2015
15
Dienstag Dezember

Shantel

P.P.C. Neubaugasse 6, 8020 Graz
Map
Einlass: 19:00 Uhr Beginn: 00:00 Uhr
  • Abendkasse 0.00
  • Vorverkauf 0.00
Shantel am 15. December 2015 @ P.P.C..

„Der Kosmopolit, der Weltreisende, der Paprika Bambaataa immer auf der Suche nach neuen Klängen: Shantel dreht seit jeher popkulturelle Klischees und sicher geglaubte Genredefinitionen auf links. Wenn er dann auch noch mit seinem Bucovina Club Orkestar die komplette Bühne mit Leben füllt, wenn globale Sounds in kompakte, anarchische Hymnen gegossen werden, dann sind Eklektizismus und Eskapismus gar nicht mehr weit voneinander entfernt. Keine Sorge: The Kiez is Alright. Disko Devil Shantel kümmert sich schon darum.“ Remy Kolpa Kopoul
 
Das neue Studioalbum Viva Diaspora ist stark inspiriert von dem krisengeschüttelten, anarchisch-kreativen Athen. Viva Diaspora möchte sich nicht im aktuellen Crossover- und Remix-Einerlei positionieren. Viva Diaspora ist kühner Wurf und Position zugleich: So können akustische, traditionelle und mediterrane Songs heute klingen, und so können sie sich auch in einem zeitgenössischen Partykontext entfalten. Viva Diaspora ist eine Platte, die wie ein Roadmovie klingt – Kino für die Ohren! Ein etwas länger als 24 Stunden dauernder Trip mit den Stationen Athen – Frankfurt – Paris – (Kingston) – Brooklyn – Istanbul.
 
Athens Spring 2015
Schon seit mehr als zwei Jahren pendelt Shantel zwischen seiner Homebase in Frankfurt und seiner neuen Wahlheimat Athen hin und her, um sich mit Gleichgesinnten auszutauschen, Musik zu machen und zu experimentieren.
 
Early Morning
„Shantel ist der Einzige, der in der Lage ist, die traditionelle Musik in die Moderne zu holen ohne eine Katastrophe anzurichten.“ Areti Ketime
 
Seit 24 Stunden auf den Beinen beginnt der Tag kontemplativ, Myriaden fein zirpender Klänge von Kanun, Tzsouras, Cümbüs und Saz flirren um die Ohren. EastWest – Dysi ki Anatoli (EastWest – With a Little Spice of Orient, die erste Single des Albums) – die ätherische Stimme von Areti Ketime löst sich und gräbt sich tief in unsere Gehörgänge. Der Ton ist gesetzt – es ist ein Gruß gen Osten, über alle Grenzen Griechenlands und der Türkei hinweg in den Orient.

Areti eröffnete als Teenager die Olympischen Spiele von Athen, spielt und singt im TV vor Milliarden von Zuschauern. In Athen begegnen sich zwei Künstler auf Augenhöhe und vereinigen ihre Ambitionen. Shantel teilt mit Areti eine gemeinsame Liebe zur Urmutter des Rembetiko: Der Smyrna-Sound der untergegangenen Metropolen Kleinasiens bildet eine natürliche Brücke zwischen Ost und West, Orient und Okzident. Rembetiko, dieser verfemte Blues der griechischen Underdogs und Bonvivants, inspirierte Shantel schon immer. Obwohl der Rembetiko von Regierungen verboten, seine Interpreten ins Gefängnis geworfen wurden, hat er gerade auch als Sound des Protestes gegen die griechische Militärdiktatur überlebt!

Lunch
Am späteren Morgen wird Stärkung in einem Kafenion gesucht, Shantel trifft die Crème der Athener Sessionmusiker, der Groove ist mid-tempo, die Stimmung der Instrumente byzantinisch bzw. levantinisch, HipHop-Beats gesellen sich dazu. Man vereinbart, später noch ins Studio zu gehen und die Ideen auf Band zu bannen. Doch erst steht ein Mittagessen mit den Greek-Electronica-Pionieren Imam Baildi auf dem Plan.

In Athen, inmitten einer alle Menschen und Werte bedrohenden Finanzkrise, entdeckte Shantel eine neue Generation von Musikern und Produzenten, die sich vom alten System schon längst verabschiedet und für die Vetternwirtschaft der alten „Großkünstler“ nur noch Spott und Verachtung übrig haben. Wie im Frankfurter Bucovina-Club-Sound verbinden sich analoge und digitale, traditionelle und avantgardistische Klänge. Junge Künstler wie Imam Baildi suchen den Kontakt, fragen nach Shantels Produzentenfähigkeiten, man vereinbart eine Kooperation.
 
Afternoon / Recording Session Sierra Studios
Nachmittags trifft sich Shantel mit den angesagtesten Musikern der traditionellen Szene in den ehrwürdigen und legendären Sierra Studios (50Cent arbeitete im Nachbarstudio). Die Studios wurden in den 70er Jahren mit der neuesten Analogtechnik ausgestattet und befinden sich noch immer im Originalzustand.

Im Athener Studio versammelte Shantel neben Areti Ketime 25 weitere Musiker, die alle wichtigen griechischen traditionellen Instrumente spielen. EastWest – Dysi ki Anatoli geht mit seinem byzantinisch-orientalischen Sound an die Wurzeln griechischer Musik und bleibt dabei immer tanzbar. Mit flirrender Leichtigkeit gelingt es Shantel, 100 Jahre nach dem Beginn der „Kleinasiatischen Katastrophe“, eine Brücke zwischen Griechenland, dem Nahen Osten und dem Rest Europas zu bauen. Elektronische Sounds und unterschiedliche musikalische Texturen flirten miteinander und vereinen sich zu einem leicht federnden Song, bei dem auch druckvolle Bläsersätze um die Ecke lugen. Das vielstimmige Orchester des Produzenten Shantel versammelt traditionelle Instrumente wie die Lauten Oud, Tzsouras, Baglama, Cümbüs, Fender Mustang, das Akkordeon, Klarinetten, die Flöte Ney, diverse Streichinstrumente wie Politiki Lyra und Kemence, die orientalischen Zithern Santur, Kanun, einen Laptop und einen Linn Drumcomputer. Süßliche Bouzouki-Klänge werden durch die Fender Mustang E-Gitarre ersetzt, die Klangpalette mit einer Vielfalt orientalischer Klänge erweitert. Wir hören einen Sound, wie er von Athen bis nach Beirut erklingen könnte, ein Orchester, das sich für den Party-Train der Berlin-Bagdad-Bahn bestens empfehlen könnte.
 
Evening / Somewhere in Exarchia
Exarchia, im Volksmund: Anarchia, der geheime Szene-Nabel von Athen. Der Stadtteil ist geprägt von Studenten, Graffiti-Künstlern, Anarchisten, der Boheme, Instrumentenbauern, Bioöl-Herstellern, DIY-Shops und Clubs. Ein subkulturelles Milieu, das Shantel an die wilde Zeit im Frankfurter Bahnhofsviertel erinnert – doch davon später…

Die Stadt ist im Gegensatz zu vielen In-Metropolen Europas noch nicht gentrifiziert. Hier gibt es noch kontrastreiche Freiräume, die seit jüngster Zeit kreativ genutzt werden. Die Jugend der Stadt ist sich selbst überlassen und lebt am Existenzminimum. Sie sind vom Geist des DIY beseelt: Mach’s selbst!
 
Midnight / Frankfurt-Bahnhofsviertel
„Frankfurt war schon immer die Metropole des guten Geschmacks, der Kreativität und internationalen Solidarität (also im a-politischen Kontext von GP würde ich Internationalität schreiben…).“ Gilles Peterson bei seinem Auftritt im Lissania Essay Club 1994
 
Rein in den Flieger nach Frankfurt, Touchdown im Bahnhofsviertel, wo vor 30 Jahren alles begann. Hier dreht der Disko Devil wieder auf und trifft seine Kollegen aus der Frankfurter Reggae-Szene, um live zu testen, was später im zur Szene gehörenden Babylon Central Studio aufgenommen werden soll.

Ausgangspunkt seiner weltweiten Reisen ist Frankfurt, die internationalste und derzeit am schnellsten wachsende Stadt Deutschlands. Hier wird Internationalität schon immer am konsequentesten gelebt – sei es im Handel oder im Zusammenleben mit Einwanderern: Nach dem 2. Weltkrieg lebten über 60.000 amerikanische GIs in und um Frankfurt, heute hat die Stadt die höchste Anzahl ausländischer Mitbürger aller deutschen Städte. Im kultigen Frankfurter Bahnhofsviertel startete Shantel seine musikalisch schon damals extrem eklektische Karriere. Er spielte in der griechischen Subkultur-Rembetiko-Band Prosechòs, nahm mit ihr eine Platte auf und ging 1987 mit auf große Europatour. Gleichzeitig eröffnete er den legendären illegalen Underground-Club „Lissania Essay“, veranstaltete die ersten Frankfurter Gigs von MC Solaar, Dee-Lite, Jamiroquai, Gilles Peterson und Kruder & Dorfmeister, produzierte für das damals angesagteste Label K7! eigene Musik, gründete sein eigenes Label (Essay Recordings) und war als Impresario und DJ für seine abenteuerlichen Mixe in ganz Europa bekannt. Nach der Party in Frankfurt ging es im R4 zur After-Party nach Paris oder Berlin… Im Schatten der Hochhaustürme des Bankendistrikts entstand im Spannungsfeld einer größtenteils migrantischen Bevölkerung, Drogenabhängigen, Vergnügungsbetrieben, Sexworkern, Künstlern, Freaks und Nachteulen ein Kraftfeld, das schon damals manchen kreativen Geist befeuerte. Shantel war nicht nur Pionier, sondern auch wichtigstes Aushängeschild eines Viertels, das heute in großen Artikeln und Reportagen abgefeiert wird – sogar die New York Times hat schon den Schuss gehört und Shantels Barrio zu den weltweit „50 places to be“ ausgerufen!
 
Early Morning / Afterhour in Paris
„Shantel verzaubert Clubs und Konzerthallen, befeuert die Paläste im besten aller Sinne. Seine Intuition ist Legende: Er weiß den Dancefloor zu lesen: maximal 3 Songs – und der Dancefloor brennt.“ Tony Allen (Damon Albarn, Agrobeat)
 
Shantel ist mittlerweile ziemlich aufgedreht und entscheidet spontan, seinen Songlines aus den frühen 90ern zu folgen und im R4 nach Paris zu rauschen – so wie er es früher immer gemacht hat. Die Fahrt wirkt beruhigend, denn er freut sich, in Sacha Finkelsztajns Boutique Jaune in der im Marais gelegenen Rue des Rosiers zu frühstücken. Matseleh, Bagels, Strudel, dazu starker, mit Kardamom gewürzter Kaffee.

Paris: Hier studierte Shantel Grafikdesign und fand als DJ schon in den 90ern sein Publikum. Heute brennen die Pariser darauf, ihn mit seinem Bucovina Club Orkestar zu erleben, spielt er auf allen angesagten Festivals dieses musik-affinen Landes.
 
Afternoon / Brooklyn (New York)
“This should be a fun album! I’m excited to hear what this sounds like as a full album – the songs are well produced and the vocals are really great. I like the combination of genres throughout the record. I’ve played music with a local Reggae band, and I’m feeling some similar influences with your music.” Scott Hull (Masterdisk)
 
Nun aber in den Flieger nach Brooklyn (NY) – ohne Zwischenstopp in Kingston, obwohl ihn Reggaebeats und Reggaemelodien schon lebenslang begleiten. Bei Katz’s Delicatessen warten nicht nur Scott Hull von Masterdisk, sondern auch noch die köstlichsten Pastrami-Sandwiches der Welt, very special Frankfurters und icecold Lager. Das Gespräch mit Scott dreht sich um die Frage, wie auch im Mastering-Prozess die richtige Balance zwischen akustischer Produktion und Instrumenten sowie subtil eingesetzter digitaler Technik und elektronischen Sounds erreicht werden kann. Denn schließlich ist es ein Markenzeichen von Shantel, das empfindsame Zusammenspiel der (akustischen) Musiker nicht brachial niederzuwalzen.

Scott Hull (Bob Dylan, Sting, Donald Fagen, Sharon Jones,…) ist ein absoluter Meister seines Fachs. “Scott Hull is the only person I know who can improve on perfection.” John Zorn
 
Reggae – die Kingston Brooklyn Connection: Der Jamaikaner DJ Kool Herc ist der Gründungspionier der HipHop culture, die sich in den 70ern von der New Yorker Bronx erst über die Stadt, dann das ganze Land und wie eine Feuerwalze über die ganze Erde verbreitete. Brooklyn sah die Geburt der ersten weltweit erfolgreichen weißen Rapping Crew (Beastie Boys) und die Fusion von Reggae und House (Bobby Konders).
 
Night / Back to Europe
„I like it…back to the old formula. Lots of spice. I like it…” Ahmet Ulug (Babylon Mastermind)
 
Lange kann der Aufenthalt in New York nicht andauern, ein kleiner „power nap“ im Flieger wird dringend benötigt, denn im legendären Babylon Club in Istanbul, jenem atmosphärischen Gemäuer, das einer der Hotspots der Stadt ist, warten schon die Fans auf den seit mehr als 10 Jahren seine Messen zelebrierenden Disko Devil. Hier schließt sich der Kreis einer Produktion, die Shantel als eine Hommage an die Jugend Südeuropas verstanden wissen will. Ihr Schlachtruf, wenn schon alles den Bach runter geht: The crisis sounds sexy!
 
Die zwei Fragen, die sich Shantel im Zentrum seiner Arbeit an Viva Diaspora stellte: Wie fange ich den Sound so genau und so akustisch wie möglich ein? Und: „Wie schaffe ich für die Musik, für die ich mich schon als Kind begeistert habe, eine neue, internationale Form, einen pan-europäischen zeitgenössischen Sound?“ Das Album beweist zum einen Shantels intensive Rezeption und Verarbeitung von Traditionen, sei es die der Instrumente, der Form der Songs, der Rhythmen oder Tonleitern und zum anderen die Aktualität seines Ansatzes: Nichts geschieht anbiedernd, miefig oder museal. Es ist ein geschmeidiges Surfen zwischen den Welten, das eine ganz neue Power freisetzt. Viva, Viva Diaspora!