Di, 12. Mrz 2013

Joe Cocker im Interview

Ruhm, Rum und der Blues

In Woodstock sang er für schnackselnde Hippies, in Hotelsuiten soff er sich bewusstlos, im Kreml witterte er den Mief des Kommunismus: Joe Cocker ist in alle Höhen und Tiefen eines Lebens zwischen Bühne, Tourbus und Tonstudio mit Haut, Haar und Herz eingetaucht, hat jede Phase der Rockgeschichte miterlebt. Auch mit 68 Jahren ist der überzeugte Pazifist auf der Bühne noch genauso inbrünstig am Zappeln und Kreischen wie als Zwanzigjähriger. Vor seinen Konzerten in Salzburg und Wien zieht Joe Cocker im Interview mit VOLUME eine ehrliche Bilanz über die Karriere und das Leben auf seiner Farm in Colorado.

Aus großem Respekt, Herr Cocker: ‚Sie‘ oder ‚Du‘?

Joe Cocker: Es geht doch um den Rock’n’Roll, oder? Also duzen bitte!
 

Sehr gerne! Es heißt, dass du besonders gerne nach Österreich kommst. Warum?

Joe Cocker: Ein wunderschönes Stück Land – außerdem bin ich hier nach wie vor sehr erfolgreich, habe für mein letztes Album „Hard Knocks“ sogar Platin bekommen. Und ich gehe sehr gerne in den Bergen wandern. Innsbruck ist dafür ideal. Aber auch Wien kann einiges! Salzburg sowieso, denn da hatten wir einmal ein Konzert, das ich nie vergessen werde: Es war im Sommer, sehr heiß, eine tolle Stimmung. Aber dann hat es zu regnen begonnen und die Mädchen hatten alle keine BHs unter ihren T-Shirts an…

Viel nackte Haut durftest du auch bei deinem legendären Auftritt 1969 in Woodstock sehen. War diese Show der Höhepunkt deiner Karriere?

Joe Cocker: Nein, da gab es schon viel Bemerkenswertes. Zum Beispiel die Gigs im Kreml – obwohl da immer so ein seltsamer Mief in der Luft lag und ich mich nicht wohl fühlte, weil die Obrigkeit uns vorher die Reisepässe abgenommen hat. Aber Woodstock war sicher der Wendepunkt, die Show, die uns bekannt gemacht hat. Wir hatten es damals nicht leicht: Ich stand vor dieser Masse an uninteressierten Leuten – Mädchen mit Babys an der Brust, Hippies, die gerade neue Babys fabrizierten. Wir waren nur die Kulisse zum Happening. Dann spielten wir ‚Let’s Go Get Stoned‘. Das passte da perfekt rein und hat sie alle aufgeweckt. Zwei Songs später bei ‚With A Little Help From My Friends‘ ist mir dann plötzlich diese unglaubliche Euphorie entgegen geschwappt. Das war schon fantastisch.

Auf deinem aktuellen Album ‚Fire It Up‘ gibt es den Song ‚You Love Me Back‘. Sind diese Zeilen deiner Frau Pamela gewidmet?

Joe Cocker: Nein, der kam so von dem Songwriter. Aber auf dem vorigen Platinalbum hatte ich einen Song namens ‚Thankful‘, bei dem ich am Text mitgewirkt habe. Darin danke ich meiner Frau, dass sie es über 20 Jahre mit mir und meinem Wahnsinn ausgehalten hat.

Meinst du mit Wahnsinn die Sauforgien?

Joe Cocker: Genau. Ich habe zwar vor elf Jahren endlich aufgehört, Alkohol zu trinken. Aber davor war ich immer die halbe Nacht auf und habe mich ins Koma gesoffen. Das Leben mit uns Rock’n’Rollern ist sicher nicht einfach.

In vielen deiner Biografien ist von schweren Depressionen die Rede. Hast du deshalb die Bewusstlosigkeit gesucht?

Joe Cocker: Depression ist ein hartes Wort. Aber ich denke, das haben Bluessänger so an sich – eine schwermütige, dunkle Seite. Andererseits will ich das nicht als Ausrede benützen. Angefangen hat es damit, dass ich high werden wollte, nach einer Show nicht alleine im Hotelzimmer bleiben konnte und ausgegangen bin. Aber später begann ich, auch alleine zu saufen, bis vier, fünf Uhr in der Früh eine Flasche Rum zu leeren. Es war schon eine sehr einsame, deprimierende Zeit.

Es heißt, dass die legendäre ‚Mad Dogs & Englishmen‘-Tour mit Leon Russell dafür verantwortlich war, dass du süchtig wurdest.

Joe Cocker: Ich glaube, das wäre auch ohne diese Tour passiert. Begonnen, Hochprozentiges zu saufen, habe ich erst nach dieser Tour – und zwar als ich in Australien gespielt habe. Ich kann mich noch genau erinnern: Da waren zuerst Reporter in meinem Hotelzimmer und es stand eine Flasche Whiskey am Tisch. Als die Presse weg war, habe ich sie aus irgendeinem Grund genommen und zu saufen begonnen – obwohl ich davor nie Schnaps getrunken habe.

Du lebst jetzt nüchtern mit deiner Frau auf einer Farm in Colorado. Ist das der notwendige Ausgleich zum Tourleben?

Joe Cocker: Hier kann ich total abschalten, denn es ist am Rande der Wildnis – nicht einmal mein Mobiltelefon funktioniert dort. Bären würden bis in unseren Garten kommen, wenn ich nicht zwei Hunde hätte. Wir züchten Paprika und Tomaten – ich liebe es, jeden Tag nach ihnen zu sehen, diese Pflanzen zu pflegen. Neulich kam sogar ein TV-Team zu uns, um eine Reportage über die Geschichte der Tomaten zu drehen. Es gibt tausend verschiedene Tomatensorten. Auf Tour bekomme ich immer Samen von seltenen Sorten geschenkt, die ich dann anpflanze.

Klingt sehr friedvoll! Du liest aber auch gerne Bücher über die Geschichte von Kriegen…

Joe Cocker: Aber nur, weil ich überzeugter Pazifist bin und verstehen will, wie sie entstanden sind bzw. entstehen. Ich habe viel gelesen, beschäftige mich aber jetzt nicht mehr damit. John und Yoko haben schon zu meiner Zeit gesungen bzw. gepredigt ‚Give Peace A Chance‘. Jetzt ist 2013 und wir wissen alle, was aktuell in Syrien oder Mali abgeht. Traurig, aber wahr: So lange der Mensch existiert, wird es auch Kriege geben!

Gibt es etwas in deiner Karriere, das du bereust?

Joe Cocker: Okay, die Alkoholsucht hätte ich gerne ausgelassen. Aber was mich wirklich wurmt: Ich habe nie ein Instrument gelernt, deshalb kann ich auch keine Songs selbst schreiben. Als Kind wollte ich zwar Klavier lernen, aber mein Vater meinte, dass in unserem Haus nicht einmal genug Platz sei, um denn Mantel über die Schultern zu schwingen – da käme ihm sicher kein Klavier ins Haus.

Manche der Songs auf deinem neuen Album ‚Fire It Up‘ klingen wie ein akustischer Rückblick auf dein Leben. Denkst du ans Aufhören?

Joe Cocker: Keine Ahnung, wie viele Alben und Tourneen noch in mir drin stecken. Ich liebe das Performen noch immer, das ist mein Leben. Andererseits ist es im Popgeschäft mit riesigen Shows auf riesigen Bühnen auch eine große Verantwortung. Und man muss wirklich fit fürs Reisen sein. Ich würde ja gerne einmal meiner Sehnsucht nachgeben, ein Bluesalbum aufzunehmen. Aber das jagt allen Beteiligten große Angst ein.

Wem denn? Den Leuten von der Plattenfirma?

Joe Cocker: Nicht nur denen. Sogar mein eigener Manager war nicht begeistert von der Idee. Alle glauben, dass das ein kompletter Flop wird. Außerdem bin ich doch in Sachen Pop nach wie vor so erfolgreich. Alles Schnickschnack! Irgendwann werde ich das Album einfach selbst produzieren und veröffentlichen, ohne aufgeblasenes Kommerzlabel im Hintergrund! Das kann ich mir noch leisten…

Richtig so! VOLUME freut sich auf den Blues von Joe Cocker.