Alles andere als eine Nullnummer
Octopath Traveler 0
Dieses Spiel sollte nicht so gut funktionieren: Eigentlich ein Prequel für Smartphones zu einer beliebten JRPG-Reihe, im Original mit Gacha-Mechaniken, jetzt für PC und Konsole aufgehübscht und überarbeitet. Und zack, schon haben wir eines der Rollenspiel-Highlights des Jahres vor uns.
Dabei fängt es so dermaßen klischeehaft an. Der namenlose Protagonist, oder „The Chosen One”, wie er tatsächlich gerne im Spiel genannt wird, lebt mit Eltern und Freunden in einem ruhigen Dorf in den Bergen. Das Dorf wird von den Fieslingen abgefackelt, die Eltern kommen auf den Friedhof, und los geht der Kampf gegen das große Böse. Der Held sammelt ein paar Kumpels ein, mit denen er von da an rundenbasiert gegen allerlei Monster und Bösewichte kämpft.
Ein Kampfsystem, das Freude macht
Hier macht Octopath Traveler 0 schon mal die ersten Punkte, denn es behält das tolle Kampfsystem der ersten beiden Teile bei. Ihr sammelt pro Kampfrunde Boostpunkte, die ihr verwenden könnt, um öfter zuzuhauen oder besonders starke Angriffe auszuführen. Die Gegner verfügen dabei über Schwachpunkte, die ihr gezielt ausnutzen müsst, um erfolgreich zu sein. Wenn ihr etwa bei einem Monster, das über fünf Verteidigungspunkte verfügt und schwach gegen Schwert und Speer ist, fünf Angriffe mit diesen Waffen durchführt, dann ist die Verteidigung gebrochen und erst mal Pause. Während das Monster flachliegt, sinken seine Verteidigungswerte und ihr könnt extrastark draufhauen. Das ständige Planen und Abwägen ist angenehm fordernd, aber nie übermäßig schwierig. Überhaupt ist nerviges Grinden nur selten notwendig. Octopath Traveler 0 spielt sich einfach nochmal einen Ticken angenehmer und flotter als die schon tollen Vorgänger.

Das liegt auch daran, dass Octopath Traveler 0 nochmal einen drauflegt, wenn es um die Mannschaftsstärke geht. Mehr als 30 Charaktere von der Schwarzmagierin über den Jäger mit Axt und Bogen bis zum dolchschwingenden Dieb gibt es, die sich euch anschließen können, und eine Party besteht dann auch aus acht Mitgliedern, jeweils vier in der ersten und zweiten Reihe. Die Reihen könnt ihr in jedem Kampf frei durchwechseln. Der Held selbst ist sowieso ein wahrer Wunderwuzzi und kann im Lauf des Spiels acht verschiedene Jobs erlernen. Wenn wir dann noch erwähnen, dass es für alle Jobs und Charaktere Fähigkeiten gibt, die ihr mit genügend Erfahrung austauschen und zusammenmischen könnt, dann merkt ihr vielleicht, welches ausgiebige System euch da erwartet.
Hier liegt die Würze eindeutig nicht in der Kürze
Diese Fähigkeiten braucht ihr auch, um euch in der großen, weiten Welt verteidigen zu können. Und wenn wir „groß und weit“ sagen, dann MEINEN wir auch groß und weit. Octopath Traveler 0 ist ein Umfangmonster. Allein an der Hauptstory werdet ihr dutzende Stunden sitzen, und die ist auch erstaunlich gut gelungen. Die toll geschriebenen Charaktere und Bösewichte haben uns richtig in ihren Bann gezogen, von den Nebenquests und dem Städtebau reden wir da noch gar nicht.
Ja, richtig, Städtebau: Ein wichtiger Punkt ist der Wiederaufbau des abgebrannten Heimatdorfs. Erwartet euch hier keine Strategie-Feinheiten, aber mit verschiedenen Gebäuden und mehr und mehr Einwohnern sammelt ihr wichtige Boni, die euch stärker und stärker machen. Abgesehen davon ist es einfach ein äußerst belohnendes System, dass eure Aktionen in der Spielwelt auch direkt sichtbare Konsequenzen haben – wenn das Dorf nach und nach schöner und schöner wird, fühlt sich das richtig gut an.

Wunderschön – und ernst
Apropos schön: Das trifft auch auf die Optik zu. Octopath Traveler ist wieder im HD-2D-Stil gestaltet. Liebevoll gestaltete Pixelfiguren laufen also durch 3D-gerenderte Umgebungen, und diese Mischung funktioniert noch genauso gut wie im ersten Teil aus dem Jahr 2018. Auf unserem Steam Deck haben wir diese Pracht mit ein paar Abstrichen bei den Einstellungen außerdem ruckelfrei genießen können. Auch der Soundtrack ist reihentypisch wunderbar gelungen und zieht euch in die Spielwelt.
Gibt’s auch Schwachpunkte? Je nachdem. Das Spiel ist tatsächlich ÜBERgroß, also wenn ihr von so Kleinigkeiten wie Beruf oder Privatleben abgelenkt werdet, müsst ihr viel Zeit einplanen, um die Credits zu sehen. Ihr solltet außerdem gut Englisch oder Japanisch können, denn eine deutsche Übersetzung fehlt dem Spiel (noch). Wir müssen auch eine Warnung für Menschen aussprechen, die sich wegen der Pixeloptik ein kindergerechtes Spiel erwarten: Allein in den ersten zehn Spielstunden werden Themen wie Folter, Zwangsprostitution oder Kindermord angerissen, und das wird später nicht besser. Octopath Traveler 0 geht teilweise richtig dahin, wo’s wehtut.

Fazit
Ihr merkt aber, bei diesen Kritikpunkten müssen wir schon weit ausholen. Falls ihr also Lust auf ein überraschend ernstes, überlanges Storymonster mit tollem Kampfsystem und 1A-Präsentation habt, dann können wir euch dieses späte Jahreshighlight sehr ans Herz legen.
— Martin Hammerl
Das Gute
+ Kampfsystem leicht erlernt, aber mit großer Tiefe
+ wunderschöne Präsentation
+ Story, die einen reinzieht
+ Städtebau fügt sich schön ins Gesamtgefüge ein
+ großer Umfang
Das Schlechte
- fast schon ZU großer Umfang
- nur auf Englisch