Di, 3. Nov 2009

Bela B im Interview - Herr B und das alte Arschloch

Bela B hat sich mit der zweiten Soloplatte einen Teenagertraum erfüllt: Für „Code B“ hat der gelernte Ärzte Schlagzeuger seinen Lieblingsgitarristen Chris Spedding angeheuert, um mit ihm zwei Songs einzuspielen und sich das Saitenspiel näherbringen zu lassen. Am 22. November präsentiert er seine Fortschritte plus neuen Hörstoff im Wiener Gasometer. Bela B im Gespräch über sein allgemeines Wohlbefinden, Soundtracks für Spionagefilme und Idole, die er lieber nie persönlich getroffen hätte.

„Altes Arschloch Liebe“ heißt die erste Single der neuen Platte – klingt ziemlich nach Herzscheiße. Sollen wir uns um dein Liebesleben etwa Gedanken machen?

Um mein Wohlergehen braucht sich niemand sorgen, so glücklich wie jetzt war ich wohl noch nie in meinen letzten 46 Jahren auf dieser Erde. Was aber nicht heißt, dass Lebensenttäuschungen komplett an mir vorübergehen. Ganz im Gegenteil – auch ich kenne das ungute Gefühl melancholisch in Selbstmitleid zu versinken. Das hat Spuren hinterlassen. Aber aus Sicht eines Dichters und Poeten, um hier mal ganz dick aufzutragen, habe ich die Verpflichtung, mir diese Erlebnisse zu bewahren und in passender Form sowie im richtigen Moment zu verwerten. So ist dieses Lied entstanden. Der Song „Geburtstagsleid“ handelt ebenfalls von einer dieser schmerzlichen Begegnungen mit der Liebe. Was machst du nach einer Trennung am Geburtstag deines ehemaligen Partners? Ignorieren oder gratulieren? Dumme Situation auf jeden Fall! Ich schreibe darüber mittlerweile Lieder. Und jetzt mal ganz ehrlich: egal, ob im Heavy Metal, Punk oder beim Schlager – Liebe und ihre Begleiterscheinungen sind immer zentrale Themen in der Musik. Außer vielleicht bei Slayer oder im Black Metal. Aber ansonsten: Liebe zu Menschen, zu Dingen, meinetwegen auch zu Drogen. Überthema ist und bleibt die Liebe. Also keine Sorgen machen, wenn ich sie provokant als altes Arschloch tituliere.

Ein wichtiges Thema in diesem Zusammenhang: Sex. Wenn ein Musiker seinen Song den Namen „Onenightstand“ gibt, wollen wir natürlich wissen, wie viele er auf seinem Konto verbuchen kann.

Ich bin nicht Gene Simmons, der sich einen darauf runterholt, wie viel Frauen er schon flach gelegt hat. Mit Anfang 20 habe ich mal nachgezählt, fand das damals geil sich die Frage zu stellen, ob man schon zu den großen Casanovas gehört. Aber was bringt diese Fickrekordsuche – letztendlich geht es doch darum: hattest du etwas davon oder nicht? Fürs bloße Abspritzen kannst du auch in den Puff gehen. Viel Spaß! Was mich interessiert, sind echte Begegnungen – von mir aus auch im Bett – nur finde ich One-Night-Stands dafür ungeeignet und langfristig unbefriedigend.

 Zu deinen musikalischen Begegnungen: Auf „Code B“ bringt ein gewisser Chris Spedding seine Finger mit ins Spiel, laut Fachkreisen einer DER Studiomusiker überhaupt. Wie hat Bela. B die Zusammenarbeit an den Albumtiteln „ In-Diesem-Leben Nicht“, „Ninjababypowpow“ oder der B-Seite „Satan, Gott Und Das Glück“ empfunden?

Chris Spedding ist mein absoluter Lieblingsgitarrist und noch dazu eine lebende Legende. Ihn wollte ich schon für „Bingo“ haben, nur hat sich das aus verschiedenen Gründen damals nicht ergeben. Was im Nachhinein betrachtet sowieso besser war, denn ich habe mich erst in den vergangenen Jahren so richtig vom Schlagzeuger zum Gitarristen entwickelt. Dabei hat Spedding mit seinem Understatement und dem ökonomischen Gitarrenspiel schon immer den meisten Einfluss gehabt. Der Mann hat das erste Demo von den Sex Pistols produziert, bei Roxy Music gespielt und mit den Vibrators die “Pogo Dancing“ Single gemacht. Und wenn du eines Tages mit so einem Musiker zusammen im Studio stehst, dessen Bilder du als Teenager an deiner Wand hängen hattest, dann ist das einfach nur total geil.

Die beste Anekdote aus der gemeinsamen Studiozeit?

Beim Song „Ninjababypowpow“ hat Spedding einen relativ langen Solopart, und dann am Ende, so etwas muss man erstmal bringen, bleibt er über mehrere Takte auf genau einem Ton. Danach schaut er mich an und will von mir wissen, was das gerade war. Meine Antwort: „Ja, du bist auf einem Ton geblieben“. Spedding darauf: „Das hat Scotty Moore bei Elvis Presley auch so gespielt“. Dann habe ich erst verstanden, was Sache ist. In meinem Studio hängen überall Teppiche vom King an der Wand. Spedding wollte mir also einen musikalischen Gefallen tun und hat mir ein Gitarrenzitat von Elvis in den Song eingebaut. So auf die Art: hier, für dich! Wahnsinn, oder?

Allerdings! Für Leute außerhalb der Branche nicht immer ganz nachvollziehbar: Wie kommen solche gemeinsamen Produktionen zu Stande? Alles eine Fügung des Musikschicksals?

Als ich mir in den 70ern die erste Platte von Johnny Thunders & The Heartbreakers geklaut habe und sie dann zuhause genauer anschauen konnte, ist mir das auch so ähnlich vorgekommen. Auf „L.A.M.F.“ ist nämlich ein Stück von Dee Dee Ramone und Richard Hell, „Chinese Rocks“ heißt die Nummer. In meiner damaligen Vorstellung vom Musikgeschäft haben die beiden Durchgeknallten den Song komplett auf Drogen in irgendeinem Hotelzimmer komponiert. Was natürlich absoluter Schwachsinn ist, Zumindest habe ich es bis jetzt nur so mitbekommen: Jemand hatte eine Idee, redet mit einem anderen, meist befreundeten oder weitläufig bekannten Musiker darüber, der bringt das Ganze dann bei Gefallen zu Ende. Was Chris Spedding betrifft: Ein Freund hat mir den Kontakt vermittelt, ich habe angefragt und ihn nach kurzen Gesprächen zu einem angemessenen Betrag engagiert. Ab und zu ist es aber auch einfach nur Zufall, dass Musiker zusammenkommen. Gutes Beispiel: Alessandro Alessandroni und ich.

Klingt italienisch! Wer ist dieser Herr?

War mir vorher auch überhaupt kein Begriff, bis ein Freund mich aufgeklärt hat: Der gute Mann ist 84 Jahre alt, Multiinstrumentalist und ein sehr guter Freund von Ennio Morricone. Alessandroni hat bei „Spiel mir das Lied“ in die Mundharmonika geblasen, gepfiffen bei „Für eine Handvoll Dollar“ und an dem bekannten „Mah Nà Mah Nà‘ Lied mitgeschrieben – eine Chorephäe also in Sachen Filmmusik. Für „Die Wahrheit“ hat er die Gitarre eingespielt, der letzte Song auf meiner Platte. Das Ergebnis: Spätestens beim dritten Ton wächst dir ein Colt am Bein – zumindest ging es mir so gestern, als ich „Die Wahrheit“ fertig arrangiert habe.

Jetzt, wo wir so ziemlich jedes einzelne Lied deiner neuen Scheibe durchbesprochen haben – in welche Worte würdest du dein Gesamtwerk „Code B“ fassen?

Was ich bei „Bingo“ schon angedeutet habe: Mein Sound ist retro, so in Richtung Spionagefilmsoundtrack – mit Twang- bzw. Surfgitarren. Ich denke, dass ein Großteil meiner Songs auch als Soundtrack funktionieren könnten. Klar, die ersten Stücke auf der neuen Platte gehen eher nach vorne, sind wohl unter Punkrock einzuordnen. Dennoch beinhalten sie die vorhin schon erwähnten Gitarrenelemente, mit denen ich versuche, bildliche Musik zu erzeugen, vielleicht wird das ja auch eines Tages mal was mit einem Soundtrack. Quentin Tarantino habe ich auf jeden Fall meine erste Scheibe geschenkt. Ihm hat besonders das Stück mit Lee Hazlewood gefallen. Er meinte, dass er genau diesen Sound auch für seine Filme benutzt. Bis jetzt hat er es noch nicht getan, aber wer weiß…Was den Text betrifft kann ich „Code B“ schneller erklären – das bin zu hundert Prozent ich!

Anstatt seine Stimme für eigene Kompositionen zu benutzen, liest Bela B gelegentlich auch mal die Texte von anderen Künstlern. Du sprichst unter anderem das Hörbuch „Kill Your Friends“, eine radikale Persiflage auf die britische Musikindustrie in den 90er Jahren. Wie viele der im Roman beschriebenen Begebenheiten hast du im Laufe deiner Karriere selbst erlebt?

Bis auf die fiktionalen Gewaltdarstellungen sind die Schilderungen von John Niven über die Musikbranche dicht dran an dem, was ich teilweise erlebt habe. Genau der im Roman beschriebene Zynismus hat doch letztendlich die Plattenindustrie ruiniert und dafür gesorgt, dass Musik zum Teil nur noch als Produkt wahrgenommen wird und nicht mehr als etwas, das von Herzen kommt. Eine Castingshow nach der anderen und immer der Blick auf die Verkaufscharts. Wer soll den Leuten übel nehmen, dass sie den Scheiß nicht mehr kaufen wollen? Außerdem weiß John Niven selbst, von was er schreibt. Der Typ war lange Zeit selbst im Geschäft als A&R tätig und hat mir bei einer Lesung in Leipzig erzählt, dass gerade die perversen Sexdarstellungen aus Überlieferungen von herumprallenden Kollegen stammen.

Beispiel?

Pfui, aber angeblich soll ihm ein Bekannter aus der Branche ganz stolz berichtet haben, dass er voll auf Koks keinen mehr hoch bekommen hat, es der bestellten Prostituierten dafür aber mit dem Kleiderbügel besorgt hat. Auch wenn das alles zum Teil etwas sehr hart an der Grenze ist: „Kill Your Friends“ – ein geniales Buch, genau zur richtigen Zeit!

Darum: Wie viel lässt sich Bela B heute noch von seiner Plattenfirma vorschreiben?

So gut wie gar nichts. Seit 10 Jahren haben die Ärzte ihr eigenes Label, darum geht es bei der Zusammenarbeit mit der Plattenfirma im Wesentlichen nur um Vertrieb und Promotion. Klar, so viel Budget wie bei einer Produktion mit den Ärzten stehen mir als Bela B nicht zur Verfügung. Aber es reicht trotzdem für schöne Poster und nette Videos. Außerdem ist das Wichtigste, dass ich alle musikalischen Entscheidungen selbst treffe und meine eigenen Ideen verwirklichen kann.    

Bei Festivals und Konzerten ist es üblich, dass der Band für einen reibungslosen Auftritt ein lokaler Betreuer zur Seite gestellt wird. Ausgefallene Sonderwünsche des Herrn B?
 

Meiner Ansicht nach, bin ich diesbezüglich immer relativ unkompliziert gewesen – sowohl mit den Ärzten als auch solo. Mir reicht persönlich ein großes Bett zum kleinen Glück. Ich habe eine humane Getränkewunschliste, es braucht mir niemand Prostituierte ins Backstage bringen und wenn jemand aus meiner Crew irgendwelche Drogen aufstellen will, dann macht er oder sie das auf privatem Wege. Außerdem habe ich über die Jahre natürlich mitbekommen, was sich so manche Kollegen rausnehmen – von denen ich mir dann persönlich denke: Man muss nicht der Liebling der Nation sein. Sich aber notorisch wie ein Idiot zu verhalten, ist auch nicht sympathischer, ganz im Gegenteil!

Wer ist so ein Kandidat?

Leider ein gewisser Johnny Rotten, den ich für seine frühen Musikjahre bei den Sex Pistols liebe und verehre, sein heutiges Verhalten aber überhaupt nicht verstehe. Menschlich absolut enttäuschend und einer von zwei Prominenten, die ich besser nie persönlich hätte kennenlernen sollen!

Der Zweite?

Die andere Enttäuschung heißt Chritopher Lee. Auch nicht leicht zu verkraften.

Keine Sorge, keiner der beiden hat sich für deinen Konzerttermin im Gasomter angekündigt, einer unkomplizierten Show in Wien steht also nichts im Wege. Wir danken herzlich für das Gespräch und freuen uns auf den 22. November.

Chris Spedding (* 17.6.1944 als Peter Robinson)

Wer im Musikgeschäft nach hochwertiger und zeitloser Studioarbeit sucht, ist bei Chris Spedding genau an der richtigen Adresse. Mittlerweile steht der Name des gebürtigen Engländers auf über 200 Alben, angeführt als Produzent oder Gastmusiker. Chris Spedding hat den jungen Sex Pistols gezeigt wie Gitarre spielen funktioniert, mit den Showgrößen Elton John, Marianne Faithfull oder Bryan Ferry von Roxy Music verbinden ihn zahlreiche gemeinsame Produktionen. 1974 hat er das Angebot abgelehnt, bei den Rolling Stones als Nachfolger von Mick Tylor einzusteigen. Konsequent! Bela B beschreibt Chris Spedding als trendfreien Gitarristen, der sich vollkommen auf sein Instrument fokussiert und jeglichen Hype in der Musikbranche ignoriert. Sehr sympathisch! Eine ausführliche Künstlerbiografie findest du auf volume.at

„Kill Your Friends“ von John Niven (erschienen 2008 im Heyne Verlag)

Pflichtlektüre für alle, die schon immer gegelaubt haben, dass es in der Musikbranche nicht normal zugeht: John Niven, vor seiner Zeit als Schriftsteller selbst A&R-Manager bei einem britischen Label, vermischt in „Kill Your Friends“ persönliche Berufserfahrungen mit fiktionalen Elementen zu einem großartig makaberen und fesselnden Lesevergnügen. Zwei kleine Informationen am Rande: Unser VOLUME-Logo stammt vom Grafiker Marc Refior, der das Buchcover von „Kill Your Friends“ gestaltet hat. John Niven veröffentlicht im November einen neuen Roman mit Namen „Coma“, ebenfalls im Heyne Verlag.

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