mit den Melodien beschäftigt. Das habe ich in diesem Ausmaß noch nie gemacht. Ich wollte große, kraftvolle Nummern schreiben und habe so lange an einem Song gearbeitet, bis sich alles richtig angefühlt hat – jede Zeile, jedes Wort, jede Melodie. Ich musste mich diesbezüglich manchmal ein bisschen dazu zwingen, ehrlicher zu mir selbst zu sein und mir teilweise nach Monaten eingestehen, dass dieses oder jenes Detail doch nicht ganz stimmig war. Das war ein völlig neuer Prozess und schwieriger, als sich nur auf Screaming zu fokussieren. Die Herausforderung hat mir aber gut getan. Die Eingängigkeit war dabei kein Ziel, sondern hat sich aus der neuen Arbeitsweise rund um die verschiedenen Emotionen ergeben.

Welche Emotionen hast du konkret darauf verarbeitet?

Trauer vereint ein ganzes Spektrum an verschiedenen Emotionen, weil du dich täglich anders fühlst – vor allem im ersten Jahr. Zunächst bist du einfach nur sehr traurig und verdammt wütend. Irgendwann hast du dann Tage, an denen du dich ok fühlst. Dann bist du plötzlich wieder wütend und am nächsten Tag verwirrt, traurig oder ängstlich. Jeder Tag ist anders. Es ist kein linearer Prozess. Es ist kompliziert. Genau dieses Auf und Ab soll das Album verdeutlichen. Die Platte soll all jenen, die trauern, auch Trost und Hoffnung geben. Vielleicht hören sie „Holy Hell“ und können sich mit einzelnen Songs und deren Emotionen identifizieren. Eventuell hilft es ihnen ein bisschen bei ihrer Trauerarbeit. Ich möchte nicht behaupten, dass ich jetzt jeden Tag glücklich bin, aber ich habe mich zumindest mit Toms Tod abgefunden. Ich werde vermutlich nie komplett darüber hinwegkommen oder es ganz verstehen, aber ich kann zumindest sagen, dass ich mittlerweile ein glücklicheres Leben führe als vor der Platte.

Wir wünschen dir weiterhin alles Gute! Danke für dieses ehrliche Gespräch.