So, 28. Aug 2011

'A Solitary Man' lädt zum Plaudern - Jonathan Jeremiah im Interview

Ein Album zu machen ‚war die natürlichste Sache der Welt‘ – selbst wenn es sieben Jahre dafür braucht.

Wien ächzt und stöhnt unter der sengenden Hitze, doch auf dem Dach des Flemings Hotels am Neubaugürtel ist es schattig und kühl. Hier hat VOLUME Jonathan Jeremiah, den neuen Stern am Himmel der Singer und Songwriter getroffen, der seit dem Release seines Debuts „A Solitary Man“ von Kritikern in ganz Europa mit lobenden Worten überschüttet wird. Sieben Jahre hat er gebraucht seine elf Songs auf Platten zu pressen, aber Schweiß und Mühe haben sich ausgezahlt. Der Londoner wirkt mit sich und der Welt im reinen, als er es sich auf den Korbsesseln der Hotelterrasse bequem gemacht hat; dunkelbraune Locken, Vollbart, blitzend weiße Zähne und ein rotes Seidentüchlein um den Hals geschlagen – exzentrisch und charmant zugleich – plaudert er mit VOLUME in feinstem Englisch über die vergangenen sieben Jahre.

Hi, am 5. August hast Du dein Debutalbum veröffentlicht, und seit dem Tag schreit alle Welt nach DEM Jonathan Jeremiah.

Ja, ich bin ziemlich beschäftigt (lacht).

Was ist das für ein Gefühl über Nacht von einem Niemand zum umjubelten Star zu werden?

Ich hab meine Zwanziger im Studio verbracht, niemand mein Zeug vorgespielt, und plötzlich wirst du gesigned, kriegst einen Plattenvertrag und bringst deine Songs raus…es ist unglaublich. Vor kurzem war ich in Holland und Belgien, dann kam mein Album in Deutschland raus. Grad bin ich aus Zürich zurückgekommen, jetzt in Wien, und hier find ich es wirklich fantastisch. Wahnsinnig inspirierend zum Schreiben.

Was inspiriert dich denn an Wien?

Wenn ich schreibe, dann brauch ich ein neues Erlebnis, irgendein Ereignis, einfach so drauf los geht das nicht. Im Englischen nennen wir es „out of the blue“, um kreativ zu sein, brauchst du etwas, abseits vom grauen Alltag. Wenn du interessante Leute triffst, eine nette Nacht verbringst, so wie ich das gestern getan hab, mit ein paar guten Flaschen Rotweinen, dann ist das richtig inspirierend. Ich war sehr früh auf, heute Morgen, und hab geschrieben. Hab die tolle Aussicht hier genossen und dass es ist so heiß wie in Marokko.

Wie kam die Entscheidung, ein Album zu produzieren. War das ein Einfall, der dich über Nacht überrumpelt hat, oder…

Meine Eltern dachten immer, aus mir würde mal ein Chirurg oder ein Anwalt. Zumindest haben sie das gehofft. Ich aber hab mir in den Kopf gesetzt Musiker zu werden und meine Mum und mein Paps haben das nicht so gut gefunden. Deswegen hab ich meine Pläne immer für mich behalten. Weißt du, ich hatte so viele Jobs, ich hab als Sicherheitsbeamter gearbeitet, in Fabriken Boxen verpackt, mich als Designer versucht. Aber nichts hat sich wirklich natürlich angefühlt. All das hat bloß meine Musik finanziert. Ich weiß nicht, ob es eine bewusste Entscheidung war, eines Tages, so auf „Hey, Leute, heut schreib ich ein Album“, für mich war es einfach die natürlichste Sache der Welt.

Sieben Jahre, elf Songs. Wieviel Lieder waren das pro Jahr, kann man das herunterbrechen?

Manche Songs nimmst du sehr schnell auf, andre brauchen fünf oder sechs Jahre. Sie entwickeln sich und reifen über die Zeit. Und sie kommen nie alleine, sondern immer in Bündeln. Heut etwa hab ich einen Neuen geschrieben und vielleicht bin ich morgen zum Nächsten inspiriert, wenn ich mehr von der Stadt gesehen habe. Genauso gut kann ich sechs Monate verbringen, ohne eine einzige Zeile geschrieben zu haben. Und dann kommt meine Plattenfirma, und fragt: „Jonathan, warum schreibst du uns nichts Neues?“. Weil du nicht einfach bloß um den Schreibens willen schreibst, sondern etwas brauchst, worüber du schreiben kannst.

Was hast du gemacht, wenn dir während der Produktion das Geld ausgegangen ist?

Ich war noch nie richtig flüssig, hab nicht einmal den Führerschein gemacht, weil’s zu teuer war. Jahrelang mein Zimmer mit einem andren Kerl geteilt und auf dem Sofa geschlafen. Das Aufnehmen war wie eine Sucht. Ich hab mir nie Drogen leisten können, deswegen war ich süchtig nach dem Studio (lacht). Nein, das Studio war leider auch nicht so billig. Ich hatte nicht viel Zeugs und nie etwas andres, auf das ich mein Geld ausgeben wollte. Meine Eltern haben mich einen Exzentriker genannt, ein wenig verrückt haben sie mich gefunden.

Wer hat dich in dieser Zeit unterstützt?

Ehrlich gesagt, hat das niemand getan, und das war mir auch recht so. Ich hab’s nie gemocht, jemand andrem zu folgen. Das war auch der Grund warum ich nicht auf die Jagd nach einem Plattenvertrag gegangen bin. Gebettelt hab: „Bitte finanziert mir mein Album.“ Ich wollte in meinen Plänen nicht von den Visionen andrer gestört werden. Ich hab genau gewusst, was mein Ziel war, und dass es lange dauern würde, es zu erreichen. Dafür hab ich keinen Guru gebraucht, der mir den Weg gewiesen hätte.

Hattest du Idole, zu denen du aufblickt hast?

Einige, aus unterschiedlichen Gründen. Ich war ziemlich in Motown, und die Art und Weise wie die Musiker damals aufgenommen haben. Diese Geschichten, dass sie ihr Schlagzeug auf den Boden festnagelten, damit es niemand bewegen konnte, und die bestimme Art von Mikros, die sie benutzten. Und dann George Martin und die Beatles und Brian Wilson, der mit den Beach Boys „Pet Sounds“ produzierte. Ich hab wie besessen Informationen darüber gesammelt, wie diese Menschen Musik gemacht haben.

Wenn du deine Musik in wenigen Worten beschreiben müsstest…wie würde sich das anhören?

Ich finde, wenn du deine eigene Musik beschreibst, hört sich das immer ein bisschen eingebildet an. Die größte Bedeutung hatte für mich, dass mein Album nicht nach sechs Monaten wieder in den Müll gekippt wird. Es gibt diesen aktuellen Trend, alles sehr 2011 zu machen, alles super modern. Aber kaum ist ein andrer Musikstil angesagt, werden all diese Alben, ohne mit der Wimper zu zucken, einfach wieder entsorgt. Es fühlt sich so an, als würden wir momentan immer nur einer bestimmen Musikrichtung folgen. Zumindest in der Popkultur. Und das ist wirklich schade, es sollte viel mehr Raum für Individualität geben. Ich muss aber auch sagen, derzeit hab ich wieder das Gefühl, dass starke Sänger auf Eroberungskurs sind. Adele etwa, macht sich wirklich großartig, und dann gibt’s da noch die englische Sängerin Rumer, die einfach wundervoll ist.

Letzte Frage: Was ist dein Lieblingwort aus einer fremden Sprache?

Ich versuche ein wenig Deutsch zu lernen, aber ich bin nicht sehr gut darin. Heißt es „schon“? Was heißt „beautiful“ in Deutsch? „Schön“ ist ein tolles Wort. Ich werd versuchen, es in einen meiner Texte einzubauen. Das würd zumindest gut ankommen, bei Euch, den Deutschen und einem kleinen Teil der Schweiz.