Weihnachtszauber!

Hat die Kelly Family Weihnachten zerstört?

Vorweihnachtszeit, Feiertage, Festtagsstimmung. Was ist nur aus dieser einst verzauberten Stimmung geworden, die uns als Volksschulkinder wie ein Märchen erschien? Sophia schwelgt in der Vergangenheit, während Benny uns mit der harten Gegenwart konfrontiert…

Sophia:

Am ersten Dezember ging es los. Draußen war es noch dunkel und ich sprang gegen sechs Uhr putzmunter aus dem Bett, um mir meine Adventkalender vorzuknöpfen. Es waren mindestens drei (zwei von den Omis, einer von der Mama, manchmal noch dazu geschenkte Schoki-Kalender) – ein regelrechter Marathon. Dann spazierte ich frohen Mutes in die Schule, wo sich wochenlang alles nur um Bastelnachmittage, Grippenspiele proben und Weihnachtslieder singen drehte. Von der Jungfrau Maria über den Weihnachtsengel bis hin zum Esel (ungern) habe ich sämtliche Rollen mit Bravour gemeistert, noch heute kann ich die Anfangszeilen der Verkündigung auswendig: „Fürchtet euch nicht, denn siehe, ich verkünde euch große Freude und…äh…“.

Meine Mama organisierte todesmutig Keks-back-Nachmittage für bis zu sechs kleine Fratzen und wir durften stundenlang mit Zuckerglasur, Dekoperlen und Marzipan unsere Kreativität ausleben bis wir von oben bis unten verklebt waren. Ausflüge auf den Christkindlmarkt waren wie die Reise ins Fantasialand, alles glitzerte, knisterte und roch nach gebrannten Mandeln. Draußen lag natürlich Schnee und ich verbrachte die Nachmittage auf dem nahegelegenen Schlittenberg (der mit der vereisten Schanze), wenn die Straßenlaternen angingen, musste ich nach Hause gehen. Wir bauten Iglus und wälzten uns stundenlang in der weißen Pracht bis unsere Mützen mit kleinen Eisknödelchen übersät waren. Weihnachten war natürlich der Höhepunkt: Der Baum, die Geschenke, der Kerzenschein, das lange Aufbleiben. Leider ging es jedes Jahr zu schnell vorbei.

Wann genau ist dieser Zauber verflogen? Im frühen Teenageralter kommt unweigerlich der Punkt, wo man so ziemlich alles Traditionelle oarsch und urpeinlich findet. Verweigern, mit meinen Freunden heimlich Bier trinken und der Oma kein Bussi mehr auf die Backe geben. Der erste Schritt zur Entzauberung der Vorweihnachtszeit.

Ab dem 17. Lebensjahr kam dann hinzu, dass ich anfing, auf einem Weihnachtsmarkt zu jobben. Ich verkaufte Ofenkartoffeln, gegrillte Maiskolben und Glühwein. Um nicht zu frieren, hatte ich 3 Wochen lang permanent ein halbvolles Häferl Glühwein neben mir stehen, der Pegel musste ja schliesslich gehalten werden. Die finanziellen Interessen, nämlich die rapide Aufbesserung des  Taschengeldes (welches ich zu dieser Zeit hauptsächlich für Marihuana-Konsum verpulverte) standen nun im Vordergrund, Weihnachten war nur mehr Mittel zum Zweck. Einzig bei der Auswahl meiner Geschenke versuchte ich nach wie vor den Standard, nämlich Selbstgebasteltes mit Herz, aufrecht zu erhalten. Da ich aber vom ständigen Kiffen etwas phlegmatisch war, kam es nicht nur einmal vor, dass die ganze Familie an Heiligabend schon vollzählig im Wohnzimmer versammelt wartete, während ich in meinem stinkigen Kinderzimmer noch chaotisch Wattewölkchen auf Fotokalender-Blätter klebte. Noch feucht überreichte ich sie meinem hungrig-genervten Bruder und meiner sowieso immer dankbaren Omi. Ein kläglicher Versuch den Zauber von Weihnachten aufrecht zu erhalten.

Mittlerweile sind einige Jahre vergangen und ein klitzekleines bisschen ist der Zauber wieder aufgetaucht. Auch wenn man mit den religiösen Hintergründen wenig am Hut hat, kann man es sich drinnen und draußen gemütlich machen und die Gelegenheit nutzen, seinen Eltern und seinen Liebsten mal wieder zu zeigen, dass man sie irrsinnig gern hat. Es muss ja nicht unbedingt mit etwas Selbstgebasteltem sein. 


Benny:

Alle Jahre wieder fahre ich kurz vor Jahresende über die Feiertage zu meiner lieben Familie in eine idyllische Ortschaft im schönen Oberösterreich. Und alle Jahre wieder das gleiche Spiel. Vielleicht erkennt der eine oder andere Leser selbst Parallelen, vielleicht auch nicht. Wie dem auch sei – Familie kann man sich ja bekanntlich nicht aussuchen…

Der Heilige Abend verläuft in unserem Hause nach festen Ritualen, an deren Regelmäßigkeit sich wohl nie etwas ändern wird – da kann meine liebe Mutter noch so viel Hoffnung, Planung und guten Willen investieren, einige Dinge sind eben, wie sie sind. Nachdem Mama in ihrem Wahn, ihrem Lebenstraum eines perfekten christlichen Kleinfamilienweihnachtsfestes ein Stück näher zu kommen, schon seit Tagen hysterisch backend in der Küche steht – rund um die Uhr in ohrenbetäubender Lautstärke beschallt von ihrem Kelly-Family-Christmas-Album – wird der Rest der Familie zu ganz und gar nicht christlichen Morgenstunden des 24. Dezembers mit den Worten: ‚Aufstehen! Es ist Weihnachten!‘ liebevoll aus den Betten gepeitscht. Sogleich wird Vater ungeachtet der Tatsache, dass jenes Unterfangen am Weihnachtstag dem Stresslevel eines Super-Sample-Sales bei Christian Louboutin gleichkommt, auf die Suche nach einem geeigneten Weihnachtsbaum geschickt.

Während sich unser armer Herr Papa also in quasi allerletzter Sekunde damit abmüht, sich mit anderen unterdrückten Familienvätern um die letzte halbwegs passable (höher als 20 Centimeter, kleiner als 3 Meter) Nordmann-Tanne zu prügeln, werden wir ‚Kinder‘ – mein Bruder und ich sind mittlerweile beide Mitte zwanzig – dazu verdonnert, in Hemd, Krawatte und Anzug bei Minustemperaturen zu Fuß in die rund dreißig Minuten entfernte katholische Dorfkirche zu laufen, um das dort gegen eine freiwillige Spende erhältliche ‚Friedenslicht‘ zu holen. Wir sind übrigens alle evangelisch, nur gibt es in unserem Dorf weder eine evangelische Gemeinde, noch gäbe es dort eine Errungenschaft namens ‚Friedenslicht‘ zu ergattern – solch glamouröse Ideen haben wohl allein die Katholiken für sich gepachtet. Gerne lassen wir uns jedoch bei der Friedenslicht-Tour viel Zeit, denn so entgehen wir einerseits dem Schicksal, unserem mittlerweile schon heimgekehrten Vater beim Dekorieren des Baumes Unterstützung zu leisten und andererseits entkommen wir für kurze Zeit dem menschenunwürdigen Feiertagsgejaule der Kelly Family.

Wieder zuhause angekommen, geht es dann Schlag auf Schlag: kaum schneien wir – Friedenslicht verbreitend – bei der Tür herein, kommt uns mein Vater entgegen, während er aus Richtung Wohnzimmer für den Untergang der Welt verantwortlich gemacht wird. Natürlich hat er beim Baumkauf einen Fehler begangen. Welchen genau, weiß man nie so recht. Für die nächsten Stunden herrscht eisiges Schweigen, nur die Kellys besingen munter weiter die oh so fröhliche Weihnachtszeit. Teilweise sogar auf deutsch. Gegen späten Nachmittag werden wir gezwungen, uns um den ‚grässlichen‘ Baum zu versammeln  und – aus welchem Grund auch immer – das Vaterunser aufzusagen. Danach werden, immer noch schweigend, Geschenke und Alkohol verteilt, bis einer besoffen genug ist, um entweder in Tränen auszubrechen oder aber sein Glas in Richtung des CD-Players zu schleudern, um dieser Folter ein Ende zu bereiten. Ich bin mir ziemlich sicher: Die Kelly Family hat Weihnachten zerstört.