Di, 29. Dez 2015

Ein Albtraum namens Donald

Anti-Flag im Interview

Das amerikanische Pendant zu H.C. Strache hat vielleicht die besser sitzende Föhnfrisur, polarisiert und provoziert jedoch nicht minder mit xenophoben Aussagen und hetzt mindestens genauso gut (oder schlecht – wie man‘s nimmt) gegen Migranten wie sein österreichischer Bruder im Geiste. Die Rede ist natürlich von Donald Trump, der neben der europäischen Flüchtlingskrise und der amerikanischen Präsidentschaftswahl Hauptthema im angeregten Gespräch mit Chris #2 war … und VOLUME hätte keinen besseren Experten finden können, gehört er als Bassist und Sänger von Anti-Flag doch zu einer der erfolgreichsten und konsequentesten Politpunk-Bands der letzten 20 Jahre.

Wie habt ihr als Politpunk-Band in den letzten Monaten die Situation der Flüchtlinge in Europa verfolgt?

So gut wir können und konnten. In den Vereinigten Staaten wird nicht viel darüber geredet, weil viele Amerikaner die Augen davor verschließen, dass es Flüchtlinge aus Kriegen sind, die die USA kreiert hat. Es wird oft so hingestellt als wären die vielen Flüchtlinge allein Europas Problem – das passiert nicht nur im Alltag, sondern auch in den Medien. Wir versuchen deshalb andere Kanäle als CNN und Co. zu finden, um am Laufenden zu bleiben. Wir sind aber natürlich keine Experten auf diesem Gebiet. Wir haben keine Antworten. Wir haben kein Lösung, die wir den europäischen Politikern vorschlagen könnten, im Sinne von: ‚Macht dies und das und alles wird gut.‘ Aber es ist uns wichtig auf die Tatsache aufmerksam zu machen, dass viele industrialisierte Nationen Europas in irgendeiner Form an den Kriegen im Mittleren Osten beteiligt waren und sind. Die Flüchtlinge fliehen genau vor diesen Kriegen. Sie sind da draußen, haben Angst, sind verletzt und brauchen Hilfe. Wir können und sollten ihnen helfen! Jeder, der ein bisschen Empathie und Menschlichkeit in sich hat, wird einsehen und verstehen, dass wir diese Menschen nicht auf der Straße ihrem Schicksal überlassen können, sie nicht in Booten ertrinken lassen dürfen.

Welche Rolle spielen rechte Politiker in diesem Zusammenhang?

Eine enorm große und gefährliche Rolle, denn sie machen sich die Angst der Menschen zu nutze. Das ist meine größte Sorge! Angst führt nicht selten zu Fanatismus. Wir sehen das auch in den Staaten. Donald Trump hat endlich einmal aufgehört über die mexikanischen Einwanderer zu reden, nur um zu erklären, dass er alle Flüchtlinge wieder zurück in ihre Herkunftsländer schicken würde. Er polarisiert und trifft die Menschen da, wo sie besonders verletzlich sind – nämlich in ihren existenziellen Ängsten. Die amerikanische Mittelklasse ist so sehr geschrumpft, dass es eigentlich nur mehr Arm und Reich gibt. Arme Menschen haben Angst alles zu verlieren, also wenden sie sich jedem zu, der etwas von sich gibt, dass in diesem Zusammenhang für sie auch nur ansatzweise Sinn ergibt – unter anderem auch verrückten Menschen wie Donald Trump.

Als sozusagen ‚Außenstehender‘ … wie empfindest du die Situation in Europa? Haben sich die Vibes seit eurer letzten Tour verändert?

In Bezug auf die Welt und die Szene, in der wir uns bewegen, kann ich nur sagen: unsere Leute sind in den ersten Reihen! Bei jeder Show haben uns Freunde und Fans erzählt, was sie gemacht haben und wie sie geholfen haben. Die Menschen setzen sich für Flüchtlinge ein – ich finde das großartig! Auch bei unserer Show in Wien habe ich mich riesig gefreut als wir zur Arena gefahren sind und dort ein Banner prangt auf dem steht: „Difference unites us, Refugees welcome!” Das sind Venues, in denen ich spielen möchte!

In schlechten Zeiten zeigt sich oft auch das Gute…

Ja, definitiv! Das zeigt sich in allen Ländern der Welt. Jedoch müssen vor allem Deutschland und Österreich sehr vorsichtig sein, denn die Zahl der Menschen, die sich mit Faschismus oder gar dem Nationalsozialismus identifizieren steigt. Es ist erschreckend! Rechtspopulismus ist aber natürlich kein rein europäisches Problem – wir haben ja Donald Trump.

Apropos Donald Trump – ihr habt den Tycoon auf ein T-Shirt gedruckt. 

Ja, haben wir: ‚Donald Trump – A Nightmare on all Streets‘. (lacht) Herrlich, obwohl es eigentlich zunächst nur ein Halloween-Witz war. Viele Menschen nehmen uns als sehr ernste Band wahr und waren von diesem T-Shirt vielleicht zunächst ein bisschen verwirrt. Wir sind natürlich auch eine ernste und kritische Band, aber Donald Trump als zukünftiger Präsident der USA … die Vorstellung davon ist einfach so bizarr und gruselig wie ein Horrorfilm. (lacht) 

Sehr amüsant und definitiv gruselig! 

Du sagst es! Ich glaube jedoch nicht, dass er gewinnen wird. Ich halte die Amerikaner für klüger. Anderseits habe ich natürlich auch nicht im Traum daran gedacht, dass George Bush wieder gewählt wird – und das ist passiert. Verrückte Dinge passieren in verrückten Zeiten. Es wird Trump für meinen Geschmack jedoch zu viel Aufmerksamkeit geschenkt, dabei sollten wir doch über die interessanten und coolen Dingen reden, die Bernie Sanders zu sagen hat. Ich wünsche mir endlich eine Veränderung in der amerikanischen Politik und im Moment sieht es danach aus, dass Bernie Sanders der Einzige ist, der es anders macht.

Meinst du, Bernie Sanders könnte tatsächlich etwas verändern?

Ich weiß nicht, ob ein einzelner Präsident jemals etwas verändern könnte, aber Massenbewegungen können es. Wenn sich die Leute zusammen tun, kann es durch Druck auf die Politik zu Veränderungen kommen. Man sieht das beispielsweise beim Black Lives Matter Movement oder Occupy Wall Street, aber auch hier in Europa. Die Politik muss sich Gedanken machen, wie sie mit der Flüchtlingskrise umgeht, denn es sind so viele Leute da draußen, die nicht nur helfen, sondern auch Druck machen. Politiker interessieren sich natürlich in erster Linie für ihrer eigene Macht und dafür, diese möglichst aufrecht zu erhalten. Ich glaube nicht daran, dass ein Präsident unser Retter sein kann. Natürlich ist es enorm wichtig, wählen zu gehen und Politiker zur Verantwortung zu ziehen. Ich habe Obama gewählt und ich bin wütend auf ihn – das kann er ruhig wissen! Bei Bernie Sanders passiert es manchmal, dass er etwas sagt und ich mir denke: ‚Hey, wir haben genau das gleiche gesagt!‘ (lacht). Manchmal fühle ich mich ihm sehr verbunden, aber ich will nicht zu optimistisch sein – vor allem nicht in Hinblick darauf, dass ein alter weißer Mann mein Retter sein soll.

Zur aktuellen Stimmung in Europa und den USA in Hinblick auf die Politik habt ihr mit ‚American Spring‘ bereits im Mai den richtigen Soundtrack geliefert. Die Platte ist ziemlich wütend.

Was mich betrifft, hat das vermutlich damit zu tun, dass meine Beziehung, kurz bevor ich zu schreiben begann, in die Brüche ging. Ich hätte nie gedacht, dass diese Beziehung jemals enden würde und war definitiv nicht darauf vorbereitet. Man beginnt, Songs zu schreiben und versucht die tagespolitischen Geschehnisse einzubeziehen – denn darum geht es bei Anti-Flag. Das war eine sehr schwere Zeit für mich und ich wusste teilweise auch nicht, ob ich noch in der Band spielen möchte. Ich habe alles hinterfragt: mich selbst, meine Identität, meinen Wert, wer ich bin. Das hat mich vermutlich noch wütender auf die Dinge gemacht, auf die ich ohnehin schon wütend war. Zunächst ging es mehr darum, dass ich wütend bin – auf die Politik, Obama, was auch immer – und dass ich den Menschen da draußen erzählen will, dass ich auf diese Dinge wütend bin. Das hat sich dann aber dahingehend gewandelt, dass ich mir die Frage gestellt habe, wieso bin ich wütend oder wieso sind wir wütend. Die Antwort: weil wir Empathie haben! Auch in den dunkelsten, wütendsten Momenten kann und soll unsere Musik jedoch optimistisch sein, um trotzdem echte Geschichten zu erzählen, die mit persönlichen Emotionen verbunden sind. Darum geht es in unsere Band und auch im Punk Rock generell! In diesem Zusammenhang ist die Platte einzigartig, denn soweit ich weiß, ist uns das noch nie zuvor so gelungen. (lacht)

Was symbolisiert das Brandenburger Tor in diesem Kontext?

Nun ja, als ich diesen Song geschrieben habe, ging’s mir besonders schlecht. Ich war in Berlin und habe darüber nachgedacht, wie anders mein Leben von nun an sein wird und was sich alles ändern wird. Wenn du dir ansiehst, was das Brandenburger Tor heute ist, beispielsweise ein Treffpunkt von Touristen, die davor Fotos machen und einfach eine schöne Zeit haben … vergleiche das mit dem Brandenburger Tor zu Zeiten Hilters oder während dem Kalten Krieg. Heute ist es ein Symbol der Wiedervereinigung Deutschlands und Europas. Es steckt so viel Geschichte in diesem Tor – gute wie schlechte. Die Zeiten ändern sich. Ansichten, Menschen, Beziehungen kommen und gehen. Das Brandenburger Tor verkörpert all das!

Ein schönes Symbol dafür, dass sich alles zum Guten wenden kann … wir bleiben ebenfalls optimistisch und bedanken uns!

Fotos: Pascal Riesinger