Obdachlose Herzen

Let's Talk About Sex #40

Inwiefern Gefühle, die wir heutzutage als Liebe titulieren, mit wahrhaften Lieben übereinstimmen, erkennt man im Antlitz ihrer Austauschbarkeit, sollten die an eine Person gestellten Erwartungen in einer Partnerschaft nicht hinreichend erfüllt worden sein. Wenn wir den einen durch einen anderen mir nichts dir nichts einfach austauschen können, stellt sich doch die Frage, wann man überhaupt noch von Liebe sprechen kann?

Unsere Herzen sind obdachlos geworden, hervorgerufen durch provinziell im Sozialisationsprozess eingeschriebene, gesellschaftlich zirkulierende Erwartungen an eine Liebesbeziehung. Eine Liebe, die über die Grenzen der Oberflächlichkeit nicht mehr hinausragt und verkrüppelt ihr Dasein fristet. Anforderungen, Erwartungen trüben unseren Blick für das Mögliche, aber auch das Realistische und verstümmeln die Flügel einer Liebestaube, die nicht mehr dazu im Stande ist, dem Horizont der Grenzenlosigkeit entgegenzufliegen und zu einer Partnerschaft hinter Gittern verdammt ist, die nur mehr in ihren Träumen von der Möglichkeit ihrer Grenzenlosigkeit erfahren darf.

Die endlose Sucht nach Befriedigung unserer Erwartungen, die wir an einer Partnerschaft erheben, degradiert unsere Herzen in die Obdachlosigkeit, da sie immer ein Konstrukt von außen sind, etwas, das uns schon in Kinderschuhen injiziert wurde und schleichend unseren Liebesorganismus mit falschen Vorstellungen vergiftet hat. Es kommt zu einer unbemerkten  Funktionsstörung, die wohl dem Gehör am meisten Schaden gebracht hat, denn das Echo unseres Herzens, dass nach erwartungsfreien Sphären der Liebe sehnsüchtig schreit, demgegenüber scheinen wir taub geworden zu sein.

Das stillschweigende Austauschen, wobei jedem Menschen die Humanität abgesprochen werden muss, macht den eigentlichen „Wert“ der Liebe anschaulich, aber auch unseren eigenen. Nun scheint jeder von uns seinen Preis zu haben, den wir blind bereit sind. zu bezahlen und unsere Herzen erwachen darauf im alptraumhaften Milieu der Prostitution, an die wir uns selbst verkauft haben.

Das Verlangen unseres Herzens, der Obdachlosigkeit zu entfliehen und endlich nach Hause kommen zu dürfen, macht uns blind für die Künstlichkeit der Blasiertheit unserer Gefühle, die beim nächstbesten Dahergelaufenen heraufbeschworen werden, um der Einsamkeit zu entkommen. Dabei sollten wir der Künstlichkeit dieser Beziehungen den Rücken kehren und uns der eigentlichen Kunst einer Liebe öffnen, die wenn auch rar, wenigstens wahr ist. Ihre Kunst verbirgt eine ganz fundamentale Kraft, die sie zugleich so kostbar macht, dass sie unbezahlbar wird und nicht Gefahr läuft, Opfer der Austauschbarkeit zu werden, da sie die Aura der Einzigartigkeit umgibt.

Ihre Kraft gleicht einer Hebamme, die uns  bei der Geburt unseres Selbst unterstützt und uns die Augen öffnet, um vielleicht erahnen zu können, worin die Sinnhaftigkeit unseres Daseins begründet ist. Erst die Absage an Erwartungen setzt einen Bewusstseinsquantensprung frei, von der Arroganz hinauf in die Akzeptanz, frei von Zwängen, Erwartungen und Anforderungen, sie allein beherrscht die Bedingungslosigkeit des Liebens und ist zur Decodierung unserer Herzenssprache imstande.