2019
10
Freitag Mai

Dessa

Szene Lustenau (Carinisaal) Bildgasse 29, 6890 LUSTENAU
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Beginn: 21:00 Uhr
  • Stehplatz 19.43
Dessa am 10. May 2019 @ Szene Lustenau (Carinisaal).

Chime“ (23.02.2018)

Eine Sache zieht sich wie ein roter Faden durch die bisherige Karriere der US-amerikanischen Sängerin, Rapperin und Songwriterin Dessa: Das Unterlaufen von Erwartungen. Das Öffnen und Sprengen von Schubladen. Genregrenzen und feste Zugehörigkeiten zu klar abgesteckten Szenen oder kulturellen Tätigkeitsfeldern gab’s für sie noch nie. So findet man auf den Alben, die sie via Doomtree Records veröffentlicht hat, alles von Rap-Bangern bis hin zu A-Capella-Arrangements; aber auch große, eingängige Pop-Hooks sind da zu hören. Als Co-Komponistin hat sie für einen 100-köpfigen Chor geschrieben, hat einen Song zu Lin-Manuel Mirandas „The Hamilton Mixtape“ beigesteuert oder auch eine Coverversion von „Balance“ (Mountain Goats; Merge Records) aufgenommen, die eher wie eine James-Bond-Melodie wirkt. Auch ihre Live-Shows könnten unterschiedlicher nicht sein: Mal tritt sie in dreckigen Rock-Schuppen auf, mal wird ihre Show eingerahmt vom roten Samt eines Theaters, und was die Größenordnung angeht: von Glastonbury und Lollapalloza bis hin zu intimen Räumlichkeiten ist alles dabei. Gerade für letztere denkt sie sich gerne thematisch passende Events aus: Kürzlich zum Beispiel im Rahmen ihrer ausverkauften Residency im The Green Space von WYNC, wo sie Rapper und Forscher zusammenbrachte, die sich dann vor Publikum einen Schlagabtausch zu wissenschaftlichen Themen lieferten. Laut der LA Times „klingt sie wie niemand sonst“, für NPR „bricht sie die Regeln des Rap“. „Hinreißend“ lautet das sehr viel schlichtere Urteil der Chicago Tribune. Kurzum: Dessa bewegt sich über Stilgrenzen hinweg, durch Räume aller Größenordnungen, von intellektuell bis unbedarft, und ihre (Bühnen-)Präsenz ist dabei dermaßen souverän, dass man sich ihr kaum entziehen kann.

Ihre Veröffentlichungen als Autorin und Essayistin – ihr Name stand schon unter Artikeln im New York Times Magazine genauso wie in Ars Medica; dazu hat sie zwei eigene Textbände veröffentlicht und eine Episode des Kult-Podcasts „Welcome To Night Vale“ geschrieben – hinterlassen auch in ihren Rap-Passagen deutliche Spuren, denn selbst ihre härtesten Rhymes tragen dieselbe unverkennbare Handschrift. Im Jahr 2017 trat Dessa zudem erstmals mit einem Orchester auf: Sie spielte zwei Abend mit dem Grammy-gekrönten Minnesota Orchestra. Zu dieser besonderen Gelegenheit enthüllte sie auch ihr bis dato ambitioniertestes interdisziplinäres Projekt: Dessa hat ein Team von Neurowissenschaftlern zusammengestellt, um passend zu ihrer Musik bzw. deren Inhalt ein Protokoll jener körperlichen Prozesse zu erstellen, die das Ende einer Liebe begleiten. Auf der Bühne präsentierte sie schließlich nicht nur eine Reihe von Trennungssongs, die sie über eine lange, schwierige Beziehung geschrieben hatte, sondern erzählte zwischendurch auch immer wieder von ihren Erfahrungen: Die unterhaltsamen Monologe handelten von ihrer Arbeit mit Neurofeedback und funktioneller Magnetresonanztomographie, und sie beleuchtete, was dadurch mit jenem Teil ihres Gehirns passiert war, der für die Liebe zuständig ist. Gegen Ende der beiden Shows spielte sie obendrein die neuesten Kompositionen, die dieses interdisziplinäre Projekt erst inspiriert hatte: Im Text von „Good Grief“ zum Beispiel geht’s um die heilenden Kräfte, die Schmerzen mit sich bringen. „Velodrome“ widmet sich den Grenzen, die unserem freien Willen gesteckt sind: ganz gleich, wie sehr wir nach Veränderung streben – es gibt da scheinbar Teile der Persönlichkeit, die sich vielleicht gar nicht verändern lassen. Beide Songs sind auch auf ihrem neuen Album „Chime“ zu hören, das am 23. Februar 2018 bei Doomtree Records erscheint.

Ihr Doomtree-Kollege Lazerbeak holte in seiner Rolle als Album-Producer den Grammy-nominierten Komponisten und Arrangeur Andy Thompson hinzu, mit dem er den Sound von „Chime“ definierte: Eröffnungstrack „Ride“ hat ein Noir-Element, etwas Düsteres, viel Sex-Appeal; „Fire Drills“ ist um eine iPhone-Aufnahme gestrickt, die Dessa in der Türkei gemacht hat, und „Half of You“ ist wieder ganz anders: ansteckender, nach vorne gehender Pop. „5 out of 6“ geht von einem ungewöhnlichen Loop in einen massiven Refrain über, der mit den Worten „I’m the phoenix… and the ash“ an- bzw. abhebt. Kurz gesagt: „Chime“ zeigt noch mehr Facetten von Dessa, die hier mal leidenschaftlich, mal ganz sanft, leichtfüßig unterwegs über Genregrenzen hinweg geht und dabei immer wahnsinnig neugierig und experimentierfreudig klingt.

Aufgewachsen ist Dessa im Süd-Minneapolis der Achtziger. Sie war ein eigensinniges, extrem aufgewecktes Kind, und ihre Eltern waren beide musikalisch: Die Mutter sang, der Vater spielte klassische Gitarre und obendrein diverse mittelalterliche Saiteninstrumente. Nachdem sie ihren Abschluss in Philosophie in der Tasche hatte, machte sie sich in Slam-Poetry-Kreisen einen Namen und lernte so auch die Protagonisten der Rap-Szene ihrer Stadt kennen: Wenig später war sie festes Mitglied des Doomtree-Kollektivs, bekannt für knallharte Produktionen, unmissverständliche Texte und krasse Live-Shows. Von und mit ihrer Crew lernte und prägte sie ihren eigenen Ansatz, basierend auf einem DIY-Ethos und dem Wunsch, nach ganz eigenen Regeln zu arbeiten. Doomtree, das bedeutete: Selber CDs brennen und verkaufen, Shows selber buchen, Pressetexte wie diesen selber verfassen, T-Shirts selbst designen. Die Songs, die Dessa auf „Chime“ präsentiert, sind das neueste Resultat jenes Wegs, den sie damals eingeschlagen hat: Sie ist nun mal Akademikerin und Rapperin zugleich, Autorin und Tochter eines Lautenspielers, die die prägendsten Jahre ihres Lebens größtenteils in einem Kleinbus verbracht hat, in dem außer ihr nur Typen saßen…

Musik zu machen, die ganz unterschiedliche Einflüsse vereint, ohne dabei künstlich oder gewollt zu klingen: das ist leichter gesagt, als getan. Dessa und ihre Mitstreiter jedoch haben jahrelang an ihrer Vision gearbeitet, um genau das zu schaffen: „Chime“ klingt trotz der vielen Referenzpunkte wirklich aus einem Guss. 2018 war ein wichtiges Jahr für Dessa, die „Chime“ im Rahmen einer internationalen Tour live präsentierte und zugleich ihr erstes Hardcover-Buch bei Dutton Books (Penguin/Random House) vorgelegt hat. Mal schauen, was für Überraschungen sie 2019 noch parat hat…