Fr, 14. Apr 2017

Out of the Dark

Nathan Gray im Interview

Mehr als 20 Jahre lang konzentrierte Nathan Gray sein künstlerisches Werk auf Boysetsfire und durchlebte mit seiner Band sämtliche Höhen und Tiefen, während derer er sich immerfort einem musikalischen Exorzismus stellte. Mit dem Nathan Gray Collective betritt er auf ‚Until The Darkness Takes Us‘ Genre-Neuland, um seinem inneren Ich noch intensiver Raum zu lassen – reich an Symbolik und Läuterung, eingehüllt in aphotische Sounds. Wir haben uns gemeinsam mit dem Frontmann in die Dunkelheit gewagt.

Wann wird die Dunkelheit von uns Besitz ergreifen? 

Morgen. Nächste Woche. In 40 Jahren. Wer kann das sagen? Die Natur ist der Ursprung von allem und verschlingt uns, wann immer sie möchte. Sie tötet und kreiert ohne schlechtes Gewissen.

Wofür steht die Dunkelheit metaphorisch? 

Die Dunkelheit kann für mehrere Dinge stehen – Menschen, Erfahrungen, Emotionen. Ich habe die Dunkelheit als Metapher für die Endgültigkeit des Todes verwendet. Wir sind alle mit unserer unausweichlichen Sterblichkeit konfrontiert.

Es ist eine sehr düstere und persönliche Platte geworden. Gab es einen Punkt in deinem Leben, an dem du einfach gewusst hast, du musst genau dieses Album machen?  

Die Songtexte sind erst während der Arbeit an dem Album entstanden. Ich wusste aber bereits zu Beginn, dass es Dinge gibt, die ich aussprechen muss und will. Die Richtung ergab sich aber ganz natürlich. Ich erinnere mich, dass Daniel und ich über mögliche Samples für ‚Anthemic Hearts‘ diskutiert haben und mir dabei eine Szene aus eine Dokumentation über tiefreligiöse Camps für Kinder in den Sinn kam. Darin wurde der Horror gezeigt, den die Kinder in solchen Lagern erleben. Das hat mich sehr aufgebracht und aufgewühlt. Da wusste ich, ich muss raus aus meiner eigenen Komfortzone – rein in meine eigene Dunkelheit.

Reflektiert das Album auch ein bisschen die aktuelle weltweite politische Situation? 

Nein, diese Platte ist eine rein persönliche Suche nach Katharsis und daraus folgendem Wachstum. Politik ist natürlich ebenfalls ein sehr düsteres Thema, aber ich habe keine Kontrolle darüber und im Kleinen hat sie auch keine Auswirkungen auf meine persönliche Entwicklung. Mir war diesmal einfach wichtig, mich selbst von meiner Vergangenheit zu befreien und mich in Richtung Zukunft zu bewegen.

Hältst du deine verschiedenen Projekte gerne streng auseinander oder beeinflussen sie sich gegenseitig?  

Man kann sagen, dass sie schon aufeinander beziehen, aber nur aufgrund der Tatsache, dass ich mir sehr viel von mir selbst in jedes Projekt hineinstecke. Grundsätzlich sind sie aber jeweils abgeschlossene Einheiten.

Wenn man aber nach Ähnlichkeiten zwischen Boysetsfire und dem Nathan Gray Collective sucht, dann fallen einem wie in ‚Heathen Blood‘ sofort die großen Refrains auf. Dein Markenzeichen? 

Ich denke, das ist einfach meine Art, Songs zu schreiben – mein persönlicher Stil, etwas zu erschaffen. Große Refrains bewegen mich und verbinden mich mit dem Publikum. Es gibt nichts Schöneres als die Leute aus vollem Hals mitsingen zu hören. Das ist eine Erfahrung, die mir so viel bedeutet.

Doch wie unterscheidet sich der kreative Prozess vom Schreiben eines Boysetsfire-Album?

Eine Boysetsfire-Platte zu schreiben ist eine einzigartige Erfahrung, weil wir nicht alle im gleichen Land leben. Es ist oft ein Hin und Her. Als Nathan Gray Collective hatten Daniel und ich die Möglichkeit, von Anfang an gemeinsam in seinem Studio als Einheit zu agieren. Er ist ein unglaublich talentierter Produzent und hat eine sehr durchdachte Art zu arbeiten. Er hat das Beste aus mir herausgeholt und mich gefordert. Ich denke, wir arbeiten extrem gut zusammen und gleichen uns perfekt aus.

Du hast diesmal mit neuen Genres wie Dark Wave, Gothic und Industrial experimentiert. Hattest du schon immer eine Vorliebe dafür? 

Ja, hatte ich! Ich habe mir meine Inspiration immer schon aus verschiedensten Richtungen geholt … beispielsweise von Bands wie Skinny Puppy, Depeche Mode oder Sisters of Mercy. Sogar Haujobb hat es in meine Playlist geschafft.

Boysetsfire hat die politische, kommunistische Herangehensweise, bei I Am Hersey setzt du dich mit Religion und Satanismus auseinander. Gibt es auch auf diesem Album einen ideologischen Überbau? 

Diese Platte reflektiert meine ganz persönliche Ideologie – dass jeder von jedem eingenommen werden kann. Es geht um die Idee, dass wir alleine die Kontrolle über unsere Gedanken, Erfahrungen und unsere Entwicklung haben.

Du hast dieses Album über Crowdfunding finanziert. Was kannst du uns über diese Erfahrung berichten? 

Es war ein unglaublicher, aber extrem intensiver Prozess für uns. Wir hatten keine Ahnung, wie viel Arbeit er in Anspruch nehmen würde. Wir sind aber sehr glücklich, dass uns so

viele unglaubliche Menschen dabei geholfen haben. Als wir das Crowdfunding gestartet haben, wussten wir zwar, dass es sicher gut laufen würde – wir hätten uns aber nie träumen lassen, dass es so erfolgreich wird. Wir haben 100% unseres Ziels bereits nach ungefähr 24 Stunden erreicht. Als wir die Kampagne beendet haben, waren es über 200%. Unsere Fans waren da, als wir sie brauchten. Es war ein wunderschöner und berührender Beweis dafür, dass so viele passionierte Menschen hinter uns stehen. Sie sind das ‚Collective‘. Wir wären nichts ohne sie.

Du hast gemeinsam mit der Platte auch ein gleichnamiges Buch veröffentlicht. Was kam zuerst? 

Im Wesentlichen kam das Album zuerst. Ich habe schon länger darüber nachgedacht, ein Buch zu schreiben, aber die Songs waren zuerst da. Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, dass ich über jede Nummer noch viel mehr zu sagen habe. Das Buch ist somit eine Song-by-Song-Begleitung zu meiner Lebenserfahrung. Buch und Album gehen Hand in Hand.

Du spielst wieder in der Arena Wien. Auch mit Boysetsfire hast du schon unzählige Male dort gespielt. Ist die Arena dein österreichisches Zuhause? 

Ohne Zweifel! Ich liebe die Arena und habe dort wunderschöne Momente erlebt – jedes Mal.