Hilferuf einer Veranstalterin

Hilferuf einer Veranstalterin

Die prekäre Lage der heimischen Clubkultur

Seit Mitte März steht die heimische Veranstaltungsbranche still – aus gesundheitspolitisch nachvollziehbaren Gründen, das bestreitet niemand. Jedoch wird die Situation für österreichische VeranstalterInnen, Club- und VenuebetreiberInnen, KünstlerInnen, DJs und alle, die auf irgendeine Weise in der Kulturbranche und im Nachtleben tätig sind, nach zwei Monaten Ausnahmezustand immer prekärer. Dieser Umstand scheint jedoch noch nicht bis zur Politik vorgedrungen zu sein: Die Härtefall-Fonds reichen für die weiter laufenden Kosten und vor allem schlicht für das normale Überleben nicht aus, die Informationen sind spärlich, viele Fragen weiterhin offen und das Gefühl, neben anscheinend „relevanteren” Branchen schlichtweg nicht ernst genommen zu werden, macht sich weitgehend breit.

Uns hat in diesem Zusammenhang heute ein Hilferuf aus der heimischen Veranstaltungsbranche erreicht, der nicht nur die aktuelle, existenzbedrohende Lage genau beschreibt, sondern auch die mittlerweile äußerst dringlichen Fragen stellt und die potenziell schwerwiegenden Konsequenzen der derzeitigen Ignoranzpolitik aufzeigt. Wir wollen an dieser Stelle deshalb das Wort an Katharina Dürrer, DJ Pandora und Veranstalterin von Switch! und Vienna TUN UP, übergeben:

Ich war zuerst im Schock, verwirrt, dann lange traurig doch: Ich bin schön langsam sauer. Ich werde radikal ignoriert. Ich bekomme keine Informationen. Ich warte, ohne zumindest die Information zu haben, worauf ich warte. Ich wüsste auch gar nicht, wohin ich mich wenden könnte, um diese Information zu bekommen. Ich stehe im Regen und niemand holt mich ab.

Ich stelle mich kurz vor: einerseits DJ, andererseits Veranstalterin zweier monatlicher Events im Flex sowie im Camera Club. 1995 habe ich begonnen aufzulegen, 1996 meine erste kleine Veranstaltung geschmissen. Bis 2017 hat es gedauert, mit vielen finanziellen Verlusten und Risiken, die ich durch meine Daytime-Jobs stets privat aufgefangen habe, bis ich, immer noch mit hohem Risiko, vom Veranstalten und DJing leben konnte. Über 20 Jahre lang habe ich mir etwas aufgebaut, von dem ich geträumt habe und was jetzt, dankenswerterweise von so vielen geschätzt wird. Seit 2017 bin ich also voll selbstständig, zahle brav meine Steuern und meine SVA, falle niemandem zur Last.

Ich arbeite in einer Branche, die von der Stadt Wien zwar gerne beworben wird – gerade und speziell im Tourismus – Wien als Kulturstadt, mit einem tollen, pulsierenden Nachtleben, die gleichzeitig aber auch gerne ignoriert, belächelt und kleingeredet oder gar als ungesunde und gefährliche Freizeitgestaltung dargestellt wird. Doch dessen war ich mir bewusst und habe ich mich dennoch darauf eingelassen, um zu tun, was ich liebe: Menschen die Möglichkeit zu geben, sich in den nächtlichen Bann, in das Ambiente der Musik und der Clubs ziehen zu lassen, dabei nicht funktionieren zu müssen, dabei neue Musikstile und -kulturen von nationalen sowie internationalen KünstlerInnen präsentiert zu bekommen. Den Menschen die Möglichkeit zu bieten, am Wochenende zu flüchten, sich auszulassen, zu urlauben vom Alltag und sich gleichzeitig dabei noch kulturell zu bereichern, etwas anderes, Neues zu erleben.

Ich habe bis 15.03.2020 diesen meinen Traum gelebt und das völlig eigenverantwortlich. Ich habe nie Unterstützungen oder staatliche Hilfestellung gesucht. Ich habe das ganz alleine aufgezogen. „Danke“ sagt dieser Branche kaum eine offizielle Stelle, auch wenn es angebracht wäre. Ich kenne viele, die hier wichtige Beiträge unter hohem Risiko leisten, die Wiens Nachtleben im internationalen Vergleich überraschend hoch angesehen dastehen lassen. Sie alle warten derzeit, warten auf Godot.

Mein aktueller Status: Gefühlt zwangsenteignet. Mir wurde verboten, meinen Beruf auszuüben – aus gesundheitspolitisch nachvollziehbaren Gründen, aber eben doch: Ich darf mein Einkommen nicht erwirtschaften, ich darf mein Überleben nicht sichern! Und als wäre das nicht dramatisch genug, wird obendrein noch nicht einmal darüber gesprochen. Während über FriseurInnen, Sportplätze, ja sogar den grenzenübergreifenden Sommertourismus gesprochen wird, ist das Wiener Nachtleben – Nachtgastro, Musik- und Clubkultur – ganz klar nicht wichtig. Ich bin nicht wichtig. Mein und unser aller Überleben ist nicht wichtig. Danke. Ich bin gerührt.

Zum Härtefall-Fonds in aller Kürze: Ich habe den Antrag am 20.04. gestellt, am ersten möglichen Tag. Erst am 08.05. habe ich die Information erhalten, dass er mir bewilligt wurde. Das waren drei Wochen, in denen ich keine Angabe zum weiteren Verlauf bekommen konnte außer „In Bearbeitung“ auf telefonische Nachfrage. Nach wie vor fallen Zahlungen an: Umsatzsteuer, SVA, Steuerberater und auch einiges andere um einen Betrieb „danach“ zu ermöglichen. Ach ja und ich lebe ja auch, auch das kostet Geld, Überraschung, liebe Politik, damit habt ihr wohl nicht gerechnet. Ja, ich habe die Akontozahlung aus der Phase 1 recht rasch erhalten, das räume ich ein. Das war sogar sehr schnell. Aber das war am 30.03. Das waren 1.000€. Davon ginge sich das alles, was ich zu zahlen habe, zum einen schlicht nicht aus, zum anderen schon gar nicht für zwei Monate, die meine Ausfälle nun jetzt bald andauern. Rücklagen? Ja ein bisschen, nichts Weltbewegendes. Ausgaben, die ich nicht mehr zurückerhalten werde, weil bereits bestätigte Veranstaltungen abgesagt wurden: Ja, einige.

Und ich wiederhole: Ich würde gerne selbst etwas gegen meine aktuell prekäre finanzielle Situation tun, aber: Ich darf nicht!

Ich habe Fragen, von denen ich nicht weiß, an wen, wohin ich sie richten kann, wer sie beantworten kann, wer sie beantworten wird. Oder, ob sie überhaupt schon jemand gestellt hat:

  • Wo ist die schnelle und unbürokratische Entschädigung, die von der Regierung medial so groß propagiert wurde?
  • Warum spricht niemand über die Pläne für unsere Branche? Warum bekomme ich zu meinem Betrieb keine dringend benötigten Informationen?
  • Warum gibt es kein Bekenntnis der Regierung (Stadt und/oder Land) zu uns, zum Nachtleben, zur Musik- und Clubkultur, zu unserer Existenz, zur kulturellen Relevanz ebendieser?
  • Warum werde ich also offensichtlich nicht ernst genommen und mein Überleben nicht nachhaltig gesichert beziehungsweise fehlt dazu jeder Plan und jede Information?
  • Warum müssen Clubs Spendenaufrufe im Internet machen, werden quasi betteln geschickt? Warum fängt die Stadt/Regierung sie nicht auf? Denn wenn es die Clubs nachher nicht mehr gibt, gibt es mich auch nicht mehr.
  • Wie gedenkt die Regierung, das Überleben der Nachtbetriebe inklusive aller Beteiligten sicher zu stellen?
  • Worauf genau muss ich hier warten, was muss ich machen, damit über mich gesprochen wird? Damit ich arbeiten kann, damit ich zumindest Informationen darüber bekomme, wann ich wieder arbeiten kann, damit ich finanziell planen kann, damit ich zumindest erahnen kann, ob ich das überleben können werde.
  • Warum gibt es keine Arbeitskreise, in denen eine mögliche wirtschaftlich relevante Teil-Öffnung gegebenenfalls mit staatlichen Förderungen zumindest evaluiert wird? Warum werden Betroffene nicht in Gespräche eingebunden?
  • Warum wird über den Tourismus gesprochen, die Wiedereröffnung, die Entschädigung der Hotels, aber nicht über KünstlerInnen, Nachtleben, Clubs, und all die vielen Leute, die daran wirtschaftlich mit hängen?
  • Warum gibt es noch keine Informationen zu Förderungen über die drei Monate der Härtefall-Fonds hinaus?
  • Warum wird mir eine Stundung als finanzielles Hilfspaket verkauft?

Wenn das Wiener Nightlife und damit auch ich weiter ignoriert werden, wird sich das im „Danach“ übel rächen:

  • Nachhaltig geschlossene Clubs & Discotheken
  • Nachhaltig verlorene Arbeitsplätze
  • Drastische Senkung der Freiräume für Kultur und Musik
  • Radikal ausgedünntes Nachtleben
  • Jugendkultur mangels Alternativen in der Illegalität
  • Wien verliert einen Teil seines Rufs als Weltstadt

Ich bin mir ganz sicher, das will auch die Regierung nicht. Aber möglicherweise wird sie erst zu spät darüber nachdenken. Wie ich das verhindern kann, würde ich gerne wissen. Wer uns zuhört und unseren Warnungen, würde ich gerne wissen. Is anybody out there?