Di, 22. Mai 2018

Ein Sommer wie damals

Pressyes im Interview

Multiinstrumentalist René Mühlberger beweist mit „On the Run“, dass Polaroids nicht nur retro, sondern gleichzeitig auch modern sein können. Vergleichbar mit einem zeitdehnenden Blick durchs Kaleidoskop erfährt man Klangästhetiken, die man unter anderem von Tame Impala kennt. Wie er mit derartigen Referenzen umgeht, ob das Schreiben, Aufnehmen und Produzieren im Alleingang Freiheit oder Einsamkeit bedeutet und welche Reiseziele den Sound seines Debüts maßgeblich beeinflusst haben, hat uns Pressyes im tiefenentspannten Interview verraten.

Das Album ist aus dem bewussten Wunsch entstanden, die Maschen im eigenen Netz zu lockern, zu vergrößern und schließlich darüber hinauszugehen. Was hast du in diesem Prozess über dich selbst als Künstler und als Mensch gelernt?

Ich habe mir sehr viel Zeit gelassen und mich immer wieder dran erinnert, dass der Entstehungsprozess der intimste und schönste Teil des Künstlerdaseins ist (bzw. sein sollte). Wenn die Platte am Ende draußen ist, gehört sie nicht mehr nur einem allein – das ist ein verrücktes Gefühl. Generell versuche ich jetzt, mehr im Moment zu leben und das Leben einfach zu genießen. YOLO! (lacht)

Schreiben, Aufnehmen, Produzieren – du hast beinahe alles im Alleingang gemacht. Wie war das für dich?

Ich genieße im Grunde jeden Teil des Musikmachens. Mein Homestudio ist zu einer gut gefüllten Spielwiese geworden und Langeweile kenne ich hier nicht. Natürlich dauert so alles etwas länger, wenn man sich unbegrenzt Zeit nimmt und selbst alle Instrumente schichtweise einspielt, aber ich kann mich sehr gut auf ein Ding, einen Moment einlassen.

Was waren die Vor- und Nachteile dieser Arbeitsweise?

Wie schon erwähnt, habe ich mir für jedes Instrument eine gewisse Zeit genommen – das war schön! Auf der anderen Seite habe ich mich natürlich sicher das eine oder andere Mal in etwas verrannt und den Überblick auf das große Ganze verloren. Ich schätze, es ist nicht normal am Schlagzeugsound mehrere Monate zu arbeiten, oder doch? (lacht)

Nach eigener Aussage legst du jetzt viel mehr Wert auf Texte als früher. Wie hat sich das bei Arbeit an „On the Run“ geäußert?

Texten ist für mich nach wie vor ein Mysterium. Manchmal strömen die Worte einfach aus mir heraus. Manchmal suche ich wochenlang nach dem richtigen Reim, oder – was mir wichtiger ist – dem richtigen Gefühl für einen Song. Bei „On the Run“ war es mir sehr wichtig, die Texte in Bezug auf meine Reisen zu schreiben.

Deine vielen Reisen haben den Sound des Albums maßgeblich beeinflusst. Wenn du den Nummern „Hideaway“, „On the Run“ und „Touch the Sky“ ein Land/einen Ort zuordnen müsstest, welches/welcher wäre das jeweils?

„On the Run“ ist stark geprägt von der klebrigen T-Shirt-Hitze in Marokko und den Trommelgruppen, die ich dort Hochzeiten bespielen sah. Alles laut, heiß und schwül. Die Synthhook von „Hideaway“ versucht, Sri Lankas Partyleben in meinem Kopf wiederauferstehen zu lassen. „Touch the Sky“ ist wie auch „California“ ein Stück über einen imaginären sonnigen Ort. Ich liebe es, in meinem alten VW Bulli Musik zu hören – und dachte mir: Es ist zu lange her, dass ich Musik für eine schöne Sommerfahrt geschrieben habe. Das hat mir letztendlich auch die Arbeit am Album sehr versüßt. Diese Positivität habe ich nach der Trennung meiner letzten Band sehr gut brauchen können.

Wie wichtig ist Meditation für deine Kreativität?

Als Künstler mit mehreren Standbeinen (mein eigenes Produzieren, Gitarrist bei Clueso, etc.) gibt es oft Situationen, in denen mir alles ein wenig zu viel wird. Dann brauche ich eine Auszeit, setze ich mir Kopfhörer auf, suche mir auf YouTube eine Atemmeditation und konzentriere mich auf nichts anderes. Also nicht übermäßig transzendental und auch völlig ohne Guruansätze, aber es funktioniert für mich unglaublich gut, wenn ich abschalten möchte. Der Kopf ist danach frei, Entscheidungen fallen wieder sehr leicht und ich fühle mich manchmal erholter als nach einem langen Schlaf. Einziger Nachteil: Es macht, so wie vieles Gute im Leben, süchtig.

Wo befindet sich dein Lieblingsrückzugsort?

Abgesehen von den sonnigen Stränden am anderen Ende der Welt verbringe ich meine Quality Time meistens bei meinen VW Bullis. Nicht nur das Fahren ist unglaublich entspannend, auch die körperliche Arbeit macht mir einfach Spaß: Schleifen, Kitten, Lackieren, das alte „Motor-rein-raus“-Spiel. Es ist eine großartige Abwechslung zum Künstlerdasein, wo man oft im Kopf feststeckt und nur selten körperlich arbeitet.

Wie sieht ein perfekter Sommertag ganz nach deinem Geschmack aus? Wo bist du, was machst du?

Picknick am Fluss oder am See in der Nähe von Wien mit Freunden. Der Bulli – postkartenmotivmäßig – im Hintergrund, die Picknickdecke retro. Kein Leben ohne eine Ray-Ban. (lacht) Ja, ich mag Klischees!

Vintage ist das neue modern … war früher (musikalisch) manches besser?

Ich sehe das so: Die Musiker hatten wahrscheinlich mehr Zeit, sich mit ihrem Talent zu beschäftigen. Keine Social-Media-Zeitfresserei. Dafür mehr Alkohol, Drogen und Groupies. Besser? Maybe.

Maybe! Wie stehst du zu den bisherigen medialen Vergleichen mit Tame Impala, Beach Boys & Co?

Mein VW Bulli „Wilson“ ist nach Brian Wilson von den Beach Boys benannt und Tame Impala habe ich 2010 im Wiener B72 für mich entdeckt. Also beides sehr ehrende Vergleiche. Es gibt aber wahnsinnig viele andere Künstler, die ich schätze, und ich bin immer auf der Suche nach neuer Musik, die mir gefällt. Generell ist es als Musiker wahnsinnig wichtig, neuer Musik gegenüber offen zu sein und nicht abzustumpfen.

Polaroid, Analog-Film, Spiegelreflex oder Handyfoto?

Was Vintage betrifft, habe ich leider schon vieles durch. Das bedeutet, ich bin wieder offen für die Moderne. Wenn es um Qualität und Design geht, bin ich ein klarer Vintage-Fanatiker: Alle meine (vor 1978) gebauten Studiogeräte haben der 3-jährigen Produktionsphase standgehalten. Einzig das nigelnagelneue Interface und der neue Laptop sind nach kurzer Zeit eingegangen!

Pressyes ist nicht nur Projektname, sondern auch dein Produzentenname. Mit wem fanden bereits Produktionen oder Kooperationen statt? Und was ist für die nahe Zukunft geplant?

Ich habe mittlerweile immer öfter Gäste in meinen Studioräumen. Das fängt oft mit einem zwanglosen Kaffeetreffen am Balkon an und endet immer öfter in einer Bandmaschinen-Synth-Drum-Orgie. Ich liebe Künstler mit einer klaren Vision. Im Moment sind die großartigen Cari Cari bei mir im Studio. An anderen Tagen schauen Das trojanische Pferd oder Ian Fisher vorbei, der mir übrigens bei meinen Texten ein bisschen zur Seite gestanden ist.

Die Nummern deines Debüts sind sehr detailliert ausproduziert. Jeder Sound wurde mit höchster Sorgfalt ausgewählt. Wie kann man sich die Live-Umsetzung am 23. Mai im B72 vorstellen?

Ich versuche, die Band im Moment noch klein zu halten – damit nicht mehr so viel Terminmanagement anfällt wie bei meiner letzten Band. Ich will bei der ganzen Sache ja auch Spaß haben und im Organisieren bin ich kein großes Talent. Im Moment bilden Marlene Lacherstorfer (Ex-Velojet) und Alex Kerbl die Rhythmusgruppe. Ich bespiele gleichzeitig Gitarre, Gitarrensynth und singe. Bei der Präsentation im B72 wird es aber ein paar Gäste geben, die bei der Entstehung der Platte auch dabei waren. Das wird eine sehr schöne Sache werden! Und im Anschluss werden Cari Cari ein Dj Set auspacken, yeah!

Wir freuen uns schon! Vielen Dank!