Eine stimmige Sache

(Un)Entbehrliches Wissen #69

Es gibt Acts, die ganz ohne sie auskommen, der Faktor „kratzig und verraucht“ gilt oft als Qualitätskriterium und am dritten Festivaltag ist sie (bei Normalsterblichen) normalerweise verschwunden: Die Rede ist von unserer Stimme.

 Jeder, der sich schon einmal (abseits von Dusch- und Autosessions) mit verschiedenen Formen von Gesang beschäftigt hat, weiß, wie viel Arbeit (Zigaretten- und Alkoholkonsum eingeschlossen) dahintersteckt, um auch nur annähernd so wie sein stimmliches Idol klingen zu können – sei es Bob Dylan, Luciano Pavarotti, Serj Tankian oder Faber.
Professionelle Sänger betreiben Stimmbildung wie einen Leistungssport und trainieren oft mehrmals täglich. Kurios: Viele Zuhörer empfinden den klassischen Operngesang als „künstlich“, obwohl speziell diese Technik ausschließlich die natürliche Stimme verstärkt und das Bestmögliche aus ihr herausholt. Je reiner, klarer und kräftiger der Ton, desto eher wird die Anatomie des eigenen Körpers richtig genutzt und dementsprechend ein größerer Oktavenumfang ermöglicht.
Komplett ident wie der Lieblingskünstler zu klingen, ist übrigens unmöglich – jeder Mensch hat individuelle anatomische Voraussetzungen und dadurch einen anderen Stimmapparat mit personifiziertem Resonanzkörper samt Klangfarbe. Das heißt, so sehr Helene Fischer es auch versuchen würde, sie könnte nie wie Brody Dalle klingen – und soll es auch bitte nie versuchen.
Im Laufe des Lebens entwickelt Mann und Freu Vorlieben für gewisse Stimmen und gewöhnt sich an sie. Unser Gehirn beginnt schon im Mutterleib damit, Geräusche einzuordnen und vor allem die Klangfarbe der Eltern zu verinnerlichen. Auf diese vertrauten Stimmen und Sounds reagiert man später dann mit erhöhter Aufmerksamkeit.
Das erklärt auch, warum man vor Scham im Boden versinken möchte, wenn man sich selbst auf Videos oder Audioaufnahmen hört. Der Schall des eigenen gesprochenen Wortes kommt nämlich nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich im Gehör an. Er wird dabei durch den menschlichen Körper gefiltert. Hierbei werden gewisse Frequenzen abgeändert und das Ergebnis ergibt zusammen mit dem Schall aus dem Mund einen „verfälschten“ Klang der eigenen Stimme. Hört man sich dann zum ersten Mal rein äußerlich – eine Aufnahme zum Beispiel – dann erscheint uns das fremd und gefällt uns meistens nicht. Die Folge ist der Klassiker: „Das ist aber nicht meine Stimme, oder? Klinge ich wirklich so nervig?“
Wie essenziell der Tonfall ist, zeigt sich immer wieder in Studien. Angeblich ist die Art, WIE etwas gesagt wird, um einiges wichtiger, als das WAS gesagt wird. Bei Vorträgen vor Publikum werden laut Forschern 38% des Auftretens anhand der Stimme und Sprechweise beurteilt – wie hastig oder gemäßigt das Tempo ist, wie deutlich gesprochen wird oder wie selbstbewusst das Ganze klingt. Der Inhalt interessiert anscheinend kaum jemanden, denn nur 7% der Bewertung des Auftretens lassen sich darauf zurückführen. Man weiß nicht, ob einen das für zukünftige Präsentationen beruhigen oder verunsichern soll.
Offenbar kann man zudem im Alltag davon profitieren, an den eigenen, naturgegebenen körperlichen Voraussetzungen zu arbeiten – unsere Stimme verrät nämlich so einiges über unsere Attraktivität. Im Zuge einer Studie der US-Uni Albany kristallisierte sich deutlich heraus, dass wir nicht nur einschätzen können, ob die Person, deren Stimme wir gerade hören, sexuell aktiv ist – nein, wir können anhand eines Telefongesprächs auch die Körpergröße und die Festigkeit eines Handschlags einschätzen oder erkennen, ob sich eine Frau aktuell in ihrer fruchtbaren Phase befindet.
Also, achtet am nächsten Festival bitte gut auf das hysterische Kreischen neben euch, vielleicht besteht akutes Paarungspotenzial – sobald der Tinnitus wieder vorbei ist, natürlich.

Some Random Facts

  • Gesang ist der musikalische Gebrauch der menschlichen Stimme und die älteste und ursprünglichste musikalische Ausdrucksform.
  • Babys erkennen schon früh Emotionen in bekannten Stimmen und können diese zuordnen.
  • Männer und Frauen sprechen mit einer höheren Stimme, wenn sie das Gefühl haben, ihr Zuhörer habe einen höheren sozialen Status.
  • In den Rednerschulen des berühmten römischen Rhetorikers Cicero gehörten Übungen der Stimmgebung zum Grundlehrstoff.