Es war einmal HipHop 4 - It's about keeping it right

Er wird zurecht gern als der ‚Vater‘ der HipHop-Kultur bezeichnet, aber dennoch ist er vielen kein Begriff. Wie Kool Herc zu seinem Titel kam und warum er für einige Zeit fast vergessen wurde, erfahrt ihr in der heutigen Ausgabe von ‚Es war einmal HipHop‘!

1967 zieht ein zwölfjähriger Jamaikaner namens Clive Campbell gemeinsam mit seinen Eltern und seiner jüngeren Schwester von Kingston nach New York City. Nichts Ungewöhnliches, denn zu dieser Zeit lebten bereits einige Bewohner dieser „Perle der Karibik“ im Big Apple. Er stach in der Schule besonders durch seine sportlichen Leistungen heraus. Gepaart mit seiner

mächtigen Statur führte das zu seinem Spitznamen Hercules, der sich bald zu Herc verkürzte. Außerhalb der Schule erlangte Clyde lokale Bekanntheit durch seinen „Tag“-Namen „Clyde as Kool“, den er großzügig auf den Wänden seiner Gegend verteilte. Sein Vater weckte in ihm das Interesse für Musik und Platten. Campbell Senior besaß nicht nur eine umfangreiche Plattensammlung, sondern auch ein äußerst leistungsstarkes Soundsystem, das er sich für seine Band zugelegt hatte. Herc begann bei den Konzerten seines Vaters aufzulegen und bald auch eigene Partys zu organisieren. Für diese lieh er sich die besagte Anlage aus und nahm den uns schon bekannten Namen Kool DJ Herc an.

Durch seine vielfältige Musikauswahl und die legendäre Leistung des väterlichen Soundsystems – das er Herculoids taufte – hatte sich Herc schnell einen Namen gemacht,

so dass er am Abend, der zur Geburtsstunde der HipHop-Kultur werden sollte, längst eine lokale Größe war. Nach dem bereits geschilderten Sommerabend 1973 stieg sein Bekanntheitsgrad schlagartig an. Er füllte immer größere Hallen und hatte in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts sogar eine ganze Crew aus MCs bzw. DJs wie Coke La Rock, Clark Kent, den Tänzern Nigga Twins oder eine der ersten weiblichen MCs Pebblee-Poo unter dem Namen „The Herculords“ um sich versammelt. Doch als HipHop 1979 zur weltweiten Bewegung aufstieg, war von Herc nichts mehr zu sehen. Kaum jemand kannte ihn und wusste um seine Bedeutung für die Kultur. Auch heute noch ist Kool Herc vielen kein Begriff.
„Hip-hop had set sail, and Kool Herc, formerly the ship’s captain, had missed the boat.“ Marshall Wayne in Icons of Hip Hop
Was war geschehen? Warum war Herc nicht auf den Zug aufgesprungen und warum gibt es keine Aufnahmen von ihm?
Herc selbst gibt einen Vorfall auf einer Party 1977 als Grund an. Bei einer seiner Veranstaltungen kam es am Eingang zu einem Streit. Als Herc schlichtend eingreifen wollte, wurde er durch drei Messerstiche lebensgefährlich verletzt. Nachdem er einige Wochen im Krankenhaus verbringen musste, begab sich Herc zwar bald wieder hinter seine Turntables, aber er war nicht mehr der Gleiche. Er konnte auch nicht mehr an seine früheren Zeiten anschließen. Als DJs durch die ersten Plattenveröffentlichungen von Rappern mehr und mehr aus dem Rampenlicht verdrängt wurden, zog sich auch Herc immer mehr aus der Öffentlichkeit zurück.

1984 erschien er noch einmal im zweiten Hollywood HipHop-Film „Beat Street“ (als er selbst), bevor er seinen vorerst letzten Auftritt absolvierte. Danach

verschwand er für einige Zeit ganz aus den Scheinwerfern der öffentlichen Wahrnehmung. Das hatte unter anderem mit dem Tod seines Vaters und einer nachfolgenden Drogensucht zu tun. 1987 kam Herc sogar für kurze Zeit wegen Drogendealens ins Gefängnis. In einem Interview mit Davey D von 1989 meinte Herc, dass er eigentlich nie ganz weg war, sondern das Geschehen vom Rand aus betrachtet. Er sei immer „the people’s choice“ gewesen. Herc legte auf, weil die Leute es wollten und ihn darum baten. Zum Zeitpunkt des Interviews hatte er jedoch das Gefühl, dass die Zuhörer ihn nicht mehr haben wollten, sie wollten ihn „to get out“.
In 90ern bekam Herc wieder etwas mehr Aufmerksamkeit. Unter anderem hatte er Gastauftritte auf dem Album des Public Enemy -DJs Terminator X und dem Song „Elektrobank“ der britischen Gruppe „Chemical Brothers“.

Erst seit dem letzten Jahrzehnt ist Kool Herc wieder vermehrt in der öffentlichen Wahrnehmung präsent und bekommt den Respekt, den er meiner Meinung nach schon lange verdient hat.

2007 kämpfte er erfolgreich gegen den Verkauf von 1520 Sedgwick Avenue. Seitdem wird diese Adresse von der Stadt New York auch offiziell als „Geburtsort von HipHop“ anerkannt. 2009 erschien ein Kinderbuch mit DJ Kool Hercs Geschichte. Sie soll als Beispiel für Kinder dienen,

um ihnen zu zeigen, wie man aus einer schwierigen Situation etwas Positives entstehen lassen kann.
2011 musste sich Herc einer Gallenstein-Operation unterziehen. Da er jedoch wie viele Amerikaner keine Krankenversicherung besitzt, konnte er sich selbst die Operationen nicht leisten. In dieser Situation erwiesen dem „Father of HipHop“ viele ihren Respekt, indem sie ihm Spenden zukommen ließen bzw. wie DJ Premiere zu Spenden aufriefen. Durch dieses Engagement konnte Kool Herc die Operation durchführen lassen und setzt sich seither für eine leistbare Krankenversicherung für alle ein.
Beenden möchte ich diese Ausgabe zu Kool Hercs bisherigen Leben mit einem Satz, den er in dem von ihm verfassten Vorwort für das Buch „Can’t Stop, Won’t Stop“ von Jeff Chang geschrieben hat, mit dem er seinem Titel als „Father of HipHop“ alle Ehre macht: „It’s not about keeping it real, it’s about keeping it right.“

In den nächsten Ausgaben werden wir uns den Werdegang zweier DJs ansehen, die von Kool Herc beeinflusst, selbst anfingen, aufzulegen und in weiterer Folge HipHop als Kultur etablieren und auf eine neue Ebene stellen sollten. Es handelt sich dabei um die beiden DJs Afrika Bambaataa und Grandmaster Flash. Wie also aus einem Warlord der „Godfather of HipHop“ wurde und ein Elektrotechniker das DJing revolutionierte, erfahrt ihr nächste Woche, wenn es wieder heißt: „Es war einmal HipHop“.

P.S.: Wie jedes Monat gibt es am letzten Donnerstag im Monat die ‚Es war einmal HipHop‘-Radioshow zu den vier vorhergehenden Kolumnen. Auf Radio Orange (94.0 oder per livestream auf www.o94.at) ab 23 Uhr! Tune in!