2014
26
Sonntag Oktober

Sierra Kidd

B72 Hernalser Gürtel 72-73, 1080 Wien
Einlass: 20:00 Uhr Beginn: 21:00 Uhr
  • Abendkasse 0.00
  • Vorverkauf 0.00

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Teilnahmeschluss: 23. Oktober 2014

  • Sierra Kidd

Manchmal gibt es Momente, in denen alles okay ist. Mitten in der Nacht, wenn einen niemand fertigmacht und man sich nicht verstecken muss aus Angst vor denen, die einen ausgesucht haben, nur weil man aus dem falschen Viertel kommt. Wenn man sich kurz mal keine Sorgen machen muss um die sechs jüngeren Geschwister und die Mutter, die alle mit einer Reihe mieser Jobs durchbringt. Wenn die Liebe zum Rap, die vom Vater geblieben ist, mehr zählt als alles, was er mitgenommen hat, als er die Familie verließ. Wenn die Lehrer, die einem Vorträge über Potential halten, das man hätte, wenn man doch nur mal… endlich selbst verstummen, so wie sie auch nie etwas sagen, wenn alle gegen einen sind. Wenn die Hand, die man sich mit voller Absicht und einem Hammer hat brechen lassen, nur um nicht in die Schule zu müssen, ein paar Stunden lang aufhört zu pochen. Wenn man das alles nimmt und in Musik packt, die schlaflos und verträumt ist, schwebend leicht und ein Hieb in den Magen, unfassbar klug und beängstigend gut. Wenn der perfekte Song die beste und die einzige Rache ist.

Sierra Kidd hat nie zurückgeschlagen. „Ein paar Mal hatte ich die Faust schon in der Luft, dann musste ich an die Mutter denken, deren Sohn mit blutiger Nase nach Hause kommt, und ich ließ sie wieder sinken.“ Inzwischen hat er seinen Peinigern sogar verziehen. Wer weiß, vielleicht hätte er selbst mitgemacht, wenn er an ihrer Stelle gewesen wäre und nicht der Junge mit der Großfamilie und der sanften Attitüde, dem es in der besseren Gegend umso schlechter ging.

Das Haus, das sie dort geerbt hatten, kam ohne Schlüssel zur schönen neuen Welt, die in Emden so hässlich sein kann wie überall sonst. Sierra Kidd blieben nur der Schutz des eigenen Zimmers und der Nacht, und seine Texte, die für ihn zum Tagebuch wurden. Während draußen Hypes um Hip Hop und Pop vorbeizogen, biss er sich fest in Zeilen, Reimen und Musik, bis er daraus Glücksmomente schuf.

„Meine Mutter hat gesagt, du darfst nie lügen.“

Und RAF Camora, der inzwischen wie ein großer Bruder hinter ihm steht, hat erklärt, dass einen für die Wahrheit niemand an den Pranger stellen kann. Deshalb macht Sierra Kidd keine dicken Ansagen wie andere Rapper, sondern erzählt nur, wie es ist.

Die Wahrheit trifft am härtesten. Und Sierra Kidd, der seinen Namen hat, weil er jung und lost ist wie ein Wüstenkind, verpackt sie in den schönsten Arrangements, die er kennt. Mit der angenehmsten Stimme spricht er die unangenehmsten Dinge aus, zeichnet Bilder von Rosen, um an ihre Dornen zu erinnern, singt von Ängsten und Sehnsucht und dem Verlorensein, das einen manchmal glauben lässt, man wäre wirklich ein Verlierer. Hallige, orchestrale Musik ist ihm am liebsten, die von Lana Del Ray und Lorde, aber er weiß, das sich mit nichts so viel ausdrücken lässt wie mit Rap, deshalb legt er seine Texte über Beats aus Nebel und Melancholie.

Er selbst kann nur beschreiben, was er hören möchte, RAF schafft für ihn den Sound dazu. Live wird Sierra mit kompletter Band auf der Bühne stehen, auf dem Album reicht die nicht. Hip Hop mischt sich da mit ausschweifenden Elektroklängen und einem Popverständnis, das erst zum Nicken und dann zum unweigerlich zum abgehen bringt. Mal wabern sphärische Gitarren durch den Raum, dann überschlägt es sich, hämmert und fiept, um über sanft gezupfte Saiten in den Splittern eines Hauptstadtclubs zu landen, der ihn eigentlich noch an

der Tür abweisen müsste. Sierra Kidd ist siebzehn.

Eigentlich wollte er sein Gesicht erst an seinem achtzehnten Geburtstag zeigen. Die ersten Tracks stellte er anonym ins Netz, und auch als Hadi El‐Dor seinem Song Kopfvilla entdeckte und so geflasht war, dass er sich dem unbekannten jungen Künstler umgehend als Manager anbot, war klar, dass sie vorsichtig sein wollten. Keine Maske, keine Kunstfigur, nur die Hand vor dem Gesicht und ein Vorhang auf der Bühne. Ein Schutz, falls es doch nicht klappen würde und Sierra Kidd wieder dahin zurück müsste, wo man ihn nicht als Sierra Kidd kannte. Als wäre das überhaupt noch gegangen.

Nachdem die EP zum Song durchschlug und das Internet brodelte, enthüllte ein Fernsehsender seinen Namen und sein Bild. Früher als geplant, aber wer Musik macht, um ehrlich zu sein, kann sich sowieso nicht ewig verstecken.

Sierra Kidd hat nicht geplant, berühmt zu werden, aber wenn er die Chance bekommt, dann gehört sie ihm. Er weiß, dass seine Songs zu weich sind für die Hater. „Menschen, die andere Menschen fertig machen, werden meine Musik nie mögen, weil sie ihnen zu viel vor Augen hält.“ Er braucht kein Mitleid, er hat selbst genug.

Sierra Kidd hat sich alle Artworks und Videokonzepte für sein Album überlegt und den Kreis so klein wie möglich gehalten. Anstatt beim großen Major zu unterschreiben, hat er sich für das Berliner Indie Label Indipendenza entschieden.

Neben RAF Camora als Labelchef und Produzent ist nur Prinz Pi für ein Feature dabei, es hätte noch so viele andere Angebote gegeben. Aber bevor Sierra Kidd seine Melancholie mit anderen teilt, muss er sie erst mal selbst begreifen. Und Musik aus ihr machen, die dafür sorgt, dass es ein paar Momente lang okay ist. Wenn alles gut geht, ist Sierra Kidd bald ein Star.