Emotionale Inkontinenz

Innenleben #48

Blöd, wenn man erst viel zu spät erkennt, dass der vermeintliche Mister Perfect doch noch nicht über die Exfreundin hinweg ist. Dabei hätten meine Alarmglocken bereits beim ersten Date läuten können.

Alex hier, Alex da… Nach wenigen Monaten wusste ich auch unbekannterweise eine ganze Menge über Alex. ‚Aber nun ich bin über sie hinweg.‘ Ach? Ich schob den Gedanken einer tieferen Bedeutung zur Seite. Philipp war einfach zu faszinierend – rosarote Brille und Sherlock Kappe schließen sich wohl gegenseitig aus. Also ließ ich mich fallen und verliebte mich.
Wir treffen uns vier Monate nach der Trennung zum ersten Mal wieder. Wie geht’s dir, was tut sich, und sonst so? Ja eh… Hm, Small Talk war irgendwie nicht der Plan. Die letzten Stunden hatte ich mich in endlos viele Outfits geworfen. Ich wäre in der Stimmung für ein Kleid gewesen, aber das hat mir dann doch zu laut „SchauSchauWieSchönIchBin“ geschrien. Die zerfetzte Jeans mit dem ausgewaschenen Green Day-Shirt hätte zwar mein Inneres gut gespiegelt, aber das geht Philipp gar nichts an. Ein schlichtes, schwarzes Shirt? Irgendwie langweilig, aber könnte von innerer Ausgeglichenheit und so zeugen. Zumindest den neuen Balconette-BH trage ich drunter – Ehrensache. Das gebietet der Stolz.

Ich hatte lange überlegt, ob ich Philipp noch einmal treffen sollte. Am Ende kam ich zu dem Schluss, dass ich ihn unbedingt und um alles in der Welt treffen MUSSTE. Einerseits, um abzuschließen und andererseits… ja andererseits, schreit jede Zelle in meinem Körper nach einer zweiten Chance. Und nun sitzen wir hier und ich fühl mich wie ein nicht abgeholtes Paket.
‚Letztens habe ich Alex getroffen. Wir haben einiges aufgearbeitet.‘ Äh what?! Was hat denn dieses Spin Off hier schon wieder zu suchen? Oder macht Philipp MICH etwa zum Spin Off seiner großen Geschichte mit Alex? Erdboden, verschluck mich! Zur Nebendarstellerin degradiert versuche ich Contenance zu bewahren, während es mir innerlich einmal mehr das Herz zerreißt. Gleichzeitig fühlt es sich absurderweise doch ziemlich vertraut an, hier mit Philipp zu sitzen, während er irgendwas von Alex schwafelt. Das hatten wir doch alles – genau so – schon einmal. Vielleicht tut sich ja gleich ein Wurmloch auf und bringt uns zurück zum Anfang. „Tina, glaub mir, mir geht es auch nicht gut seit unserer Trennung. Auch ich leide.“ Aber du leidest nicht wegen mir, du Vollpfosten! Während ich mich nach Philipp verzehre, verzehrt er sich nach Alex, die sich wiederum nach KeineAhnungWem verzehrt. Ich glaube, die größte Illusion, der sich eine verlassene Person hingeben kann, ist die, dass der andere ebenso zu Hause Tom Odell und den ganzen herzzerreißenden Schmafu im Dauerloop laufen hat. Die schmerzhafte Realität ist: Der eine geht und der andere ist unglücklich.
Es ist nicht leicht, eine alte Liebe als .zip-file zu archivieren und damit die Hoffnung aufzugeben. Gleichzeitig belegt das Ding doch ganz schön viel Speicherplatz. Vielleicht könnte ich zumindest mal den Folder auf die externe Festplatte verfrachten. Denn das erhoffte Wurmloch tut sich nicht auf. Es ist aus und das bleibt es auch. „Es liegt nicht an dir.“ Ach, erzähl?… Manchmal steckt selbst in der abgedroschensten Floskel ein Stückchen Wahrheit.