Alufolie

Innenleben #45

Luft! Luft! Luft! Okay, nein, ein Nervenzusammenbruch fühlt sich anders an. Glaube ich. Alles gut. Atmen. Wer hätte gedacht, dass es mir tatsächlich einmal passiert, dass ich mich auf einem öffentlichen WC verbarrikadiere. ‚lea! bin im B72. philipp spielt heute mit seiner band hier!!‘ tippe ich ins Handy. – “stalkst du philipp etwa?“ – ‚aaahh nein! treff mich mit kathi, aber sie ist noch nicht da. was tun?!‘ Ich brauche einen Fluchtplan, der nicht beinhaltet, mit erhobenen Händen kreischend zum Ausgang zu rennen. Das könnte zu viel Aufmerksamkeit erzeugen.

Einmal abgesehen von meiner aktuellen Situation, würde ich mir schon auf die Schulter klopfen, was das ganze ‚GetOverIt‘-Ding betrifft. Ich versuche nicht mehr ständig an Philipp zu denken, finde zuweilen auch andere Gesprächsthemen als meinen Herzschmerz und ich habe meinen Klingelton geändert. (Es war “Alligator“ von Tegan & Sara. Aber da ich mit Philipp am Konzert war, hab ich nun ‚Heaven‘ von The Walkmen. Eigentlich auch ein sehr herzzerreißender Song. Komisch. Ich sollte das grundsätzlich einmal überdenken.) Das Problem ist nur, dass es mir mein Ex echt nicht einfach macht – irgendwie schafft er es, sich ständig wieder zu aktivieren. Und das bilde ich mir nicht ein! Letztens hatte ich zum Beispiel eine Bestellung auf dawanda.de von ‚PhilippM_ist_lieb‘. Welt, willst du mich verarschen?
‚Liebe/r Frau/Herr PhilippM_ist_lieb! Vielen Dank für ihre Bestellung, aber wie zum Teufel kommt eine erwachsene Person auf die Idee, sich unter einem solchen Usernamen auf einer Plattform zu registrieren? Ich weiß ja nicht, ob es Ihnen bewusst ist, wie sehr mich Ihr Name emotional durcheinanderbringt – aber darf ich Sie bitte um Ihre Geschichte hinter diesem Namen fragen? Hochachtungsvoll, Tina‘ Wie sich herausstellte, war ‚PhilippM_ist_lieb‘ eine etwa 50-jährige Hausfrau aus Deutschland. Angeblich! Oder mein erstes Date nach der Trennung: Der ganze Tisch war vollgekritzelt mit ‚Philipp Herzchen Marion‘. Nun gut, es gibt ja viele Philipps, aber ‚Philipp M knutscht Marion B‘ hätte selbst die stärkste Wildsau aus dem Konzept gebracht. Ich übertreibe nicht, ich hab ein Foto von dem Tisch gemacht.

Ach Mist, das Bier muss ich ja auch noch bezahlen! Oder rechtfertigt ein akuter Emotional-Breakdown es, die Zeche zu prellen? Den Verlust dieser 3.80 EUR sollte der Club leichter verkraften als ich, wenn ich Philipp heute gegenübertreten müsste. Was manchmal nach dem Ende einer Beziehung passiert, ist eigentlich verblüffend: Man idealisiert. Selbst die negativen Sachen, die einem im Gedächtnis geblieben sind, erscheinen plötzlich als liebenswerte Macken. Chronisches Zuspätkommen? Langschläfer? Ins Bett gehen ohne Zähneputzen? Im Nachhinein kann man mit all diesen Dingen leben, ohne ein Drama daraus zu machen. Und solange Philipp so skandalös viel Platz in meinem Herzen einnimmt, bin ich sowas von nicht in der Verfassung für Small Talk.

„tina? bin da. du willst nicht wissen, wer gerade auf der bühne steht … “ Kathi! Meine Rettung! Meine Verbindung zur Welt außerhalb dieses WCs! „hey hey, kannst du bitte mein bier bezahlen, wir treffen uns gleich vor der tür. danke!“