Die neue (Un)Zufriedenheit

Sophia & Benjamin

Es gibt diese Leute, die sich auf Facebook und im Alltag permanent über alles aufregen: Am Sonntag wird gesudert, weil sie einen Kater vom Ausgehen haben und am Montag müssen sie weinen, weil die Arbeit ruft. Im Winter ist es viel zu kalt und im Sommer viel zu heiß. Sie tragen ihre Unzufriedenheit zu Markte, wie russische Milliardärsgattinnen ihre weißen Nerze. Und dann gibt es jene Zeitgenossen, die täglich aus halbvollen Gläsern Gute-Laune-Tee trinken und dauergrinsend durch ihr persönliches La-La-Land schweben. Unsere Autoren Benny und Sophia sind jeweils Vertreter dieser sehr gegensätzlichen Spezies. Hier erklären sie uns warum…

Sophia:

Ich war schon immer ein Gute-Laune-Bärchen. Auf Kinderfotos strahle ich von einem Ohr zum anderen, so dass man mir vor Verzückung am liebsten in die speckigen Babyärmchen beißen möchte. Ich kann nicht anders, wenn ich genervt bin oder schlechte Laune habe, kommt’s schon mal vor, dass ich kurz rumbrülle. Dann entschuldige ich mich dafür und alles ist wieder gut. Wie eine Art innerer Sprungfeder, die mir immer wieder neuen Schwung gibt. Fühle ich mich unmotiviert, schwebt sogleich das kleine Engelchen herbei, setzt sich in mein Hirn und sagt: „Jetzt stell dich nicht so an, mach weiter!“  Ziemlich praktisch. So ist das, seit ich mich erinnern kann. Trotzdem habe ich mich in den letzten Jahren noch stärker zu einem positiven Grinse-Eso entwickelt, wie das genau passiert ist, weiß ich nicht. Wahrscheinlich werde ich einfach immer gelassener. Oder ich schütte mehr Endorphine aus, weil ich mehr Sport mache.
Neulich postete jemand auf Facebook „Versuche einfach mal dich 48 Stunden über nichts aufzuregen und schau wie es dir damit geht!“. Ich teilte dieses Motto und sofort regte sich wer drüber auf. Dabei ist es ein kluger Ratschlag. Seit ich (noch) weniger meckere, bekomme ich (noch) mehr positive Resonanz in allem was ich tue und es geht mir selbst besser. Kommt mir jemand blöd, trete ich ihm mit ausgewählter Freundlichkeit entgegen, ganz nach dem Motto: Lächeln ist die beste Waffe! Es wirkt Wunder. Vor allem in der Supermarkt-Schlange oder im überfüllten Bus. Probier es aus: Grinse die Menschen um dich herum an, wünsche der Kassiererin einen wunderschönen Feierabend und du wirst feststellen, dass 90% dein Lachen erwidern – es fühlt sich toll an, dieser kurze Moment in dem über ein ernstes Gesicht ein Lächeln huscht! Will mich jemand provozieren, sehe ich gerne galant darüber hinweg und denke mir: „Deswegen werde ich jetzt meine Stirn sicher nicht runzeln, davon kriege ich nur unschöne Falten, das ist der/die/das doch gar nicht wert!“
Natürlich gibt es Menschen, die mich zur Weißglut bringen. Umso schlimmer wenn ich beruflich mit ihnen zu tun habe. Doch anstatt es mir nach der Reihe mit jedem zu verscherzen, ziehe ich es vor, eine professionelle Freundlichkeit mit mir herumzutragen, wie ein Accessoire, das man immer in der Tasche hat und solange mich niemand zwingt, mit diesen Arschbacken in den Urlaub zu fahren, lächle ich sie einfach an und erkundige mich nach dem werten Befinden.
Der Zufriedenheit zuträglich ist auch, sich immer wieder bewusst zu machen, wie gut es einem geht. Ich sitze in einer sonnigen Wohnung in einer Stadt, die ich liebe und draußen zwitschern die Vögel. Ich liebe mein Leben. In einer Woche werde ich ein Jahr älter. Das feiere ich mit meinen Eltern und guten Freunden, wir werden leckere Sachen essen und ein paar Gläser Wein trinken.
Über den Kater am nächsten Tag werde ich mich sicher nicht beschweren.
 

Benny

Wir alle kennen sie, die Dauernörgler. Ständig sind sie schlecht gelaunt oder beleidigt, weil ebendieses oder doch jenes nicht ganz nach ihren noblen Vorstellungen verläuft. Das Wetter ist zu heiß, zu kalt, zu windig, zu nass, zu trocken, zu schwül, zu pollengeschwängert. Die Musik ist scheiße, die Leute sind scheiße, die ganze Party ist scheiße. Das Essen erst recht. Und zu teuer ist es auch noch. Ihr wisst, welche Sorte von Mensch ich meine, oder? Ich bin einer davon. Oder besser gesagt – ich bin der Anführer, die Queen Bee, der neue Papst der Heiligen Kirche der Allgemeinen Unzufriedenheit. Und ich bin dabei auch noch ziemlich martialisch veranlagt. Leben und leben lassen?
Na sicher nicht! Meine Umwelt hat sich mir anzupassen und sich meinen Wünschen zu beugen. Warum auch immer. Ich kann es zwar nicht rational begründen, sehr wohl jedoch kann ich jede Menge Minderheitenbonus-Karten – die ich quasi sammle, wie andere Leute Überraschungseierfiguren – ausspielen. Ausländer, schwul, Brillenträger, evangelisch – um nur einige zu nennen.
Jedenfalls muss man nett sein zu mir und mich ertragen und machen, was ich will. Sonst gibt’s Stress und Ärger im Paradies. Moral Consciousness und Political Correctness verbieten den Vertretern der grün-liberalen Toleranzagenda, der man mittlerweile ja fast schon angehören MUSS, um nicht mit Hitler, Mahmoud Ahmadinejad und ganz Nordkorea in einen Topf geworfen zu werden, ganz eindeutig jegliche offene Kritik an „Leuten wie mir“. Was übrigens nicht gutzuheißen ist, beim besten Willen nicht.
Aber wir wollen nicht in grundsatzphilosophisches Politgeschwader verfallen und vom eigentlichen Thema ablenken. Es geht nämlich um die allgemeine Unzufriedenheit. Und ich persönlich bin, wie schon angedeutet, ziemlich oft und ziemlich ausgeprägt unzufrieden, sogar oft ein bisschen Missgünstig. Ich schreie Kinder an, die zu laut spielen. Ich lasse an der Supermarktkasse niemanden vor, auch wenn ich dabei bin, einen Wocheneinkauf  auf das Förderband zu legen und die etwa 120-jährige Dame hinter mir penetrant nach Aufmerksamkeit heischend hüstelt und mir ihre 0,5-Liter-Milchpackung erwartungsvoll entgegen reckt. Sollte sie sich dennoch vorzudrängeln versuchen, zögere ich nicht, sie durch lautstarkes Hinweisen, dass auch sie sich, ungeachtet ihres Alters und der Menge ihres Einkaufs, an die Regeln zu halten habe.
Auch Leute, die öffentlich aufdringliche Fröhlichkeit und gute Laune verbreiten und sich an der beginnenden Sommerzeit erfreuen, in bunter, kurzer, „total luftiger“ Sommerkleidung durch die Straßen laufen, ein verspielt-freudiges Lächeln und ein kleiner Rest Vanilleeis um die Lippen, sind mir in etwa so sehr ein Gräuel, wie eine in Milch badende, Cheeseburger essende, Germany’s Next Topmodel schauende und von erregten Männern umringte Pornodarstellerin für eine miltant-vegane Feministin. Gerne wäre ich umgänglicher, sympathischer, offener und leichter zu handhaben. Ich weiß selbst nicht, woher meine Unfähigkeit, mich mit der allgemeinen Situation abzufinden stammt. Schön und vor allem im Alltag einfacher wäre es auch, nicht ständig nach negativen Aspekten in jeder Situation zu suchen. Viele Freunde mache ich mit damit nicht.
Aber was soll ich sagen? Zufrieden sein ist nun mal nicht mein Stil, dafür gibt es einfach zu viel zum Nörgeln.