Call me maybe

Wir müssen reden! #48

Während wir Normalsterblichen neben dem Studium vor Supermärkten Käsekostproben verteilten, im Callcenter unser Dasein fristeten oder in versifften Bars kellnern mussten, um halbwegs über die Runden zu kommen, hatte meine Kommilitonin Kerstin irgendwie immer ganz besonders viel Freizeit und vor allem ganz besonders viel Kohle. Und ihre Eltern gaben ihr keinen Cent, das wusste ich! Als ich eines Tages hinter ihr Geheimnis kam, war ich zuerst – gelinde gesagt – überrascht. Ziemlich schnell begriff ich aber die Genialität dahinter. Es gibt kaum legale Wege, schneller und einfacher an eine ganz schöne Menge Geld zu kommen.

Du hattest damals im Studium am Ende des Monats immer noch das meiste Geld von uns allen. Außerdem konntest du dir alle paar Wochen ein neues Designerteil leisten. Ich weiß es ja schon – aber erkläre doch mal den Lesern, womit und wie du damals deine Brötchen verdient hast!
Ich darf das Kind doch beim Namen nennen, oder? (lacht) Ich hab als Telefonsexnutte gearbeitet. Da hatte ich zu Hause einen extra Anschluss, der irgendwie mit dem Computer gekoppelt war – frag mich nicht, wie das technisch alles zusammenhing – und ich konnte mich einfach einloggen, wenn ich Zeit und Lust hatte. Dann wurde die Leitung freigegeben und Anrufe zu mir durchgestellt. Abgerechnet wurde minutenweise. Der Provider hat sich 70 Prozent eingesteckt, der Rest ging an mich. Je nach Tageszeit waren das dann 50 Cent bis zu 1,80 Euro pro Minute, die mir geblieben sind. Jetzt kannst du dir ausrechnen, was da schon bei zwei Stunden am Tag zusammenkommt. Lukrativ war es allemal!
Ja, Wahnsinn! Traumjob eigentlich! Wie bist du dazu gekommen?
Meine Mitbewohnerin hat das schon eine Weile gemacht und ich hab mich irgendwie anstecken lassen. Es ging ganz schnell und einfach. Ich hatte ein kurzes Bewerbungsgespräch – nicht per Telefon! Das war in einem kleinen, hübschen Büro im 9. Bezirk. Da war eine nette Dame, die mir ein paar allgemeine Fragen gestellt hat, dann hab ich einen Vertrag unterschrieben und zwei Tage später kam schon ein Techniker, der mir diese Box angeschlossen hat.
Einfach so? Musstest du da nichts „vorstöhnen“ oder sowas? Woher wusstest du, wie das geht?
Achso, ja. Doch sicher! Es gab dort bei diesem Vorstellungsgespräch auch gleich eine Art Einführungsworkshop, wo uns alles erklärt wurde.
Und dann hast du von zu Hause aus Telefonsex mit lauter fremden Männern praktiziert? Wie war das? Hat dich das erregt? Oder angeekelt?
Geil gemacht hat’s mich eigentlich nie. Das ist ja von der Seite der Angerufenen alles nur gespielt – das ist dir eh klar, oder? Wirklich ekelhaft war es aber auch eher selten. Meistens war es sogar ganz lustig und es gab ein paar Typen – und sogar eine Frau! – die regelmäßig angerufen haben und mit denen sich fast so etwas wie eine Telefonsexfreundschaft entwickelt hat.
Warum hast du aufgehört?
Ganz ehrlich? Ich habe meinen jetzigen Ehemann kennengelernt. Der verdient als Staatsanwalt ganz gut und ich bin einfach nicht mehr darauf angewiesen. Aber er weiß davon und kommt gut damit zurecht. Er hätte bestimmt auch nichts dagegen einzuwenden, wenn mir irgendwann mal langweilig werden sollte und ich wieder einsteigen wollen würde… Hat ja immer viel Spaß gemacht!