Do, 20. Nov 2008

Genug ist nie genug!

Es gibt zwei Dinge, die unendlich sind. Die Gier der Menschen und das Universum. Wobei sich Einstein bei letzterem nicht sicher war. Eine Polemik zur Finanzkrise.

 

Bitte alle die Zwangsjacken festziehen, das Hirn kräftig durchspülen und die Augen zukleben. Es gibt hier nichts zu sehen. Schon gar nichts zu verstehen. Und überhaupt: Es läuft alles nach Plan! 

 

Was geht eigentlich ab?

Die Welt ist ein Irrenhaus, und wir tanzen alle gemeinsam zum Börsen-Index. Mal rauf, mal runter und irgendwie immer im Kreis. Woher der Takt kommt, weiß schon lange keiner mehr. Hauptsache, die Rendite stimmt. Immer kräftig mitsingen: Kaufen! Kaufen! Kaufen! Was gestern die Weltwirtschaftskrise war, ist morgen der beste Investitionszeitpunkt seit Geldgedenken. Die globale Hochfinanz ist ein Zockerverein und die Welt ihr Casino.
Doch mit welchem Geld wird gezockt? Woher kommt es und wem gehört es? Wer sind die Spieler? Was wird gespielt? Nach welchen Regeln? Gewinnt immer die Bank?
Diese Fragen können doch nicht so schwer zu klären sein, meint der Laie. Immerhin bestimmen diese auf Papier gedruckten Zahlen jeden unserer Lebensbereiche. Wer das Geld regiert, regiert die Welt. Klar, dass da nur die klügsten Köpfe, nach klaren Regeln, mit größtem Verantwortungsbewusstsein und völlig transparent, weise, selbstlos und im Dienste der globalen Gemeinschaft die Geschicke der Weltwirtschaft lenken. Um so jedem einzelnen Menschen ein gelungenes, geglücktes Leben zu ermöglichen.
Und genau so ist es! Außerdem ist Strache Haiders Klon, Ratzinger erhält direkte Befehle von Gott und der amerikanische Präsident ist ein Schwarzer. Verdammt, letzteres stimmt tatsächlich. Das gibt Hoffnung. Yes, we can! Trotzdem: Das Finanzsystem scheint ein abgesichertes Sozialprojekt für anonyme Spielsüchtige zu sein. Kapitalismus is the name of the game, Geld ihre Droge und Gier ihr Antrieb. Der Turbo ist gezündet.
Es scheint ein wenig so, also würden wir zwar genau wissen, dass direkt hinter der Ziellinie eine dicke Mauer steht, aber trotzdem geht es zuerst darum, möglichst schnell ins Ziel zu kommen. Also gierig das Gaspedal durchtreten! Mit einer atemberaubenden Kurzsichtigkeit werden wirtschaftliche Entscheidungen getroffen, ausgerichtet alleine auf die Maximierung des eigenen Gewinns. Koste es ,was es wolle. Billiges Rindfleisch? Lasst uns den Regenwald für Weideflächen niederbrennen und die Viecher unsere Atmosphäre wegpupsen.*
Zukünftige Generationen werden komplett ausgeblendet. Wir saugen gierig die Welt aus, als wären wir die letzten Menschen (die unseren einzigartigen Planeten bewohnen dürften). Gezügelter Ressourcenverbrauch? Intelligente Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen? Nur für Deppen, wir geben jetzt einmal ordentlich Stoff. Man lebt nur einmal. Umweltschutz? Völlig überbewertet. Jeder schützt seine eigenen vier Wände. Das muss reichen. 
Wir müssen aber nicht nur für alle zukünftigen Generationen   Verantwortung übernehmen, sondern für all unsere Mitmenschen. Wir sind bereits eine globale Gemeinschaft. Zumindest wirtschaftlich. Alles steht miteinander in Verbindung, und ohne esoterisch werden zu wollen: Geld verbindet uns alle. Die Finanzkrise hat uns das weltweit auf den Börsenbildschirmen bewiesen. 
Kurze Rückblende: Ein arbeitsloser Anhänger der amerikanischen Unterschicht gammelt stilvoll in Bier und Unterhemd auf dem Balkon seiner verfallenden Hütte und träumt von einem neuen Eigenheim. Ein Kredit muss her. Zu diesem Zeitpunkt kein schwieriges Unterfangen. Die Kreditzinsen sind niedrig und die Immobilienpreise steigen, das neue Eigenheim ist daher eine scheinbar gute Absicherung für die Bank. Hypothek drauf und die Sache ist geritzt. Die Kreditvergabe erfolgt sehr großzügig, die Prüfung der Bonität sehr geringfügig. Dafür aber völlig objektiv, versteht sich. Von Menschen, die ihr Geld durch die Vergabe von Krediten verdienen. Je mehr Kredite, desto mehr Geld. Gier statt Objektivität. Und so wurden Millionen von diesen schlecht gesicherten Krediten vergeben (Subprime-Kredite). 
In weiterer Folge wurden die Kredite zu Paketen gebündelt und mit dem richtigen Namen versehen: Statt der Etikette „Schrott-Kredite“ bekamen sie den klingenden Namen „Structured Investment Vehicle“ und wurden zum Kauf angeboten. Marketing ist alles. „Lässt sich tatsächlich verkaufen, der Dreck.“, lachen sich wohl jetzt noch einige in den, auf Dollar-Noten gebetteten, Schlaf. In Aussicht bester Renditen wurde gierig gekauft. Verkauft. Gekauft. Auf Knopfdruck weltweit. Eigene Hedgefonds spezialisierten sich darauf. Wieder wurden die richtigen Namen erfunden: Fond für ungesicherte Kreditvergabe an arbeitslose Alkoholiker? Nein, nein, nein. „High-Grade Structured Credit Strategies Enhanced Leverage Fund“ (© Bear Stearns), so muss das heißen. Allein dafür ist das dicke Millionen-Manager-Gehalt gerechtfertigt.
Doch dann stiegen die Kreditzinsen, die Schuldner wurden zahlungsunfähig, die Häuser verkauft, die Immobilienpreise brachen folglich ein und die weiteren Forderungen waren einen Rotz wert.
Große Krise. Weltweit. Und jetzt werden hunderte Milliarden locker gemacht, um dieses wahnsinnige Glücksspiel wieder anzukurbeln. Milliarden, versemmelt von Wenigen, rückfinanziert von der Gemeinschaft. Privatisierung der Gewinne, Solidarisierung der Verluste. Wieder kann ich sie lachen hören. Sonst sind die Pensionsfonds weg und alles geht den Kurs runter, so die Angstmache. Stimmt wahrscheinlich sogar, aber irgendwie will man schon den Mittelfinger in die Sonne halten. 
Hauptsache, es fehlt die Kohle, um Kinder in Afrika vor dem Hungertod zu bewahren. Unfassbar. Dort sterben sie, und in Europa kann man gar nicht so viel fressen, wie man kotzen möchte.

Wie lange können wir uns die Reichen noch leisten?

Wie lange lassen sich Entwicklungsländer noch den Abzug ihrer Rohstoffe gefallen, während die wahre Wertschöpfung durch Weiterverarbeitung in ganz anderen Ländern stattfindet? Über Tochterfirmen und Stiftungen wird das Geld dann in Steueroasen vergraben (z.B: Jersey, Cayman Islands). Der weltweite Verlust auf Grund entgangener Steuereinahmen wird auf 250 Milliarden Dollar geschätzt. Geld, für das die Weltgemeinschaft sicher einen Verwendungszweck finden würde. Woher der Zasta kam und wem er gehört, lässt sich nicht mehr nachvollziehen. Wie lange lassen wir uns diese unerkannte Kapitalflucht für eine kleine Elite gefallen?
Um möglichst hohe Renditen zu erwirtschaften, muss das Geld angelegt werden. Von Spekulanten, deren Provision und Bonuszahlungen von den erwirtschafteten Renditen abhängig sind. Hohe Renditen sind naturgemäß mit einem hohen Risiko verbunden. Nachdem sowohl die Eigentümer des Vermögens  als auch die Spekulanten somit aber ganz gierig auf hohe Renditen sind, ist die objektive Risikoabschätzung ein wenig von subjektiven Interessen überschattet. Zocken, bis die Gemeinschaft brennt. Und zwar die Verluste. Wie lange können wir uns das noch leisten?

Aus Fehlern lernen? Nicht mit uns!

Jedes Kind lernt, vorausschauend zu denken und aus Fehlern zu lernen. Wohl eine der wichtigsten Quellen für persönliche Weiterentwicklung. Und was passiert hier? Eigentlich nichts! Es werden Milliarden zu Verfügung gestellt, aber keine bedeutenden Verpflichtungen daran geknüpft. Sollten wir dieses System nicht vielleicht ein wenig überdenken? Und zwar ohne Tabus. Könnten ein paar gesetzliche Regulierungen oder zumindest klare Transparenzbestimmungen gar sinnvoll sein? Kredite, die von Weltbank oder Internationalem Währungsfonds an Entwicklungsländer vergeben werden, sind teilweise an wahnwitzige Strukturmaßnahmen über Jahrzehnte gebunden. Und hier wird ein gieriges und menschenfeindliches System von der Gemeinschaft weiter künstlich am Leben erhalten, ohne Recht auf Mitentscheidung. Geld her, aber schön kusch sein. Sonst ist die Pension weg. Ein Appell an unsere Gier. Das wirkt. Wie deppert sind wir eigentlich? 
Nicht die Gier einzelner, sondern die Bedürfnisse aller sollten das ausschlaggebende Entscheidungskriterium sein. Schlecht wird mir, wenn ich solche Aussagen höre: „Ich glaube nicht, dass ein Investor verantwortlich ist für die Ethik, für die Verschmutzung oder das, was eine Firma verursacht, in die er investiert. Das ist nicht seine Aufgabe. Seine Aufgabe ist zu investieren und Geld für seine Klienten zu verdienen.“ Getätigt von Mark Mobius, dem „Indiana Jones“ der Fondsszene und „Godfather of emerging markets“. Geht’s noch? Genau das wäre ein Punkt zur Besserung. Ebenso eine Besteuerung von Spekulationsgeschäften, die Abschaffung von Steueroasen und ein Überdenken unserer Prioritäten. Langfristige Sicherung von allgemeinem Wohlstand, statt kurzfristige Gewinnmaximierung,  Entwicklungshilfe statt Waffenentwicklung, ein globales Hungerabwehrsystem statt dem „Star Wars“-Raketenschirm. Noch leben wir nicht am Todesstern. Voraussetzung für die Umsetzung dieser Verbesserungsvorschläge ist ein massives wirtschaftliches Umdenken und eine geeinte Weltbevölkerung. Utopisch? Dann sollten wir gierig darauf hinarbeiten! Yes, we can!