Di, 25. Sep 2018
It's a fucking Disease

It's a fucking Disease

Beartooth im Interview

Das Ringen mit den eigenen Dämonen, die Suche nach dem Sinn im Chaos und der tägliche Kampf gegen die Depressionen – all das kennt Caleb Shomo nur zu gut. Doch anstatt weiterhin dagegen zu wüten, entscheidet sich der Beartooth-Frontmann in diesem Jahr für die Flucht nach vorne und zwingt sich zu einem reflektierten Blick nach innen. Das Ergebnis und die gleichzeitige Erkenntnis: „Disease“. Ähnlich wie auf dem dritten Langspieler nimmt er in unserem Gespräch kein Blatt vor den Mund. Warum auch? Depressionen sind eine ernstzunehmende Krankheit, über die wir reden müssen!

„Aggressive“ war eine Ich-gegen-die-Welt- Platte, während du auf „Disease“ Ursachenforschung betreibst …

Genau, auf „Aggressive“ war ich einfach nur wütend, weil ich mich immer noch mit den gleichen psychischen Problemen herumschlage. Ich hatte das Gefühl, ich sollte schon viel weiter sein, sollte das alles schon überwunden haben. Das neue Album geht mehr nach innen. Es geht darum, herauszufinden, wieso ich mich immer noch so fühle, anstatt einfach nur wütend über den Zustand zu sein.

Und? Ist dir das gelungen?

„Disease“ war eine wichtige Auseinandersetzung mit meiner mentalen Gesundheit. Ich habe mich in den Songs hauptsächlich mit mir selbst beschäftigt. Das Album hat mir sehr geholfen, herauszufinden, wer ich bin und was mir wichtig ist.

Das hört man. Wenn es mir nicht gut geht, hilft mir das bloße Aufschreiben meiner Gedanken oft enorm …

Das ist es! Im Grunde genommen habe ich genau das gemacht. Egal, wie ich mich an dem jeweiligen Tag fühlte, ich habe einen Song darüber geschrieben. Dabei habe ich mir keine Grenzen gesetzt – völlig unabhängig davon, wie abgefuckt, gut oder schlecht eine Empfindung war. Was auch immer da war, ich habe es in der Musik verarbeitet. Das war sehr therapeutisch für mich. Man fühlt sich immer besser, wenn man die Emotionen und Gedanken einfach mal rauslässt. Wenn man sich dann anschaut, was da alles aus einem rauskommt, gibt es oft gewisse Aha-Momente: „Wow, das hat mich also so fertig gemacht?“

(c) Michael Kramer

Was hilft dir neben der Musik, wenn es dir nicht gut geht?

Schlafen tut mir gut. Wenn ich einen schlechten Tag habe, reicht es oft, einfach schlafen zu gehen. Das rückt den Kopf zurecht und bringt mich wieder auf Kurs. Natürlich ist das im Arbeitsalltag nicht immer möglich. (lacht) Manchmal hilft aber Alleinsein schon.

Obwohl viele Menschen mit Depressionen kämpfen, scheint es heutzutage oft immer noch ein Tabu zu sein, darüber zu sprechen. Was rätst du jemandem, der Angst vor den Reaktionen seines Umfelds hat?

Auch wenn es schwierig ist, irgendwann muss man die Entscheidung treffen, etwas dagegen zu unternehmen, und dazu stehen – für sich selbst! Wie viele andere habe ich meine Depressionen lange Zeit versteckt, ignoriert und einfach ertragen. Das frisst dich bei lebendigem Leib und überschattet jeden Bereich deines Lebens. Irgendwann musst du dich mit der Wurzel des Problems auseinandersetzen. Daran kommst du nicht vorbei. Tu es einfach – egal, was andere denken. Tu es für dich!

Du sagst es! Ich verstehe dieses Tabu überhaupt nicht. Wenn man körperliche Beschwerden hat, geht man schließlich auch zum Arzt – genau das sollte in Bezug auf mentale Gesundheit auch normal sein.

Die Realität ist: Es ist eine verdammte Krankheit! Eine Krankheit, die man behandeln muss. Sie geht nicht einfach so wieder weg. Man muss lernen, proaktiv damit umzugehen. Am besten umgibt man sich dabei mit Menschen, die das verstehen. Es ist extrem wichtig, ein gutes, unterstützendes Umfeld zu haben.

Ich kann mir vorstellen, dass vor allem das Musikbusiness oft auch nicht das beste Umfeld für Menschen mit Depression ist, oder? Stichwort Chris Cornell, Chester Bennington und viele andere vor ihnen …

Ja, es kann hart sein. Ich bin in der glücklichen Position, viele gute Leute um mich zu haben. Außerdem arbeite ich auch mit verschiedenen Organisationen zusammen, um das Thema Depression in die Öffentlichkeit zu bringen. Es muss allen bewusst werden, dass es eine ernstzunehmende Krankheit ist – nicht nur unter Künstlern, überall. Viel zu viele Menschen nehmen sich das Leben. Das ist schrecklich! Wir kriegen nur eine Chance. Wir haben nur ein Leben und es ist sehr traurig, wenn dieses mental nicht ertragbar ist. Es gibt immer einen Weg – man muss ihn nur finden. Ich verstehe das Gefühl, keinen Ausweg mehr zu sehen. Ich war selbst schon oft in der Situation und wollte am nächsten Tag einfach nicht mehr aufwachen. Ich schätze, vielen Menschen ging es schon so – auch wenn sie nicht darüber reden. Daher ist es unsere Verpflichtung als Musiker, die in der Öffentlichkeit stehen, proaktiv genau darauf aufmerksam zu machen.

Großes Lob dafür! Von welcher Klarheit singst du im Titeltrack von „Disease“?

Ich weiß es selbst nicht so ganz genau. Doch das ist der springende Punkt und das Thema dieser Platte. Ich bin so verloren. Ich habe keine Ahnung, wie ich mit all dem umgehen soll. Egal, was ich mache, ich wache immer noch mit dem gleichen verdammten Gefühl auf. Ich habe immer noch meine schlechten Tage. Klarheit ist etwas, wonach ich mich sehne. Ich habe sie noch nicht gefunden, aber ich suche weiter und kann nur hoffen, dass ich am nächsten Tag wieder aufwache. Vielleicht finde ich irgendwann Klarheit. Tatsache ist aber, dass ich sie vermutlich nie finden werde. Ich kann nur weiter machen und versuchen, auf dem Weg zur Klarheit so viel Spaß wie möglich zu haben.

(c) Michael Kramer

Was lässt dich glauben, dass alles gut werden kann? Stichwort „Believe“.

Ich sage mir selbst immer und immer wieder, dass alles gut wird. Am Ende des Tages habe ich keine Gewissheit, ob tatsächlich alles gut werden kann oder wie es mir am nächsten Tag gehen wird. Es gibt immer noch Tage, an denen alles beschissen ist, an denen ich nicht mehr weitermachen will. Mir selbst einzureden, dass trotzdem alles gut wird, beruhigt mich dann – auch wenn ich es nicht ganz glaube. Es ist ein täglicher Kampf, aber es ist besser, als sich selbst ständig einzureden, dass nichts wieder gut werden kann.

Mein bester Freund sagt immer: „Fake it, till you make it!“

Fuck, ja! Was auch immer euch zum nächsten Tag rettet, tut es!

Machen wir! Danke für dieses ehrliche Gespräch.