Do, 13. Nov 2008

Sind wir nicht alle ein bisschen Britney?

Kokain, Ecstasy, Wodka, Whiskey und gar Pferdebetäubungsmittel weiß „The Sun“ über Amys Mageninhalt zu berichten. Britney feiert gern auf Ritalin und “Kokain-Kate” mag neben Kokain auch Bier zum Frühstück. Das aktuelle Suchtverhalten von Amy, Britney und Kate kennt jeder, der Bravo oder den Standard liest. Mediale Aufmerksamkeit hat anscheinend die Eigenschaft, Lebensgeschichten von Personen zu weltweit bekannten Vornamen mit ein paar hartnäckig damit assoziierten Stereotypen zu degradieren. Die abhängigen Promis werden vom Boulevard gern zu Junkies der Superlative stilisiert. Sind sie nun Opfer oder Täter?

UN kritisiert Amy, Pete & Co.

Sogar Antonio Maria Costa, Exekutivdirektor des Büros der Vereinten Nationen für Drogenkontrolle und Verbrechensverhütung, kritisierte Amy zuletzt wegen ihrer schlechten Vorbildwirkung: ‚Rockstars wie Amy Winehouse werden damit bekannt, dass sie singen ‚They tried to make me go to rehab, but I said no, no, no ‘, obwohl sie dringend eine Behandlung brauchen.‘ Costa denkt, dass Stars wie Amy Winehouse, Kate Moss oder Pete Doherty den Konsum von Drogen verherrlichen und damit zu steigendem Konsum, vor allem bei Jugendlichen, beitragen.

Grund der Wortmeldung war die Teilnahme an einer UN-Konferenz, bei der die steigende Zahl 16- bis 24-jähriger Kokser in Großbritannien präsentiert wurde. Diese hat sich innerhalb der letzten zehn Jahre verdoppelt.


Gerade in Bezug auf den Umgang von Prominenten mit Drogen prangerte Costa die dort vorherrschende Doppelmoral an: ‚Niemand macht einen Film über ‚Blutkoks‘, aber Models und Prominente, die niemals einen Tigerpelz tragen würden, haben kein Problem damit, ihren Kokainkonsum in der Öffentlichkeit darzustellen.‘


Die Rolle der Medien: Henne oder Ei?

Nun verhält es sich mit der Rolle der Medien in diesem Spiel ein bisschen wie mit dem berühmten Henne-Ei-Problem. Die Frage, die sich stellt, ist die folgende: Treiben es die Promis immer schlimmer bzw. immer medienwirksamer, um ihren
Bekanntheitsgrad zu erhöhen oder sind sie lediglich Opfer des immer schamloseren Boulevards, der versucht, die Auflage und damit den Umsatz zu steigern? Vor allem britische Sensationsblätter pushten in den letzten Jahren die Drogenprobleme diverser Stars und Sternchen dieser Welt zum veritablen Skandal hoch, der zum weltweiten Selbstläufer wurde. In einer bedenklich voyeuristisch gewordenen Welt machte der durch den Medienhype enorm gestiegene Bekanntheitsgrad die betroffenen Prominenten für Werbefirmen wieder zur lukrativen Werbefläche. Und das, nachdem sie aufgrund ihrer Drogenprobleme von anderen Werbefirmen zuvor scheinheilig gefeuert wurden.  Und Internetportale wie www.X17online.com oder www.perezhilton.com leben im Prinzip nur davon, Celebrities 24 Stunden am Tag zu jagen. 


Doch diese sind hier nicht nur unschuldige Opfer der Medien. Nur zu gerne spielen viele Promis mit den Paparazzi, denn alle wissen eines ganz genau: Ohne Medienpräsenz sinkt der Marktwert. Schließlich zwingt niemand Herrn Doherty, ein privat gedrehtes Video, bei dem sich die halbnackte Amy mit ein paar neugeborenen Mäusen unterhält, online zu stellen. Andererseits darf bezweifelt werden, dass sich eine völlig verheulte Britney Spears absichtlich im Krankenwagen angeschnallt abtransportieren lässt, um ihren Werbewert zu steigern – obwohl ein gut getimter Gefängnisaufenthalt auch bei Paris Hilton schon einen positiven Werbeeffekt erzielte. Wer benutzt hier also wen? 


Bilden Medien Wirklichkeit nur ab oder konstruieren Medien die Wirklichkeit?

Dies führt uns zu einer weiteren Frage, die zumindest jedem Publizistikstudenten im ersten Semester mehr als bekannt ist: Bilden Medien Wirklichkeit ab oder konstruieren Medien Wirklichkeit wesentlich mit? Natürlich gibt es auch für diese komplexe Problematik keine einfache Antwort, und natürlich sind beide Aussagen so wahr wie falsch. Jeder sucht eigene Vorteile in diesem Spiel, und dieses Spiel wird mit immer härteren Bandagen gespielt, bei dem immer öfter Opfer zu beklagen sind, die gar nicht mitspielen wollen oder können.


Wir wollen sie bluten sehen!

Hinzu kommt dieser Tage ein scheinbar neues Phänomen. Während wir Stars jahrzehntelang nur anhimmeln oder auch beneiden und hassen wollten, können wir sie heute leiden sehen. Endlich geben sie ihre Sterblichkeit, ihre Menschlichkeit, ihre Fehlbarkeit preis. Sie sind nicht anders als wir, aber für diese Schwäche müssen sie nun zahlen. Klar sind es in erster Linie mehr oder minder verzweifelte Promis der B- und C-Kategorie, die sich in Dschungelcamps, mittelalterlichen Burgen oder im Boxring die Blöße geben, aber nimmt nicht irgendwie jeder, was er kriegen kann?! Je mehr sie sich erniedrigen, umso mehr nähern wir uns einer Art Gleichgewicht im System an. Sie: berühmt, reich, aber erniedrigt. Wir: unbekannt, arm, aber mit einem gewissen Grad an Restwürde.


When will Amy die?

Pete, Kate, Amy & Co scheinen jedenfalls am Ende angekommen zu sein und versuchen sich mehr bzw. meist weniger erfolgreich aus der Sucht zu befreien. Einigen wird es gelingen und anderen nicht. Derweil kann man auf http://www.whenwillamywinehousedie.com darauf tippen, wann die 26-Jährige Amy Winehouse den Löffel abgeben wird. Wer das Todesdatum richtig vorhersagt, bekommt einen iPod. 14.000 haben schon geklickt.



Infobox:

http://www.youtube.com/watch?v=C4Yoa4cjw4o
http://www.X17online.com
http://www.perezhilton.com
www.whenwillamywinehousedie.com
http://www.youtube.com/watch?v=3Ei5w3Gpwdo
http://www.youtube.com/watch?v=j5q6o_FW_Do
http://www.youtube.com/watch?v=YSH6LKHPLyk