2019
05
Freitag April

Die Goldenen Zitronen

Flex Donaukanal/Augartenbrücke, 1010 Wien
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Einlass: 20:00 Uhr Beginn: 20:30 Uhr
Die Goldenen Zitronen am 5. April 2019 @ Flex.
  • Die Goldenen Zitronen

Haltung zeigen gilt heute als zentrales Merkel für politische Popkultur. Waren wirda nicht schon einmal weiter? Fanden wird nicht irgendwann mal bloß Haltungzeigen zu ausgelutscht? Zu ausbeutbar, zu umdeutbar in ein Just-Do-It-Rebellentum? Heute, wo sie selbst im tropischen Brasilien, einst Traumland derGlobalisierungskritiker_innen, einen Rechtsradikalen zum Präsidenten wählen,greifen wir wieder instinktiv in die Schublade, dahin, wo die guten altenHaltungen lagern. Und die bewährten Genres gleich daneben. Wir halten sie voruns her wie Schutzschilde. Bella Ciao – komm, wir wärmen uns am altenPartisanenlied! Komm, wir singen Antifa-Stadionpunkrock wie früher!Rebellischer Reggae und Hiphop, hoch die Faust, da wissen wir wenigstens, wowir dran sind. Ein verrauchtes Honky-Tonk-Piano erklingt: „Komm Joe, mach dieMusik von damals nach!“ So heißt es in Brecht’s Dreigroschenoper, die GoldenenZitronen zitieren das. Schon auf einer ihrer früheren Platten (ich weiß nicht mehrwelche) haben sie sich beschwert, warum es immer „Nazis raus!“ heißt, wo dochjeder weiß, dass die Nazis hierher gehören.

So sind die Goldies. Immer voll drauf mit den Waffen der Kritik. Sezieren,aufspießen, Widersprüche polieren. Nörgel, nörgel, mecker mecker. Vielleichtsind die Goldies nach wie vor eine Punkband, aber wenn dem so ist, dann istPunk eine Haltung, die Haltungen (musikalische, inhaltliche) sucht, die es nochnicht gibt. Bei den vergangenen Platten war diese Suche gerne ein kollektivesUnterfangen, die Songs entstanden in Jams und gemeinsamen Debatten. Auf“More Than a Feeling“ sind die Goldenen Zitronen arbeitsteiliger vorgegangen,eher so wie zeitgenössische Hiphop-Produktionen entstehen. Acid, DAF, ErnstBusch, Kendrick Lamar, Punkrock, Störgeräusche, Experimente mit Sequencerund Drummachines: Die Goldies äußern sich immer so, wie es bisher niemandgemacht hat, musikalisch und inhaltlich. Sie interessieren sich für „das schwerBenennbare“, wie es in „Die alte Kaufmannsstadt, Juni 2017″ heißt, ein Stück,das die Geschichte des G20-Spektakels in Hamburg erzählt. Die GoldenenZitronen haben während der G20-Proteste zur Eröffnung der linksautonomen“Welcome to Hell“-Demo gespielt. Denn „the wealth of the few is hell to theothers“, so erklären sie es, ohne sich die Kritik der „Rollenfestspiele“ zuversagen: „Wie meist bei solchen Anlässen war nicht klar ob diejenigen, die hierdiesen Kampf in symbolträchtigen Bildern ausagierten auch wirklich verständlichsind für die Verdammten dieser Erde,für die sie bei solchen Anlässen ja immer zusprechen glauben / Die Gesichter die man hinter den schwarzen Kapuzen und Sonnenbrillen sehen konnte waren weiß und meistens männlich.“ Die Gesichterder Goldenen Zitronen sind auch weiß und meistens männlich, aber immerhinziehen sie sich ab und an mal die Schuhe von anderen Leuten an. Wie zumBeispiel in „Es nervt“, mitgeschrieben und gesungen aus der Perspektive einerschwarzen Person, die das Verhalten weißer Linker reflektiert, im Original einStück von Schwabinggrad Ballett & Arrivati, deren Sängerin Latoya Manly-Spainhier als Gast singt: „Wir, das edle Objekt of your projections, Protagonistinneneuer Schlachtengemälde / Solange wir nicht das Falsche sagen und euchenttäuschen mit falschen Vorwürfen und Undankbarkeit“.

„Ohlalalala“ singen die Goldies auch, aber dann gleich: „Sehe ich Dunkles hinterdeiner Tür / Ich bin da, ich helfe dir“. Spielt „Nützliche Katastrophen“ im Kopfvon Caligula? In dem von Björn Höcke oder Viktor Orban? oder von BorisJohnson ? Geht’s hier um die tot geglaubte Wiederkehr von populistischerFeindbildproduktion zum machtpolitischen Selbstzweck? Oder seh‘ ich mich nochauch ganz gerne in der Trotzdem-alles-im-Griff-Rolle? Diese beunruhigendeGewissheit, dass das Private politisch ist, liegt oft unter den Texten der GoldenenZitronen. „Ich weiß jetzt das du Angst hast vor Veränderung / Obwohl du gernnach Teneriffa fliegst“, heißt es in „Bleib bei mir“ (feat. Sophia Kennedy). Morethan a feeling eben. Selbst ein retro- und funmäßig daherkommender Song wie“Das war unsere BRD“ bringt einen ganz schön zum Grübeln: „Aufkleber, die dieGesinnung klären“, „Polizisten im Safarilook“, weißt du noch, Schatz? Aber warenwir damals besser dran? Was heißt überhaupt „Wir“? „More than a Feeling“ istnicht zuletzt auch eine Sammlung von verzweifelten Spottliedern, also Songs, beidenen du nicht recht weißt, ob nicht die Verzweiflung über das Verspottete denSpott noch durchdringen lässt. Wie in „Mauer bauen“ zum Beispiel, wo sich dieGoldies fragen, was eigentlich mit „Volk“ gemeint ist: „Meinen sie damit, dass sieum die Nasen die sie tragen wollen, dass sie um die Musik die sie hören wollen,um die Autos die sie fahren wollen, um die Schweine die sie essen wollen, um dieSchritte die sie marschieren wollen etwas herum bauen wollen, um nur „ihr wir“sein zu können?“ Irre ich mich, oder gab es je auf einem Album der HamburgerBand so viele „Hä?“, „What?“ oder „Was?“-artige Ausrufe gleich imEröffnungsstück „Katakombe“? Nicht immer gleich die Haltung aus dem Schrankholen. Erstmal verstehen wollen, was eigentlich abgeht.

Christoph Twickel, November 2018