Do, 17. Dez 2009

Element of Crime im Interview - Das waren Bauernlümmel, Richard

Kurz vor Erscheinen des neuen Element Of Crime-Albums „Immer da wo du bist, bin ich nie“ haben wir uns mit Sänger Sven Regener und Schlagzeuger Richard Pappik getroffen, um bei einem Bier die essentiellen Dinge der Welt zu besprechen: Lebensweisheiten über besoffene Konzerte, die Berliner Luft und Hundescheiße am Gehsteig.

VOLUME: Könnt ihr euch noch an Euer erstes Konzert im Wiener U4 erinnern?

Richard Pappik (P): Oh, das war ganz schlimm. „Schlagzeug braucht ihr nicht mitbringen, Schlagzeug haben wir da, da spielen alle Bands drauf“, wurde uns gesagt. Also haben wir kein Schlagzeug mitgebracht. Als wir da waren: „Wo ist denn euer Schlagzeug?“. Toll, oder? Irgendwo im hintersten Keller lag eine Bass Drum, ein Tom und einzelne Mechanik. Das haben wir dann irgendwie zusammengeschraubt.

Sven Regener (R): War aber ein super Konzert im Endeffekt. Am nächsten Tag waren wir noch beim Stephansdom und … wie hieß das Mädchen noch gleich?

P: Karin. (lacht)

R: Karin, genau. Die hatte auch eine Band, die hieß „Mo And The Gangsters In Love“.

P: Mo war der zweitschönste Sänger der Welt…

Ihr meint Günther Mokesch?

R: Ja. Der hat doch so Popmusik gemacht und wir waren ganz gut befreundet. Haben wir nicht auch bei Karin gewohnt? Ja, klar haben wir das.

P: Und ihr Vater war Spirituosenhändler. Ich hatte noch auf der Rückfahrt eine Flasche Cognac zwischen den Beinen.

Beschreibt mir doch den Geruch von Berlin…

R: Der hat sich geändert. Man hatte in Berlin früher noch diese Braunkohle-Heizungen mit Kachelöfen und so. Im Winter gab’s dann immer diesen starken Schwefelgeruch, einen gelben Smog, der die Lungen verätzt. Und wir hatten aus dem Osten auch immer den Wind mit dem Geruch der Trabant-Zweitaktmotoren. Gottseidank hat man das mit den Kohleöfen abgestellt, die gibt es ja nicht mehr so oft. Die wären heute ja gar nicht mehr erlaubt.

Könntet ihr den Geruch von Berlin blind erkennen?

P: Eher durch die Schreie in der Nacht als am Geruch, glaube ich.

R: (lacht) Ich bin da auch eher der Soundmensch, am Sound könnte ich Berlin erkennen, jederzeit. Olfaktorisch am besten erkennen kann ich wahrscheinlich aber die Bremer Küste, also die Gegend da oben in Deutschland, wo ich aufgewachsen bin. Die ersten 20 Jahre prägen einen schon sehr, weißt du.

Mir sind zwei Unterschiede zwischen Österreich und Deutschland aufgefallen. Einer davon ist, dass ich glaube, dass der Durchschnittsdeutsche weitaus eloquenter ist als der Durchschnittsösterreicher. Wenn ich in Wien in der Straßenbahn sitze und den Menschen zuhöre, klingt das hinsichtlich des Wortschatzes und der Wortwahl ganz anders als zum Beispiel in Berlin.

R: Komisch, ich dachte immer, dass es umgekehrt sei. Vielleicht deshalb, weil das grünste Gras immer auf der anderen Seite des Zauns wächst. Ich habe in Österreich immer den Eindruck einer sehr kunstvollen Sprache. Wenn ich hier mit einem Taxifahrer rede oder auch mit dir, dann habe ich tatsächlich das Gefühl, dass ihr viel kunstvoller sprecht als wir. Und man muss ja auch sagen, dass die Unterschiede wirklich nicht so groß sind wie etwa zwischen den Deutschen und den Deutsch-Schweizern oder zwischen unseren eigenen Dialekten. Wir haben viel mehr sprachliche Verständigungsschwierigkeiten mit Baden-Würtembergern oder mit Sachsen als mit Österreichern. Letztens hab ich irgendwo einmal gesagt „Das ist eine gemähte Wiese“. Und irgendwer hat gemeint „Jetzt spricht der Regener auch schon österreichisch“. Aber eine „g’mahte Wiesen“ gibt es nicht nur in Österreich, sondern bitte auch in Unterfranken, Mittelfranken, Oberfranken, in ganz Oberbayern, in Bayerisch-Schwaben, in Niederbayern, in München. Da wird überall „a g’mahte Wiesen“ gesagt.

Es gibt, denke ich, noch einen Unterschied, der sich auf die Psyche der beiden Länder  auswirkt: In Wien liegt irrsinnig viel Hundescheiße am Gehsteig. Deswegen haben die Leute immer ihren Kopf gesenkt, was über die Jahrzehnte den optischen und geistigen Horizont der Bevölkerung vielleicht doch ein wenig einschränkt, oder?

P: Wir haben selber ein wahnsinniges Hundescheiße-Problem in Berlin. Ich weiß nicht genau, aber irgendwas mit 128 Tonnen pro Tag oder so.

R: Damals gab’s doch diese Hundescheiße-Verordnung, dass das Geldstrafe kostet und so. Ein Bekannter hat nach dieser Verordnung einmal eine Zeichnung gemacht mit dem Titel „Endlich, die Berliner kucken wieder nach oben“. Da stehen zwei so alte Leute und einer zeigt auf die Gedächtniskirche und sagt „Schau mal, Frieda, diese Kirche!“ (lachen)

Was waren in den Anfangszeiten von Element Of Crime die wichtigsten Schritte, die ihr gesetzt habt?

P: Die wichtigsten Schritte passieren auf jeden Fall auf der Bühne. Ich erinnere mich, als ich neu dazugekommen war, waren wir auf Tour irgendwo bei Kiel, und da waren auf einmal ein Haufen Punks, die dachten, vom Namen her müssten wir eigentlich eine Punkband sein. Und spätestens beim zweiten Lied mussten wir sie furchtbar enttäuschen…

R: Das waren keine Punks, das waren Bauernlümmel, Richard! Bauernlümmel waren das! Die hatten noch Scheiße an den Gummistiefeln (lacht). Das war eine verdammte Dorfdisco.

P: …und zum Trotz spielten wir da auch schon einmal mit dem Rücken zum Publikum.

R: Wir haben alle guten Ratschläge in den Wind geschlagen. Vor allem von falschen Freunden. Alle Sätze wie „Macht doch mal gute Popmusik“ oder „Spielt doch mal schnellere Lieder, dann klappt’s auch mit dem Publikum“ waren Scheiße. Alles das in den Wind geschlagen zu haben, war ganz wichtig, glaub ich. Ich hab zum Beispiel am Anfang nur mehr auf Uwe Bauer gehört, unseren ersten Schlagzeuger und ersten Produzenten. Der hielt sich mit Ratschlägen immer zurück und wenn, dann meinte er etwa „Sven, versuch nicht zu singen wie jemand anders, kannste dir gleich sparen“.

Stichwort schnellere Lieder: Ich hab mir letztens in Wien die irischen „Dubliners“ angesehen…

P: Die gibt’s noch? Die sahen damals doch schon so alt aus. Die müssen ja jetzt steinalt sein.

Der älteste ist jenseits der 80. Trotzdem war das der pure Rock’N’Roll-Gedanke, was die gemacht haben. Und da ist jetzt die Brücke zu Element Of Crime: Auf eurem neuen Album sind doch einige Einflüsse aus Folk und Country bemerkbar. Der Trend zu den diversen Folk-Spielarten ist unüberhörbar, auch bei jungen Bands. Sind wir auf dem  Weg in ein positiv besetztes Musik-Biedermeier?

R: Die aufregendsten Sachen, die grad passieren, passieren im Folk-Bereich, da hast du Recht. Das ist aber auch immer ein Arm der Rockmusik gewesen, der nie weg war. Bei uns gab es diese Seite immer, nur bei dieser Platte ist es ein bisschen auffälliger. Wir steuern das aber nicht. Eins ist mal klar: Mit elektronischer Musik wird man nicht weiterkommen, weil man in Zukunft mit Platten kein Geld mehr verdienen kann. Man muss also live spielen, da wird’s einen Drummer zu sehen geben müssen, da wird’s interessante Instrumente zum kucken geben müssen. Es ist nicht interessant, jemandem auf der Bühne dabei zuzusehen, wie er angestrengt  in den Laptop schaut. Im Endeffekt ist es klar, dass die klassische Spielart des Rock wieder kommt. Da bestimmt einfach das Sein das Bewusstsein. Da bestimmt die Basis den Überbau. Biedermeier, wie Du es genannt hast, würde ich das aber nicht nennen.

Biedermeier ist aber der Rückzug ins Altbewährte.

R: Jein. Aber Biedermeier ist nicht aufregend. Und es passiert gerade viel aufregende Musik. Ich kann bei Cocorosie nicht Biedermeier sagen. Das bringt ja nichts. Auch bei Element Of Crime passt das nicht. Es geht darum, dass man die Rockmusik immer wieder erneuern muss, und die kann man auch auf der akustischen und analogen Ebene erneuern. Mit E-Gitarren und Hammond-Orgeln und so Zeugs.

Was denkt sich ein junger Linkin Park-Fan, wenn er bei einem Festival plötzlich Leonard Cohen auf der Bühne sieht?

R: Ich glaube, dass diese strikte Trennung nicht mehr da ist. Viele von den Linkin Park-Fans werden den Cohen ganz toll finden. Das ist ja nicht mehr so eine monochrome Geiselhaft, wo man sagt, ich bin Linkin Park-Fan und das war’s. Sondern die sagen vielleicht „Linkin Park ist meine Lieblingsband, aber den alten Opi find ich auch ganz gut“. Es werden ja in den Menschenhirnen oft Allianzen geschlossen zwischen Musikrichtungen, die man nicht für möglich gehalten hätte. Ich hab letztens Lady Gaga gesehen und ich fand die super. Das hat mich total an die Achtziger erinnert, dieses ganze schwule Dingsda (lacht).

Wie fühlt sich eigentlich die Zeit zwischen Beendigung des Albums, den Proben und dem ersten Live-Spielen des Materials an? Macht man sich Gedanken, ob die neuen Sachen beim Publikum ankommen?

P: Das ist einem ganz sicherlich nicht egal. Ich kann nur für mich selber sprechen, aber ich bin dann immer ein bisschen auf dem Sprung. Ich bin da wie ein Läufer, der in seinem Startloch hockt, bin im Geiste schon am Laufen, habe aber den Knall noch nicht gehört.

Ein gutes Gefühl?

P: Ein sehr gutes Gefühl, denn es geht auf den Moment zu, der wirklich allesbedeutet. Im Zentrum natürlich die Konzerte, wo man den Leuten die neuen Lieder bringen kann. Und es ist immer wieder unfassbar, wenn man sich denkt, die kommen alle nur wegen dieser Lieder. Das ist für mich ganz ehrlich die zweitschönste Sache der Welt.

Wie fühlt sich ein schlechtes Konzert vor einem schlechten Publikum an?

P: Da möchte man sich hinterher einfach nur verkriechen. Hast Du eine konkrete Erinnerung, Sven?

R: (lacht) Ja. Aber da hatte ich das Problem mit dem selbstzweifelndem Verkriechen gar nicht, weil ich so besoffen war. Das war in Paris in so `nem Spiegelzelt. Ich konnte da nicht mehr stehen. Wir wussten zwar ganz genau, dass wir Scheiße bauen, aber es war irgendwie auch egal. Auf dem Nachhauseweg fielen wir einfach hin. Wir hakten uns ein und fielen einfach zusammen um. Desolat galore, verdammt. Das war ein Konzert, das ich richtig in den Sand gesetzt habe.

Habt ihr einen Alltagsfetisch?

R: Ich hatte mal sowas. Als in den Achtzigern auf den Bierflaschen diese Alufolien am Flaschenhals noch dran waren, musste ich das immer zwanghaft mit dem Daumennagel komplett runterpuhlen. Dann blieb das klebrige Glas über, aber meistens war die Flasche bis dahin leer und man holte sich eine Neue, um das Spiel von vorne zu beginnen. Ich bin außerdem immer zu früh beim Zug. Hauptsache, ich bin eine halbe Stunde vor Abfahrt am Bahnsteig und sitz da schon blöd rum.

Hehe, danke für das Gespräch.

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