Di, 20. Okt 2015

Fantastisch ohne Plan

Marius Müller Westernhagen im Interview

Sein Song ‚Freiheit‘ ist die unvergessliche Hymne der deutschen Wiedervereinigung, mit über elf Millionen verkauften Platten zählt er zu den erfolgreichsten Künstlern seiner Heimat: Marius Müller Westernhagen kann auf eine sensationelle Karriere zurückblicken – als Musiker und auch als Schauspieler. Aber warum in Erinnerungen schwelgen, wenn es noch so viel zu erleben gibt? Vor allem in so spannenden Zeiten wie diesen! Im Interview spricht das Alphatier über Befreiungsschläge, die Verantwortung des Künstlertums, Utopien und ein 20. Studioalbum.

Ist Marius Müller Westernhagen ein Alphatier?

Die Presse hat mich oft so bezeichnet – was sich auch nicht vermeiden lässt ab einem gewissen Erfolgs- bzw. Bekanntheitsgrad. Ich bin und bleibe eben ein perfektionistischer Workaholic. Aber nicht, wenn es um Musik geht – weil gerade dann fantastische Dinge passieren, wenn sie nicht geplant sind. Ich bin auf die Idee ‚Alphatier‘ gekommen, als ich auf einer Safari war. Dort sind wir fast von einem Elefantenbullen angegriffen worden – meine erste Inspiration zu diesem Albumsong, der natürlich in gewissen Maßen auch ironisch gemeint ist, klar!

Dieses Album soll angeblich ein Befreiungsschlag sein – von was musstest du dich genau mit dieser 19. Studioplatte befreien?

Diese Aussage von mir hat natürlich mit meiner privaten Situation zu tun gehabt, über die ich aber öffentlich nicht reden möchte. Fakt ist: Ich hatte einfach wahnsinnig viele Gründe wieder zu musizieren. Hinzu kamen meine Reiseerfahrungen in Südafrika: Ein wunderschönes Fleckchen Erde, aber bestimmt von sozialen Ungleichheiten und politischen Missständen. Gerade die Leute in der Unterschicht werden vollkommen verarscht. Wahrscheinlich fing ich darum auf einmal wieder an, politische Texte zu schreiben. Jetzt, wo Popmusik immer belangloser wird, ist es wichtig, dass man als Künstler offen Stellung bezieht. Im Augenblick scheint es eher düster als hell – so entstand diese Platte, die aber trotzdem nicht hoffnungslos ist, sondern gewaltige Kraft und vor allem Mut ausstrahlt!

Um eine Textzeile zu zitieren aus ‚Liebe‘ : ‚Freiheit, Freiheit für alle Rassen, für alle Kulturen, für die Medien, für die Kunst, für die Junkies, für die Huren,…‘ – inwieweit siehst du deinen Wunsch im Jahr 2015 erfüllt?

Wir sind meilenweit von dieser Utopie entfernt! Wir leben dafür in einer Zeit, die von einer politischen Brisanz geprägt ist, welche ich so bisher noch nie erfahren habe. Dieser Eindruck bestätigt sich auch bei Gesprächen mit Leuten aus der Politik oder Journalisten. Die Menschen sind ziemlich ratlos, was im Augenblick gerade weltweit passiert – ein Nachteil der Globalisierung! Warum? Wenn irgendwo ein Problem auf der Welt entsteht, hängen jetzt alle mittendrin. Ich behaupte heute immer noch, dass ohne Computerkommunikation internationaler Terrorismus gar nicht möglich wäre! Natürlich ist technologischer Fortschritt eine super Sache, aber wir haben auch mit den Begleiterscheinungen schwer zu kämpfen im Augenblick.

Du hast vorhin bereits von einer Verantwortung des Künstlertums gesprochen.

Es gibt heute so gut wie keine Polarisierungen oder Kontroversen mehr in der Kunst, weil jeder mit jedem mauschelt und sich niemand die Finger verbrennen möchte. Ganz im Gegenteil, alles ist wie glatt geleckt. Man könnte hier auch von kollektivem Gehorsam und vorauseilender Feigheit sprechen. Unsere moderne Popmusik vermittelt keine relevanten Inhalte mehr, weil keiner bereit ist wirklich das auszusagen, was er oder sie denkt.

Gibt es aktuell Bands oder Musiker, die Marius Müller-Westernhagen inhaltlich und künstlerisch überzeugen?

Natürlich! Es ist nicht so, dass es heutzutage weniger Talente gibt – auch aus Österreich stammen einige starke Newcomer, die Namen sind allseits bekannt. Das Gute an dem Zerfall der Unterhaltungsindustrie ist doch, dass Mann oder Frau heute nicht mehr innerhalb kürzester Zeit mit Musik sehr reich werden kann. Kurzfristig sehr berühmt durch Castingshows vielleicht, aber das bricht zum Glück immer wieder schnell zusammen. Wenn Leute heute Popmusik produzieren und damit bestehen wollen, müssen sie es wieder aus den richtigen Motiven machen! Nämlich wegen der Kunst und weil sie sich dazu getrieben fühlen sich auszudrücken. Nur muss ich in diesem Zusammenhang, auch wenn ich pauschalisiere, die Unterstützung der etablierten Medien stark kritisieren: Ich weiß zum Beispiel, dass es so gut wie unmöglich ist, einen Song mit Gitarrensolo ins führende Radioformat ‚Adult Contemporary‘ zu bringen. Wahnsinn, oder? Was Rockikonen wie Jimmy Hendrix und Co wohl heute dazu sagen würden…

‚Alphatier‘ lässt dafür die Gitarren aufheulen. Wie zufrieden bist du nach dem 19. Mal mit dem Albumendergebnis?

Das erste Album in meiner Karriere, an dem ich absolut nichts ändern würde – wirklich! Ich habe so ein Glück mit dieser Band: Nach einer Woche im Studio in New York City war das so, als hätten wir schon zehn Jahre zusammen gespielt! Da herrscht fast Liebe unter uns. Deswegen haben wir im letzten Jahr eine kleine Clubtour gespielt, bei der wir ausschließlich Songs aus ‚Alphatier‘ vorgetragen haben. Wieso? Weil wir alle der Meinung waren, dass wir etwas Wertvolles geschaffen haben. Finanziell hat das Ganze natürlich so gut wie nichts eingebracht, dafür waren die enthusiastischen Publikumsreaktionen sehr berührend und einfach unbezahlbar.

Berechtigte Frage, nachdem du bald in der Alpenrepublik gastierst: Gibt es österreichische Künstler, mit denen du gerne zusammenarbeiten würdest?

Warum nicht? Jedoch kommt es immer darauf an, ob und wie die Chemie stimmt. Ich habe erst kürzlich mit Sido aufgenommen. Auf den ersten Blick scheint diese Kombination schier unmöglich. Aber das hat einfach super gepasst, auch wenn wir musikalisch aus verschiedenen Ecken stammen und natürlich ein gewisser Generationsunterschied existiert. Wie ich eingangs schon erwähnt habe: Es passieren gerade dann fantastische Dinge, wenn sie nicht geplant sind oder aus logischen Gründen unmöglich erscheinen. Sollte also jemand aus Österreich gerne mit mir arbeiten wollen, dann kann er sich jederzeit bei mir melden. Entscheiden wird sich das Ganze immer in einem persönlichen Gespräch, ob man da künstlerisch wie auch gefühlsmäßig eine gemeinsame Basis findet.

Bewerbungen können ja gerne bei deinem Konzert im Wiener Museumsquartier abgegeben werden. Darum passt diese Frage auch zum Abschluss: Wird es denn überhaupt ein 20. Studioalbum von Marius Müller Westernhagen geben, sprich ein Jubiläum?

Ich hoffe es doch! Es ist noch nichts geschrieben, weil ich gerade mit meiner Lebensgefährtin an ihrem nächsten Album arbeite und ich mich immer nur auf eine Sache konzentrieren kann. Aber ich schätze mal, dass ich auch bald wieder anfange zu schreiben, weil ich so unglaublich viel Freude mit meiner Band habe. Davon können sich auch alle Wiener und Wienerinnen gerne live überzeugen…

Absolut! VOLUME bedankt sich und empfiehlt Westernhagen live!