Mi, 18. Sep 2013

Geschichten für das Volk

Thees Uhlmann im Interview

Er trägt Jeans, weißes T-Shirt und eine schwarze Lederjacke. Er ist so straight wie sonst nur Springsteen. Er war die Stimme von Tomte. Und er musste 35 Jahre alt werden, um mit zwei Soloplatten alle zu überraschen. Thees Uhlmann über Wien, Tankstellen und warum die sprachlich feine Klinge Erektionen hervorrufen kann.

Dein Debüt hat vor zwei Jahren eingeschlagen wie eine Bombe. Menschen haben dieSongs am Heimweg von der Arbeit im Radio gehört und einen Umweg übers Plattengeschäft gemacht. Was war denn da los?

Ich war vom Erfolg selbst überrascht. Das Ding war ja so unverkrampft. Was wird denn die erste Single? Und irgendwer hat gesagt: ‚Naja, der Lachse-Song.‘ Und ich: ‚Ja gut, aber der heißt ‚Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf“. Das kann sich doch keiner merken, kannste im Radio auch nicht vernünftig ansagen. Hat nicht mal ins Eingabefenster von YouTube gepasst. Uns war das irgendwie so egal, und das hat den Erfolg nachher umso jungfräulicher gemacht. Ich hab mit Tomte im Alter von 18 Jahren begonnen. Jetzt bin ich fast doppelt so alt und will was Anderes.

Was halten die Jungs von Tomte von dieser Überraschung?

Ich schätze, dass die sich freuen. Tomte war immer eine tolle Band, aber ich war halt immer … der Sänger. In meiner Zeit sind vier oder fünf Leute ausgestiegen, und das ist jedes Mal wahnsinnig anstrengend. So etwas ist immer mit Schmerzen verbunden und ich hab mich auch mit meinem besten Freund darüber zerworfen, obwohl wir uns heute wieder blendend verstehen. Wenn du bei den Fantastischen Vier oder den Toten Hosen bist, arbeitest du immer mit den gleichen Leuten auf der gleichen Baustelle. Das war mir nie vergönnt, deshalb hab ich diese Frischzellenkur einfach gebraucht, und dass das nun so gut funktioniert, ist toll. Wir heißen übrigens Thees Uhlmann & Band, und das ‚Band‘ möchte ich doppelt und dreifach unterstreichen.

Nach ‚Paris Im Herbst‘ gibt es auf ‚#2‘ mit ‚Zerschmettert In Stücke (Im Frieden Der Nacht)‘ wieder eine Liebeserklärung an eine Stadt, dieses Mal an Wien. Was kann die österreichische Hauptstadt?

Wien kann nichts, Wien ist. Was kann Berlin denn? Berlin kann aufregend sein, Berlin kann jungen Menschen aus Europa eine Chance geben, Berlin kann dich kokainabhängig machen und jeden Tag der Woche umsonst besoffen. Zumindest, wenn du Musiker bist. (lacht) Berlin kann immer etwas, Wien ist aber. Bei der letzten Platte hab ich in Wien Promo gemacht und war mit meiner vierjährigen Tochter im Park spazieren. Und da meinte die so an meiner Hand: ‚Hier gefällt’s mir‘. Und ich: ‚Warum denn, Lisa?‘ Und sie: ‚Hier ist alles alt, Papa.‘ Und das ist natürlich eine wahnsinnig tolle und passende Reflexion. Ich bin aber immer schon Fan dieser Stadt gewesen. Das erste Mal überhaupt, als wir im Radio liefen, war auf FM4. Und der Flakturm mit der Aufschrift ‚Zerschmettert in Stücke (Im
Frieden der Nacht)‘ ist eines der beeindruckendsten Kunstwerke, das ich kenne. Deshalb auch der Songtitel. Ich finde ja diese hochnäsigen Gesten der Deutschen gegenüber den Österreichern immer so komisch, deshalb wird das jetzt von mir umgekehrt und ein Norddeutscher schreibt mal einen Song über Wien.

Bleiben wir in Österreich: Ein Mann, der dich bei Konzerten selten von vorn sieht, ist ein Burgenländer namens Markus Perner. Wie kam’s dazu, dass er sich bei der Arbeit ständig die Rückseite einer schwarzen Lederjacke ansehen muss?

(lacht) Das ging über Tobias Kuhn, den Produzenten unseres Debüts. Der hatte Markus mal live gesehen, meinte, das wäre ein spitzenmäßiger Schlagzeuger, dann hat er manchmal für ihn was im Studio eingetrommelt und dann haben wir die Band zusammengestellt und Tobias meinte: ‚Der und kein anderer‘. Und ich hoffe, Österreich ist mir nicht böse, dass ich den besten Schlagzeuger geklaut hab.

Fast das ganze erste Album dreht sich ums Leben am Deich. Warum wohnst du eigentlich im Moloch Berlin, wo du es als Nordlicht vom Land daheim viel schöner hättest?

Weil meine Tochter da wohnt und man seine eigene Befindlichkeit ruhig mal für 18 Jahre zurückstellen kann. Berlin ist ja nicht immer ein schlimmer Ort. Bis vor drei Monaten oder so war es die billigste Metropole, in der du leben kannst. Du kriegst da Altbauwohnungen für 350 Euro. Und das ist für die Jugend der Welt natürlich toll. Besonders die Amerikaner empfinden Berlin wahrscheinlich als unglaublich libertär. In Amerika tragen die Leute Waffen auf der Straße, aber du darfst öffentlich kein Bier trinken. In Berlin ist es genau andersrum: Du kannst besoffen sein, und das wundert niemanden. Außerdem ist es relativ sicher, für amerikanisches Empfinden zumindest. Was Berlin und mich betrifft: Die Verlockungen der Stadt tangieren mich gar nicht, weil ich mich um meine Tochter kümmern muss. Wenn ich in Berlin bin und irgendjemand würde mich anrufen und ins Telefon brüllen: ‚Ey, Thees, Falco lebt und spielt heut Abend mit Neil Young im SO36!‘, dann sag ich: ‚Okay, viel Spaß, erzähl mir morgen, wie’s war‘. (lacht)

Wirst du alt?

Nee, aber wenn du mit 26 Musik mit Tomte machst und Angst hast, ob das überhaupt die richtige Entscheidung ist, dann singt man natürlich über sich, sich, sich und ich, ich, ich. Dann hab ich aber eine Tochter bekommen und gedacht: ‚Thees Uhlmann, setz dich mal hin und halt die Schnauze. Es läuft ja.‘ Genug Joghurt im Kühlschrank haben, nicht dumm sein in der Erziehung, das reicht fürs Leben. Du bist nicht wichtig, Thees. Und diesen Lernprozess empfinde ich als wahnsinnig entspannend. Zurücktritt! (lacht)

Aus Textzeilen wie ‚Reden war noch nie unsere stärkste Stärke‘ hört man schön deinen ironischen Umgang mit Sprache heraus. Du spielt gern mit Worten, oder?

Ja, ja, ja! Ich empfinde inzwischen eine körperliche Lust beim Schreiben. Wenn ich bei einem Song den Endreim gefunden hab oder bei meinen Facebook Postings den allerschlechtesten Wortwitz, dann denk ich mir: ‚Yes, Uhlmann, Halbsteifer!‘ (lacht) Das ist alles ein bisschen dumm, ein bisschen klug, aber meistens ganz schön Thees Uhlmann. Man freut sich so über dieses eine Wort, das man dann gefunden hat.

Apropos Liebe zur Sprache: Bei ‚Jay-Z singt uns ein Lied‘ unterstützt dich Casper. Der Mann zählt fraglos zu den intelligenten Vertretern des deutschen Raps. Aber was ist mit Leuten wie Fler? Hat der Schuld daran, dass 14jährige keinen korrekten Satz mehr schreiben können?

Ich bin kein Kulturpessimist. In bestimmten Gegenden sind Rap und Hip Hop eben das Sprachrohr zur Selbstermächtigung der sozial Unterprivilegierten – ganz salopp ausgedrückt. Vor zehn Jahren hätte die Frage vielleicht gelautet: ‚Ist Marilyn Manson der Untergang des Abendlandes?‘. Auch das haben wir überlebt. Manchmal, wenn ich nach den Konzerten mit jungen Leuten abhänge, denke ich mir: ‚Oh mein Gott, die sind viel schlauer als ich.‘ Als ich 14 war, bin ich morgens  aufgewacht und dachte: ‚Uaah, sieht doch gut aus, mit Jogginghose und Gummistiefel. Wollmer mal zur Tankstelle fahren und Snickers essen, nü?‘ Die sind nicht so wie ich damals, die sind nicht dumm. Deshalb mach ich mir da auch keine
Sorgen.

Die Berliner Kritikeria bezeichnet deine Texte gern als naiv. Obwohl du etwas beherrschst, womit Bruce Springsteen recht erfolgreich ist: Texte zu schreiben, die jeder versteht und nachvollziehen kann. Nervt das?

Nö, das regt mich nicht auf. Das sind ja Leute, die aus einer anderen Welt kommen. Die bewegen sich nur in hermeneutisch abgeschlossenen Zirkeln, zwischen Minimal Techno und expressiver Lyrik. Vielleicht ist das auch deshalb so, weil ich aus der Punkszene komme und im Mainstream Erfolg habe. Das ist vielleicht manchen Leuten zu viel. Und ich hab mich halt entschieden, Texte zu schreiben für jemanden, der an der Tankstelle Benzin verkauft. Ich weiß, dass der wahrscheinlich lieber David Guetta hört, aber wenn er Rockmusik hören will, dann hab ich Rockmusik für ihn. Ich bin da mehr der Umarmer als der, der sagt: ‚Tanken sie jetzt mein Mercedes Cabrio voll‘.

Die österreichischen Zugvögel sind sowohl am 2.11. in Linz als auch am 9.11. in Wien zu einem musikalischen Zwischenstopp eingeladen, um dir zu lauschen – noch eine letzte Message?

Fliegt!