Do, 17. Dez 2009

Studierendenproteste: IST DA JEMAND?

Interessieren die StudentInnenproteste noch wen? Wenn ja, wen? Und warum? Eine ernste Satire darüber, wen es warum interessieren sollte.

Noch immer weht eine steife Brise Revolution durch den Audimaxgang. Sie riecht nach Curry aus der Volxküche, Bier aus der Dose und Eingemachtem vom Sandler. Das Wiener Audimax scheint ein Hort verlorener Seelen zu seien – eine geschützte Werkstätte für intellektuelle und charakterliche Würstchen. Im Rahmen des kollektiven Schwachsinns scheinen auch die Unmündigsten erkannt zu haben, dass ihre Zeit der Selbstdarstellung gekommen ist. Jeder darf Revolution spielen. So wird fleißig Wortkäse in die Spaghetti alla Bologna Prozess gerieben, am Kern des Sugos des Problems vorbei argumentiert, utopische Forderungen auf kleiner Flamme durchgekocht und fleißig alles zerrührt, bis selbst der eigene Name nicht mehr unkommentiert hingenommen werden kann.

Ein Leben in der Utopie

Jedes geistige Nackerpatzerl genießt im Plenum (Vollversammlung der BesetzerInnen an der Uni Wien) das Privileg, gehört zu werden und kann irgendeinen Mist ins Mikro sabbeln. Auf den Wortmüll wird auch noch ernsthaft eingegangen. Gelebte Basisdemokratie. Es nervt bis zum Zusammenbruch. Einigen gehört sofort das Stimmrecht entzogen und die Zwangseinweisung zugestanden. Dope Test, statt Protest. Andere Betonköpfe haben sich so auf ihrem Standpunkt einzementiert, dass sachliche Diskussionen nur mit der Abrissbirne möglich wären. Ein, sich selbst blockierender, unfähig sich selbst zu verwaltender Chaotenhaufen, mit der utopischen Vorstellung, die Welt verbessern zu können. Am besten morgen. Dabei kann es schon als Erfolg gewertet werden, wenn niemand verletzt wird, in die Ecke pisst, oder im Alk-Koma liegt. Nach 6 Wochen Gehirnzirrhose im Audimax, wurde eine Forderungsliste zusammengestammelt, die sich eher wie ein frommer Wunsch ans Christkind liest: Mehr, schöner, besser, für alle, gratis! Wenn wir schon dabei sind: Bitte noch ein rosa Pony, das jeden Sonntag Diamanten scheißt. Für Samstag habe ich bereits den grünen Affen.

 

Who cares?

Also wen interessiert dieses Protest-Kasperltheater bitte? Außer die geistig Verwirrten, die ihren utopischen Wahn von der Friede-Freude-Eierkuchen-Welt im Audimax gemeinschaftlich zu therapieren versuchen? Ganz im Ernst: Es hat uns gefälligst alle zu interessieren! Was hier passiert, ist trotz aller überspitzten Kritik ein gesellschaftlicher Meilenstein. Uns allen sollte eine kritische, reflektierende, aufgeklärte, aktiv gestaltende, kurz: gebildete Gesellschaft immer Vorbild sein. Bildung ist ein Menschenrecht. Seit wann bestehen wir nicht mehr auf unsere Rechte? Beim Schrebergartenstreit wird für das eigene Recht geblutet, aber für die Bildung? „Eh alles super, wenn die Pseudo-Eierschädel sogar Zeit zum Demonstrieren ham. So schlimm, wie die gewaltbereiten Gutmenschen tun, kanns nicht sein“, raunt es durch den Schrebergarten.

Naja, dass im Bildungsbereich nicht alles gebildet abläuft, ist durch die Proteste augenscheinlich und im Artikel „Geld vs. Bildung“ (kleines klickhändchen volume.at) aufgezeigt worden. Ein allgemeines Beispiel: Wir haben die Angewohnheit, alles zu bewerten. In der Bezifferung des Wertes hilft uns das Geld. Wie kann es sein, dass ein System, das uns zu abhängigen Lohnaffen macht, 100 Milliarden Euro an Steuerbananen in den Popo geschoben bekommt, während dem Bildungssystem, dass uns zu frei denkenden, sich selbst verantwortlichen, mündigen Bürgern erzieht, nur 34 Millionen Notfallshilfe zugesprochen werden (0,034% von 100 Mrd.!)? Sollte es nicht genau umgekehrt sein? Kein Stress, liebe Systemaffen, die Banken spekulieren die Bananen ja wieder zurück! Großes Banker-Bananenwort! Auf den Unis züchtet sich die Gesellschaft hingegen nur lästige Querdenker und Dauerrevoluzzer. Wer will das schon. Außerdem wirft die Bildung der Bevölkerung keine unmittelbare Rendite ab. Aber, um wirtschaftlich zu bleiben: Könnte es nicht sein, dass gerade die Bildung samt Ausbildung, der Bevölkerung in einer globalisierten Welt, in der die alten Produktionsvorteile sich zunehmend nivellieren, den wahren Wettbewerbsvorteil darstellt? Viel zu langfristiges Denken Leute! Wir leben im hier und jetzt. Zahlen zählen, alles andere ist unnötig ins Hirn gewichst.

Am Ende solcher gedanklichen Ausflüge steht immer die Frage: Fuck, wie deppert sind wir eigentlich? Wir leben in einer demokratischen Republik. Das Recht geht vom Volk aus. Doch außer festes Sesselpupsen und ein bisschen Protestwählen geht vom Volk nichts aus. Brennende Autos, explodieren Banken, hängende Politiker? Fehlanzeige. Uns geht es gut. Wir sind faul geworden und werden mit Brot und Spielen bei Laune gehalten. Das kritische Wissen, welches  uns durch die neuen Informationskanäle offen steht, wird unter massig Infotainment vergraben. Seit Jahren fühlt sich mein Denkzentrum an, wie das Schienbein eines Profi-Thaiboxers. Gar nicht nämlich. Unempfindlich gegenüber dem Weltschmerz.

 

Das Abhärtungsprogramm

Der morgendliche Blick in die Zeitung heizt den Denkapparat mit fehlenden Hintergrundinformationen auf. Nichts ist jedoch so alt, wie die Zeitung von heute mit den Nachrichten von gestern. Also Laptop auf, Welt an und schnell einige einschlägige Nachrichtenportale und Blogs durchscannen, damit der graue Schleim im Kopf, mit den heißesten Nachrichten weggebrutzelt wird. Twitter, RSS-Feeds, Podcasts, Mails, Skype pumpen die letzen lebensnotwendigen Infos in die hintersten Biegungen der Hirnwindungen. Was ist mit Facebook? Oh mein Gott, natürlich: Facebook! Ich will ja unpersönlich auch noch ein wenig Persönliches miterleben. Also: Alle Kanäle offen, bitte Hirn fluten! – bis sich die Synapsen brechen und gegen eine Mauer aus versteinerten Emotionen prallen. Im TV rennt CNN, im Kopf bereits Fight Club. Am Ende explodiert wohl alles.

Bis dahin ist meine Reaktion auf die unglaublichen Nachrichten, die sich tagtäglich durch mein Hirn fressen, keine Reaktion. Bei so viel Ungerechtigkeit, Wahnsinn, Idiotismus und Elend muss ich mit meinen Emotionen sparsam umgehen. Ein kurzer betroffener Blick hier, ein Seufzer da, vielleicht ein Schnaufen. Aber aufstehen und was ändern? Ich bin bitte mit mir und meinem Bankkonto genug beschäftigt. Alles andere muss kurz warten, es kann dauern. Manchmal bis zum Tod.

 

Da, da, da läuft was schief!

Stell dir die Menschheit als Menschenleben vor: Zu Beginn haben wir den aufrechten Gang und die Sprache erlernt. Danach wurde die Welt erkundet und die eigenen Fähigkeiten weiterentwickelt. Jetzt befinden wir uns im Endstadion der Pubertät. Wir sind nur mit uns selbst beschäftigt, fühlen uns stark und unbesiegbar. Wir ziehen uns unbedacht sämtliche Rohstoffe rein, blasen uns die Treibhausgase um die Ohren und schmeißen bomben Partys, dass es an allen Rundungen der Erde kracht. Aber langsam wird es Zeit, sich zurückzulehnen und in die Zukunft zu blicken. Was werden künftige Generationen über uns denken? Wahrscheinlich: Warum waren wir eigentlich so deppert? Vermuten lässt es sich jetzt schon – siehe „Genug ist nicht genug“ (kleines klickhändchen volume.at). Aber der Druck, uns zu ändern, scheint nicht groß genug. Zuvor muss es anscheinend so richtig böse krachen. Global. Das kleine Finanzkriserl wurde mit monetärer Symptombekämpfung übertaucht, die Endabrechnung kommt noch.

 

Fight For Your Right!

Doch endlich hat sich was getan: Die größten Studierenden-Proteste seit irgendwer auf die Nationalflagge gekackt hat, geben der ganzen Politikverdrossenheit, die sich in der Gesellschaft aufgestaut hat, ein Ventil. Deswegen haben sich die Proteste einem so starken medialen und gesellschaftlichen Echo erfreut: Endlich, in aller Herrgotts Namen, passiert irgendwas! Es fand sich eine unerwartet breite Zustimmung in der Bevölkerung.

Audimaxismus

Das Wiener Audimax hat Symbolcharakter für die ganze Protestbewegung, es dient daher auch diesem Artikel als Symbol dafür. Ein Blick hinter die bunte Kulisse zeigt, dass hier Unglaubliches passiert ist. Das Audimax ist das geworden, was es eigentlich von Uni aus sein sollte: Ein Ort der kritischen Reflexion. Ein Platz für freie Gedanken, frei von hierarchischen Strukturen. Ein Raum für den wissenschaftlichen Diskurs, der auf die Menschen und das Menschsein abzielt. Längst kann das nicht mehr nur als Bildungsprotest gesehen werden. Bildung ist Gemeinschaftssache und allein deswegen in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext zu sehen. Mit Hilfe der neuen Kommunikationskanäle (Web 2.0.0.9) hat eine gesellschaftliche Vernetzung und Solidarisierung stattgefunden. Auf nationaler und internationaler Ebene. Über 80 Unis wurden im deutschsprachigen Raum und darüber hinaus besetzt – die Unis brennen. Mit unsereuni.at wurde eine Onlineplattform aus dem Boden gestampft, für die der KHG und Freunde (Portrait: Seite 24) wohl 3 Millionen abgelegt hätten. Über 32.000 Fans auf Facebook und über 80.000 #unibrennt Tweets sind mehr als respektabel und doch nur ein kleiner Ausschnitt von dem, was insgesamt im Rahmen der Protestvernetzung passiert ist. Die Botschaft wurde digital verbreitet und in die analoge Welt hinausgetragen. Die Bewegung hat den Bildungsdiskurs wieder auf das Radar des öffentlichen Interesses gebracht. Darüber hinaus wirft sie viele gesellschaftliche Grundfragen auf, die auf längst überfällige Antworten pochen. Diese Leistung kann gar nicht hoch genug angerechnet werden.

Alles hat ein Ende, nur der Protest hat keins?

Im Wiener Audimax hat alles im großen Stil begonnen, und hier hat auch das Ende bereits seinen Anfang genommen. Längst ist das Plenum nicht mehr von bildungspolitischen Anliegen geprägt. Grundlegende gesellschaftliche Fragen müssen diskutiert werden. Es spitzt sich darauf zu, welches Menschenbild jeder für sich vertritt. Bei der reinen Theorie bleibt es dabei nicht. Die Protestbewegung wird nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch immer mehr mit gesamtgesellschaftlichen Problemen konfrontiert: Alkoholmissbrauch, Drogen- und Obdachlosenproblematik, Vandalismus, Gewalt. Ein scheinbar utopischer Freiraum, in dem keine Regeln bestehen, jeder willkommen ist und das gleiche Mitspracherecht hat, wo Wärme und Nahrung für jeden angeboten werden und alles auf Freiwilligkeit und Selbstverantwortung basiert, so ein Raum bildet klarer Weise einen Anziehungspunkt für jene, die hier die Akzeptanz finden, welche ihnen die Gesellschaft „draußen“ schon lang nicht mehr zukommen lässt. Das Audimax wird zu einer Sozialeinrichtung, die Studentinnen und Studenten bleiben zunehmend fern oder weichen auf andere besetzte Hörsäle aus. Die produktive Arbeit an der eigentlichen Sache findet größtenteils woanders statt.

Ein freier Raum funktioniert nur dann gut, wenn alle die gemeinsame Verantwortung übernehmen, sie keinem abgenommen wird und alle von einem ähnlichen Vernunftgedanken geleitet sind. Diesem Vernunftgedanken wird in unserer Gesellschaft mit dem Setzen von Ge- und Verboten Ausdruck verliehen. Deren Exekution durch eine übergeordnete Staatsgewalt widerspricht aber der Idee eines Freiraumes. Der Ruf nach Verhaltensregeln, die sich über einen bloßen Hinweis hinaus erstrecken und von einer eigenen Arbeitsgruppe eingefordert werden sollen, weckt daher Missmut im Plenum. Ein Mindestmaß an fehlender Einigkeit führt jedoch auf Grund der basisdemokratischen Strukturen bei der Entscheidungsfindung zur Blockade. Der Protest hat Großes bewirkt, verliert sich aber jetzt in den Problemen des Ganzen. Es kann nicht von einer Bewegung verlangt werden, jene gesellschaftlichen Probleme zu lösen, für die die Gesellschaft noch keine Lösung gefunden hat. Zum Beispiel Obdachlosigkeit. Ja, ja, wir alle finden das schlimm und da gehört was gemacht… Aber wer hat die Sandler schon wirklich im Wohnzimmer sitzen? Im Audimax werden sie und ihre Würde als Menschen akzeptiert, und man setzt sich ernsthaft mit ihnen auseinander – obwohl kaum die Chance auf Besserung besteht. Als ehemaliger Zivi aus der Gruft (Obdachlosenbetreuungszentrum) darf ich das behaupten. Aber für einen kurzen Augenblick wird die Utopie real. Ich lausche den Tönen Mozarts. Hinter dem großen schwarzen Flügel auf der Bühne des Audimax (siehe Cover) sitzt jedoch kein geladener Künstler. Die Tasten werden von einem alten Bekannten bedient. Jemanden, den ich schon mit hinuntergelassener Hose auf der Straße liegend angetroffen habe, den ich in der Gruft aus seiner angeschissenen Bekleidung geschnitten habe und der sein Heute so zugesoffen verbringt, als würde es kein Morgen geben. Zumindest kein Morgen in Würde. Seine verwahrlosten und vielfach verheilten Finger gleiten über die Klaviatur. Motorische Schwächen scheinen vergessen. Hier und jetzt bekommt er seine Würde für einen kurzen Augenblick zurück. Er fragt mich, ob es mir Gefallen hat. Ja, weit mehr als das. Ich könnte weinen. Der Mikrokosmos Audimax hat Weihnachtliches geleistet.

 

Protest To Progress!

Das Audimax ist zum Versuchslabor für gesellschaftliche Konzepte geworden. Ein Rückzugsort für alternative Ideen, den eine gesunde Gesellschaft dringend braucht. Wer hier aktiv dabei ist, hat wahrscheinlich mehr soziale Kompetenz erlangt und mehr über das Leben und die Menschen die es leben gelernt, als die letzten Jahre in seinem zugepferchten Studium oder vollgestopften Job.

Eine Komplettlösung für das Bildungssystem und ein Gesamtkonzept für die glückliche Gesellschaft der Zukunft ist die Protestbewegung schuldig geblieben. Das kann aber auch nie die Anforderung gewesen sein. Der Protest wird nicht mehr ewig dauern, was andauern wird ist ein erweitertes Bildungsverständnis auf Seiten vieler Studierender – egal ob sie dafür, oder dagegen waren -, eine nationale und internationale Vernetzung, die sich nicht mehr so schnell entknoten lässt und ein – zumindest noch kurzzeitig nachwirkendes – Bewusstsein darüber, dass es uns alle interessieren sollte, wie mit dem Gut Bildung in unserer Gesellschaft umgegangen wird. Der nächste Protest folgt bestimmt, und das gehört sich in einer gepflegten und gelebten Demokratie auch so. Als Zeichen dafür, dass etwas schief läuft, wahrgenommen wird und geändert gehört. Das bringt uns insgesamt weiter, selbst wenn es einmal eine Sackgasse ist. Protest als soziale Evolution, als kollektive Energie für eine Sache und Ventil für gemeinsamen Unmut – nur so kann sich die Gesellschaft gesund entwickeln und explodiert nicht irgendwann.

 

Also: Meinung bilden und laut bleiben! Turn up the Volume!