Di, 9. Jan 2024
“Wenn der Algorithmus merkt, dass du ihn durchschaust, f*ckt er dich.”

“Wenn der Algorithmus merkt, dass du ihn durchschaust, f*ckt er dich.”

Al Pone im Interview

Al Pone, einst bekannt fürs Battlen durch die österreichische Rapszene, hat nach seinem Balkanski-Release 2022 nochmal anständig  draufgelegt. Mit seiner EP JEBIGA zeigt der Grazer mit bosnischen Wurzeln nicht nur eine erweiterte Bandbreite seiner technischen Fähigkeiten, sondern auch zunehmend lebensnahe, politisch-kritische Lyrics nebst gewohnt hart ballernden Beats von 4Tact. Von FM4-Terminen über seine Abriss-Releaseparty bis hin zu seinem unerwarteten Erfolg auf TikTok hat Al Pone in diesem Jahr viel erlebt – auch, was die eigenen Grenzen angeht.

Im Gespräch mit VOLUME teilt er Einblicke über Schlafprobleme und Kreativität, den Druck während der Release-Phase, seinen Umgang mit Politik sowie die Herausforderungen von Musikpromotion auf Social Media. Wir gehen rein.

(c) Sanctus Munyaneza

Du warst die letzten Monate vielbeschäftigt. Wie bist du damit umgegangen, hast du es auch genossen?

Ich muss ehrlich sagen, ich kann unter so einem Stress nicht wirklich genießen. Die letzten Monate waren vollgepackt mit Release, Interviews und Terminen, dann die Show mit Onkel Ossi im p.p.c. – und ich arbeite ja auch Vollzeit. Ich wollte alles zu 100 Prozent machen und bin dabei richtig schön ausgebrannt. Daraus habe ich aber definitiv gelernt.

Was zum Beispiel?

Wie ich Kreativprozesse abschließe — und sie schlussendlich loslassen kann. Das war ein heikles Thema. Bei JEBIGA hatte ich großartige Unterstützung, trotzdem fiel es mir schwer, die Kontrolle für einzelne Aufgaben voll abzugeben, auch wenn ich eh weiß, ich kann mich zu hundert Prozent auf die anderen verlassen. Ich wollte niemandem zu viel – großteils ehrenamtliche – Arbeit aufbürden, war dementsprechend der Meinung, ich müsste immer involviert sein, am besten immer daneben sitzen für Support. Auch wenn die anderen das vielleicht selbst nie so empfunden haben. An diesem Loslassen arbeite ich also. Das vorherrschende Gefühl, das ich aus der Zeit mitgenommen habe, war und ist nach wie vor tiefe Dankbarkeit.

Was meinst du, könnte das Kreativsein für dich kamoter machen?

Ich würde gerne mein Zeitmanagement verbessern. Mir Dinge einteilen und dann auch direkt erledigen, anstatt mich mit dem reinen Denken daran herzustressen. Viele kleine Aufgaben können einen ziemlich ausbrennen, wenn man sie nicht gleich bewältigt und mir passiert das einfach oft. Zu oft. Das zusammen mit ein paar anderen Tumulten im Inneren – Suchtproblemen, Hyperfokus, rasende Gedanken – teilweise auch depressive Gedanken – hat für mich die Überlegung aufgeworfen, ob ich mich mal auf ADHS testen lassen sollte. Vielleicht bringt mich eine echte Diagnose da weiter. Ich frage mich aber manchmal, ob ich dieses Chaotische in mir auch brauche, um überhaupt so kreativ zu sein. Es macht mich ja als Person aus — und diesen Part würde ich ehrlich gesagt nicht verlieren wollen. 

(c) Sanctus Munyaneza

Du hast erwähnt, dass du bis zum Release von JEBIGA Gesprächstherapie gemacht hast. Das hat dir geholfen?

Ja total und ich werde weitermachen, weil ich das als absolut sinnvoll empfinde. Man muss auch nicht komplett fertig gefahren sein, um Gesprächstherapie zu machen. Sie gibt einem ehrliches Feedback dazu, was man tut und unterstützt beim Verbalisieren und Verarbeiten. So hab ich unter anderem gelernt, dass ich auch das Kriegstrauma meiner Familie mit mir herumtrage und mich das in meinem Alltag, in meinem Denken beeinflusst. Allgemein, wenn man das Gefühl hat, es stimmt irgendwas nicht mit einem selbst – Therapie ist echt eine gute Sache.

Vorhin hast du ja gemeint, dass Schlafmangel und Stress in letzter Zeit ein Problem für dich waren?

Ja, absolut. Egal welche Schicht ich als Haustechniker habe, ich gehe immer erst um 2–3 Uhr morgens schlafen und muss dann oft um 5 Uhr wieder aufstehen. Das nagt natürlich an einem. Diese Lebensweise funktioniert vielleicht für einen Monat, aber irgendwann spürt man nur noch die Belastung und verliert die Energie für das, was man eigentlich machen wollte. Wenn ich mich dann hinlege, denke ich nur an die Sachen, die ich gerade erledigen könnte – Ideen, die ich umsetzen möchte. Das ist stressig.

Apropos Ideen. Als Čoban Čobanski hast du auf TikTok teilweise Videos mit Views im Millionenbereich. Wie war deine Erfahrung mit der Plattform?

TikTok und meine Baustellen-Videos haben mir eine Tür geöffnet, die mir sonst verschlossen geblieben wäre: meine Bubble zu verlassen und eine meiner eigentlichen  Zielgruppe anzusprechen – Jugos in der Diaspora. Dafür bin ich dankbar – Musik hat für mich jedoch immer klare Priorität. Das Social-Media-Game ist anstrengend und frustrierend, man muss im Prinzip dauerkreativ sein und das auch noch qualitativ hochwertig. Als ich mal nicht so aktiv war, hat mich das der Algorithmus sofort spüren lassen. Mich fragen nach wie vor viele Leute nach den Videos, also werde ich nicht damit aufhören – aber immer Musik voranstellen. 

@cobancobanski

Iberstunde an Freitak 🤯 #fy #fyp #jugo #balkan #baustellen #baustella #Diaspora #jugoslavija #freitag #wochenende #überstunden #jebiga #balkanski #cobancobanski

♬ Originalton – Čoban Čobanski

Wie war das beim Promoten von JEBIGA? Auch da hat sich ja das Game verändert, vor allem auf Social Media?

Ja, leider muss man da ein bisschen mitspielen, auch wenn einem das Social-Media-Game ansonsten zuwider ist. Musik online zu promoten ist ein harter Kampf gegen den Algorithmus – und da zeigt sich oft ein verwirrendes Bild. Es gibt Artists, die haben etwa 500 Follower auf Instagram und kriegen so 40 Likes auf ein Bild. Dann schaust du auf Spotify und siehst plötzlich, dass die über 8000 monatliche Hörer haben. Ich hab ein bisschen gebraucht, um das zu verstehen, aber das ist eben das Playlist-Game: Es geht darum, in Playlists zu landen, die eine große Reichweite haben, um so die Anzahl der Streams nach oben zu treiben. Ich finde das falsch, weil diese Zahlen die Realität verzerren. Das gilt sowohl für die Leute, die die Musik hören, als auch für den Artist selbst: Wenn du 8000 Spotify-Listeners hast und trotzdem keiner zu deinem Konzert kommt, ist das auch nicht gerade eine Auszeichnung. 

Willst du, dass deine Musik Gehör findet, musst du sie präsentieren. In Österreich ist FM4 zum Beispiel essentiell. Wenn Leute deine Musik dann via Spotify-Links auf sozialen Plattformen teilen, checkt das auch der Algorithmus. Mir persönlich ist ein gutes Pressekit wichtig – man braucht dafür halt gute Leute, die einem so eine schöne Pressemappe erstellen. Viele kleine Dinge können dich pushen und dir mehr Reichweite geben. Die nächste Sache ist allerdings: Wenn der Algorithmus merkt, dass du ihn durchschaust und zu manipulieren versuchst, dann fickt er dich. 

(c) Sanctus Munyaneza

Du äußerst dich durchaus politisch auf Social Media. Glaubst du, dass Artists eine politische Meinung vertreten sollten?

Das ist ein zweischneidiges Schwert. Es gibt ab einer gewissen Reichweite definitiv eine Verantwortung, aber ich denke nicht, dass man zu jedem Thema sofort eine Meinung haben muss. Meine Haltung zu meinem Thema Balkan/Jugoslawienkrieg ist klar, aber bei anderen aktuellen Themen überlege ich wirklich gut, bevor ich mich äußere. Vor allem auf Social Media. Manchmal finde ich das ein bisschen schade. Das Potential, in den eigenen Kreisen eine Diskussion auszulösen, ist groß und dann kommt man vom Thema ab wegen einer einzelnen Formulierung. Das lässt manche Leute direkt die gemeinsame Basis vergessen. 

„Die Rechten sind am Vormarsch, das dürfen wir nicht übersehen.“

Ich glaube nicht, dass die Rechten sich aktuell so zerstreiten, wie es Menschen im linken Spektrum tun. Die Rechten sind am Vormarsch, das dürfen wir nicht übersehen. Wir haben gesagt „Nie wieder“, aber wenn man nach Italien schaut, nach Ungarn, Slowenien, auch Österreich – die kommen wieder. Sie sind schon da und komplett salonfähig. Es gibt ja auch nach wie vor völlig ungehindert rechte Burschenschaften in Graz – denen gehört Einhalt geboten. Wir müssen den Blick aufs Wesentliche lenken und uns nicht gegenseitig fertig machen.

Abschließend, wie möchtest du deine Musik und Texte in Zukunft gestalten?

Für mich geht es beim Musikschreiben darum, mehr als nur ‚deepe‘ Texte zu produzieren, weil es gerade angesagt ist. Es geht mir darum, wirklich etwas zu sagen. Viele meinen, Musik sei eine Therapie, aber dann muss man genauso offen sein wie in der Therapie. Es erfordert Ehrlichkeit sich selbst gegenüber – was oft schon schwierig ist – und Ehrlichkeit gegenüber dem Publikum. Und Authentizität zu predigen ist einfacher, als sie tatsächlich umzusetzen. 

Wenn man in der Rap-Szene groß geworden ist, in der ‚Härte‘ oft glorifiziert wird, ist es eine Herausforderung, als Mann Emotionen zu zeigen. Ich stehe dazu, dass ich die habe — ich leugne nicht, wenn es mir mal nicht so gut geht. Das Ziel ist zu verstehen, woher diese Emotionen kommen, und zu lernen, sie in Worte zu fassen. Mein kommendes Album wird dementsprechend vielfältig und persönlich sein, wahrscheinlich sind auch ein paar Spaßnummern dabei. Ich freu mich drauf.

Wir uns auch.