Mi, 14. Sep 2011

Nneka im Interview: Ein Stück Nigeria

VOLUME hat die rebellische Soulstimme gefragt: Was geht es ab im bevölkerungsreichsten Staat Afrikas?

Am 23. September erscheint das fünfte Studioalbum ‚Soul Is Heavy‘ von Nneka, deren Song ‚Heartbeat‘ im Jahr 2008 einmal um die ganze Welt gelaufen ist. Aufgewachsen zwischen zwei unterschiedlichen Welten, in ihrer nigerianischen Geburtsstadt Warri und ab dem 18. Lebensjahr in Hamburg, vereinigt die afroamerikanische Sängerin auch mit ihrer Musik Einflüsse aus Hip Hop und Rap, Soul und Raggamuffin, paart Kreolsprachen und Englisch. Auch das heurige Frequency durfte sich über einen Besuch von Nneka freuen und VOLUME nützte die Gelegenheit, um eine willenstarke Sängerin aus einem fernen, fremden Land ein bisschen näher kennenzulernen. Übrigens: Am 8. Dezember spielt Nneka live und driekt in der Wiener Arena.

Nneka – du hast nigerianische Wurzeln, aber viele Jahre in Deutschland verbracht. Fühlst du dich manchmal zerrissen, zwischen zwei Kontinenten?

Irgendwie muss ich mich doch zerreißen, mein Leben in zwei Teilen. Ich bin zwar vor vier Jahren zurück nach Nigeria gezogen, aber meinen Plattenvertrag habe ich in Deutschland unterschrieben.

Wie haben die Erfahrungen, die du in Hamburg gemacht hast, deine musikalische Entwicklung geprägt?

Zuerst einmal habe ich in Deutschland überhaupt die Möglichkeit bekommen, Musik zu machen. Dort habe ich mich das erste Mal in meinem Leben als menschliches Wesen wahrgenommen, das mit Talenten gesegnet ist. In Nigeria habe ich mir darüber nie den Kopf zerbrochen, da hatten andere Dinge Vorrang. Deutschland hat mir eine Plattform gegeben, auf der ich schaffen konnte. In Deutschland habe ich zum ersten Mal in meinem Leben eine Gitarre in der Hand gehalten. Und hier habe ich DJ Farhot kennengelernt, mit dem ich jetzt seit sieben Jahren zusammenarbeite, mein Team und die Leute vom Label Yomama Records. Alles Dinge, ohne die ich mir ein Leben nicht mehr vorstellen könnte.

Wo liegen die größten Unterschiede zwischen den Menschen in deinem Geburtsland Nigeria und in Deutschland?

Wow, die Unterschiede sind riesig! Die Sprache, die Art und Weise zu denken. Viele Dinge, die den Menschen hier sehr wichtig sind, haben in Nigeria keinen Stellenwert. Ich merke die Unterschiede auch bei meinem Publikum, wenn ich ein Konzert gebe. Zu Hause in Nigeria merke ich, dass die Menschen einen Bezug zu meiner Musik haben, dass es ihnen sehr nahe geht. Das ist verständlich, schließlich spreche ich sehr bewusst Themen an, die in meinem Land aktuell und von großer Bedeutung sind. Aber ich finde es sehr wichtig, mit diesen Themen und meiner Musik raus aus Afrika zu gehen, auch an andren Orten dieser Welt ein Bewusstsein zu schaffen für unsere Situation. Und viele Dinge betreffen sowieso jeden. Korruption gibt es nicht nur in Afrika, die herrscht überall auf der Welt. Mir geht es darum, eine Message rüberzubringen. Wenn wir etwas verändern wollen, dann müssen wir alle zusammenarbeiten. Wenn die Afrikaner an der einen Seite des Strangs ziehen und die Europäer an der andren, dann wird niemals etwas funktionieren.

Deine Lieder sind sowohl auf Englisch als auch in traditionell kreolischen Sprachen gesungen. Wie entscheidest du, welche Sprache besser passt?

Ich singe hauptsächlich in Englisch und Pidgion, das eine Mischung ist aus Englisch und kreolischen Sprachen. Das echte Igbo, eine der traditionellen Sprachen, verwende ich nur auf einem einzigen Track und der befindet sich auf meiner neuen Platte. Wenn ich rappe und dieses Raggamuffin-Ding drehe, dann mache ich das auf kreolisch. Bei sanften Gitarrensongs, singe ich auf Englisch, da kann man mich besser verstehen. Aber welche Sprache ich wähle, das kommt meist ganz von alleine, ohne dass ich drüber eine bewusste Entscheidung treffe. Wirklich erklären, wie das mit den Sprachen funktioniert, kann ich nicht.  

Im heurigen April waren die Medien voll von den ersten, freien Wahlen in Nigeria. Du hast dich dafür engagiert, dass auch die Jugend ihre Stimme bei dieser wichtigen Entscheidung abgibt. Wie würdest du die jungen Menschen in Nigeria beschreiben?

Wir haben noch einen sehr weiten Weg zu gehen. Uns fehlt es an staatlichen Institutionen, und den wenigen, die wir haben, mangelt es an Professionalität. Hier sollte die Regierung all ihr Geld und ihre Energie investieren. Was in unsrem System am schlechtesten läuft, ist ganz klar die Bildung. Dafür muss ein größeres Bewusstsein geschaffen werden. Die Jugend will ja lernen, aber das meiste was bei uns gelehrt und gedacht wird, das ist uns von außerhalb eingeimpft worden. Uns in Nigeria wird nicht zugestanden, dass wir unser eigenes Köpfchen benutzen können und eine eigene Meinung haben dürfen, war lange Zeit nicht drin. Das ist etwas, was wir erst lernen müssen – ein Bewusstsein zu schaffen für die Freiheit der Meinungsäußerung und die Freiheit dafür, unserer Kreativität und unseren Ideen Ausdruck zu verleihen.

Nneka, die neue Präsidentin Nigerias – jemals darüber nachgedacht, selber in die Politik zu gehen?

Nein, das könnte ich nicht. Ich versuche meinen Beitrag anders zu leisten: Die Jugendlichen dafür motivieren, zu den Wahlen zu gehen, ihre Stimme zu benutzen und Interesse zu bekunden an einer besseren Gesellschaft. Ich werde Probleme immer ansprechen und versuchen, dafür Gehör zu schaffen. Aber ich sehe mich nicht als erleuchtet genug, um selbst politisch aktiv zu werden. Sicher nicht. Ich in der Politik – ich wäre ein Diktator!

Und du als Diktator – darunter würde Nigeria leiden?

Nicht unbedingt, ich wäre schon ein guter Diktator. Aber dann würde sich alles sehr schnell ändern. Viel schneller, als den Leuten lieb ist (lacht).

Vielleicht wäre das ja mal ein Ansatz. Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg mit dem neuen Album.

Dankeschön.