Wohnst du schon?

Sophia & Benjamin

Unser liebenswürdiges Chaospärchen für kontroverse Ansichten zu völlig unerheblichen Themenkomplexen hat den folgenden Inhalt schon einige Male sanft wie ein sich schmiegendes Perserkätzchen gestreift: Da ging es um Wohngemeinschaften, Wohnungsparties oder Zimmer, in denen man nach durchzechten Nächten erwacht. Aber heute spalten sie den Kern des Pudels des Problems: Wie wohnt man eigentlich wann, welche Wohnsünden hat man im Kasten und was wäre wohnenswert? Hier die Antworten:

Sophia

Wenige Wochen nach der Matura verließ ich fluchtartig das elterliche Nest. Ich zog in eine Ein-Zimmer-Wohnung, direkt über einem Döner-Laden. Immerhin mit Balkon. Im Drehspieß-Odeur richtete ich mich ein. Ich war stolz auf meine Bude. Bis ein etwas älterer Bekannter bei einem Besuch abfällig bemerkte: „Bei dir ist ja mehr so der Kinderzimmer-Style angesagt!“. Ich war zutiefst verletzt, aber natürlich hatte er recht, ich hatte zuhause einfach alles eingepackt, was so rumgelegen war. Nach dieser Grundsatzkritik musste ich natürlich handeln. Meinen eigenen Stil definieren, ein neues Ich erschaffen. Kurz darauf zog ich in eine WG, weil es mir alleine zu fad war (ich brauchte noch 10 Jahre und 8 weitere WGs um zu erkennen, wie herrlich alleine wohnen ist). Mein neues Zimmer inklusive aller Möbel strich ich blutrot. Die Vorhänge und die Bettwäsche waren türkis und die abgeranzten Dielen zierte ein lila Flokati.

Noch experimenteller war zu der Zeit nur meine beste Freundin eingerichtet. Sie strich eine Wand ihres 8 m² Zimmers hellblau, auf den Rest hatte sie dann keine Lust mehr. Dafür schrieb sie mit weißer Farbe „C’est dur d’etre cool“ auf das Blaue, eine Reminiszenz an das Chicks On Speed -Video zum Song Kaltes, klares Wasser. Aus von der Baustelle geklauten Paletten baute sie sich ein wackeliges Hochbett mit einer noch wackeligeren Leiter, die regelmäßig umfiel, vor allem wenn man versuchte das Bett betrunken zu erklimmen. Zweimal verschafften ihr diese Stürze ein blaues Auge. Flokati gab es auch, braunen, besonders zotteligen. Sie benutzte ihn als Vorhang, das sah aus als hätte man zwei Bisons gehäutet und vors Fenster gehängt.

Wir fanden uns sehr cool. In den darauffolgenden Jahren zog ich unheimlich oft um, weshalb mein Stil sich vor allem dadurch definierte, dass ich keinen hatte. Mein Stil hatte wenig Entfaltungsmöglichkeiten, musste immer in ein paar Kisten passen. Erst als ich meine jetzige Wohnung in Berlin bezog, habe ich wieder angefangen, mir über Einrichtung Gedanken zu machen. Ich hatte nichts und so kaufte ich ein Bett, Regale, Schränke, Stühle, vieles über Ebay-Kleinanzeigen und beim Trödler, weil ich keine Lust auf Ikea-Chic hatte. Befreundeten Künstlern begann ich Bilder abzukaufen, sah mich in 30 Jahren steinreich das rote Eröffnungsband eines imposanten Museums durchschneiden, das ich für all diese mittlerweile unfassbar wertgesteigerten Werke erbaut hatte. Doch momentan wohne ich noch nicht so, wie ich mir das erträume. Meine Wohnung ist süß, verfügt über einen sonnigen Balkon und eine Badewanne, aber sie ist einfach viel zu klein.

Eines Tages möchte ich in einer alten Stadtvilla wohnten, mit einem großen verwilderten Garten und einem Treppenhaus, das ungefähr die fünffache Größe meiner jetzigen Wohnung hat. Ich möchte es durchschreiten. Mit einem Schlafzimmer in dem nur ein Bett steht und einem Arbeitszimmer in dem sich nur ein Tisch und vielleicht noch ein Stuhl befinden. Ich wünsche mir große Wände, an die ich große Kunstwerke hängen werde. Letzte Woche habe ich ein Bild gekauft, es misst 125 cm x 180 cm. Definitiv zu groß für meine jetzige Wohnung. Es wird Zeit für die Villa.

Benny

Nach unzähligen Jahren in WGs mit grauenvoller Einrichtung und meistens noch grauenvolleren Mitbewohnern, habe ich mich vor knapp zwei Jahren erstmals ganz alleine niedergelassen. Und zwar in einer supersüßen kleinen Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung in Wiens supersüßem fünften Gemeindebezirk. Und das Beste:  Zum allerersten Mal habe ich vollkommen freie Hand bei der Innengestaltung! Keine Kompromisse mehr mit IKEA-Billy-Regal-Fetischisten und der zweckmäßigen Anti-Perserteppich-Fraktion („Weißt du, wie viel Staub und Dreck sich da einfängt? Ist ja mega unhygienisch!“). Endlich bin ich an der Reihe! Ich warte seit meinem Einzug hier nur noch auf einen Anruf von ‚Schöner Wohnen‘, die eine Homestory über mich und mein reizendes Domizil machen wollen. Noch nirgends habe ich mich wohler gefühlt, als in meinem kleinen Reich voller Wunder, Glanz und Gloria. Wohin das Auge auch Blickt – immer gibt es etwas zu entdecken! Mobiliar, Wohnaccessoires und Souvenirs, liebevoll gesammelt und wegen bösartiger Mitbewohner jahrelang in Kisten und Kellerabteilen verstaut – endlich haben sie den Raum und die Präsentationsfläche, die sie verdienen. Oder?

Letztens – mein Freund Martin und ich sitzen gerade gemütlich auf meiner geblümten Samtcouch im Wohnzimmer und lauschen Nina Hagens Stimme auf Schallplatte, während wir Rotwein aus neonpinken Plastikweingläsern trinken – vernehme ich ohne Vorwarnung: „Benjamin, du wohnst wie eine schrullige, psychisch labile Seniorin.“ Irritiert blickte ich ihn an, wie er da sitzt, vor einer meiner Wände, die alle von oben bis unten mit mehr oder minder künstlerisch anspruchsvollen Gemälden in vergoldeten schnörkeligen Rahmen zugehängt sind. Rechts über seiner Schulter starrt mir ein, in grellen Leuchtfarben gehaltenes, Abbild der Heiligen Maria samt Jesuskind im Arm halb vorwurfsvoll, halb belustigt ins Gesicht, als würde sie sagen wollen: „There you go! Finally someone said it.“

Als hätte mein gesamtes soziales Umfeld diese Bemerkung unterbewusst aufgeschnappt, geht seitdem kaum ein Tag vorbei, an dem nicht jemand auf mehr oder weniger vorsichtig kritisierende Weise meine Wohnumstände zu kommentieren vermag. Von „Wie kannst du dich in diesem Tuntenbarock-Albtraum nur wohl fühlen?“ über „Findest du diese vielen Katzenbilder nicht ein kleines bisschen too much?“ bis hin zu „Sollte jetzt spontan ein Feuer ausbrechen, könntest du wahrscheinlich nicht einmal den Flammen entkommen, bei der Menge an Ramsch, die den Weg zur Wohnungstür blockiert.“

Ich weiß nicht so recht, ob ich mich beleidigt oder belustigt fühlen soll. Immerhin habe ich die letzten Jahre damit verbracht, mich durch die Innenausstattung meiner ersten eigenen Wohnung selbst zu verwirklichen, mein Innerstes durch Mobiliar und Dekoration wiederzugeben und meinen vier Wänden einen Teil meiner Seele einzuhauchen. Dieses ist mir dann auch recht gut gelungen, wie ich hier in aller Bescheidenheit feststellen möchte. Es fällt mir schwer, nachzuvollziehen, warum man sich nicht einfach mit mir freuen kann, über dieses Kleinod von  goldlamettabehangener plüschiger Gemütlichkeit. Es muss nicht immer cleanes Understatement sein. Das ist so 2012. Ein bisschen Persönlichkeit, ein bisschen Over-The-Top-Realness, meine Lieben. Die Würze im Alltag. Das ist es, was uns ganz im Allgemeinen fehlt. Meine Devise – beim Wohnen und im Leben: Mehr ist mehr!