Do, 11. Jan 2018

Willkommen in Utopia!

Radio Havanna im Interview

Wenn ganz Europa immer weiter nach rechts driftet, wenn die Dummheit marschiert, die Angst regiert und die Marschrichtung die Vergangenheit ist, dann passt zwischen Pfeffi am Späti und den Kater nach der WG-Party immer noch eine geballte Faust. Dass die Hoffnung deshalb zuletzt stirbt, beweisen Radio Havanna mit ihrem sechsten Album „Utopia“. Ob Deutschpunk überhaupt noch funktioniert, wo Utopia liegt und wie sie sich mit ihrer eigenen Kampagne um Aufklärungsarbeit bemühen, hat uns Gitarrist Arni im Interview erklärt.

16 Jahre Radio Havanna – die 6. Platte. Wann ist Schluss? Ist jemals Schluss?

Das kann ich nicht sagen. Aktuell fühlt sich alles gut und richtig an. Zudem scheint die aktuelle Platte gut anzukommen. Spaß muss es machen und alle müssen sich wohlfühlen. Klar ist das nicht immer so, und klar gibt es auch Streit, aber aktuell stehen die Zeichen erst mal auf Utopia-Albumrelease und wir freuen uns auf eine Albumtour und Sommerfestivals.

Musik, vor allem politischer Deutschpunk, hat meine Jugend geformt und mein Leben sehr beeinflusst. Funktioniert das bei den Kiddies im Jahr 2018 auch noch?

Ich glaube Musik, die gut gemacht ist und eine Botschaft oder Attitüde hat, kommt immer gut an. Punk ist ja nun ein heiß diskutierter Begriff. Ich muss ehrlich sagen, dass ich mit den Punkbands in den 90ern teils weniger anfangen konnte als mit den Bands heute. Ich fand, dass viele Bands damals furchtbar geklungen haben und immer nur über Saufen getextet haben. Da fand ich gab es in den USA oder England spannendere Bands, denen die  Politik und die Lage ihrer Generation sehr am Herzen lag. Das war für mich der Startpunkt mit Punkrock. Und ich finde, dass heute wieder mehr Bands politisch Stellung beziehen. Das wird ja alles auch von einem Publikum getragen und somit denke ich, dass Punkrock im Jahr 2018 durchaus funktioniert.

Kommen wir zum neuen Album ‚Utopia‘. Ist das ein Platz, an dem ihr gern wärt? Oder ist das ein Platz, an dem momentan viele Menschen leben?

Für mich ist Utopia keine real existierende Welt. Einfach deshalb, weil dort viele aktuelle Probleme unserer Zivilisation nicht mehr ein Problem darstellen. Da gibt’s beispielsweise keinen Rassismus oder Sexismus. Ich mag die Vorstellung, glaube aber nicht, das viele Idioten ihre Dummheit sobald über Bord werfen werden. Aber an Tagen, an denen Donald Trump US-Präsident wird oder die AfD 13% der Wählerstimmen in Deutschland bekommt, träume ich schon gerne davon!

Mit der Vorabsingle ‚Faust Hoch‘ habt ihr ja auch eine politische Kampagne gegen den Rechtsruck gestartet. Was macht ihr mit der Kampagne? Was wollt ihr erreichen?

Gestartet ist alles eigentlich während unserer Albumaufnahmen letzten Sommer. Da ging es langsam Richtung Bundestagswahlkampf. Wir hatten den Song ‚Faust Hoch‘ über genau das braune Problem in AfD-Deutschland geschrieben, da meinte einer von uns: ‚Ey, die Sache wird in der nächsten Zeit wichtiger denn je, lasst uns doch ne Kampagne gründe die Faust hoch gegen die AfD heißt.“. Das hatten wir dann getan. Wir haben eine NGO gegründet, die es sich zum Ziel gesetzt hat, Künstler aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zu versammeln, zu einem klaren Statement gegen die AfD zu bewegen und gemeinsam mit Leute von Netz gegen Nazis professionelle Aufklärungsarbeit zu leisten. Wir haben da mit unserer Redaktion regelmäßig entlarvende Berichte über die AfD veröffentlicht, von denen viele sagen: ‚Wow, das wusste ich bisher wirklich nicht‘. Unsere Bands helfen uns und wir schaffen es so, diese Fakten über die AfD zu verbreiten. Ich finde, gerade bei den ganzen Bands stecken so viele junge Menschen im Publikum, die eventuell noch unsicher sind, was die Wahlen angeht. Diese wollten wir unbedingt erreichen. Am Ende war der Wahlabend natürlich echt ein Schock. 13% für die AfD war echt eine Negativ-Überraschung. Das heißt für uns ganz klar, dass wir jetzt damit weitermachen müssen. Wir sprechen mit weiteren Bands, haben Material und Stände auf einigen Festivals und weitere Aktionen sind in Planung.

Geht ihr selbst auf die Straße um zu demonstrieren oder liefert ihr den Soundtrack zum Widerstand?

Wir sind regelmäßig auf der Straße. Das ist uns seit unserer Jugend sehr wichtig und wird auch so bleiben. Fichte hat auf der Demo für die Erhaltung eines besetzen Hauses in der Liebigstraße in Berlin, zuletzt sogar eine gebrochene Nase von einem Cop kassiert. Durch das viele touren schaffen wir es natürlich nicht auf jede Demo, aber wir versuchen mitzumachen, was geht. Als Band spielen wir ja auch regelmäßig auf Demos wie auf den Anti-TTIP-Demos in Berlin und Leipzig oder bei zahlreichen Antifa-Demos.

Euer neues Album ist wie gewohnt sehr politisch. Sind euch Texte wichtiger als die Musik? Was schreibt ihr zuerst? 

Zu einem guten Song gehört beides: Er sollte hittig sein, und wenn er dann noch einen guten Text hat, dann ist wirklich alles bestens. Ich finde, somit ist nichts von beidem wichtiger oder unwichtiger, das geht ja bestenfalls Hand in Hand. Es ist auch bei mir im Songwriting sehr unterschiedlich. Manchmal habe ich eine Textzeile, die für mich ganz klar im Fokus steht und von der ich alles weitere aus schreibe, und oft schreiben Anfy und ich erst einmal die Melodien und basteln dann einen passenden Text.

2015 habt ihr in einem Interview des OX-Fanzines gesagt, dass ihr wohl nie im Fernsehen enden werdet, weil ihr die Leute zu sehr nervt. Jetzt wart ihr bei Circus Halli Galli. Fiktive Punk-Credibility verlieren, um eure politischen Botschaften dafür einer breiten Masse zugänglich zu machen – ist doch gut, oder? 

Erwischt! Ja, das stimmt, aber damit war eher gemeint, dass wir hinter unserer Botschaft stehen werden und dass, auch wenn wir musikalisch manchmal poppig sein können, uns die Message wichtig ist und da möchten wir für kein TV-Format der Welt Kompromisse eingehen. Circus Halli Galli hatte uns im Übrigen wirklich alles erlaubt. Im TV-Bereich sind die eventuell so eine Art Punks. Aber ich stimme dir auch total zu, dass ich ein Sprachrohr immer nutzen würde, um darüber etwas Sinnvolles an viele Menschen zu richten. Das ist mir nach unserer ‚Faust Hoch Kampagne‘ nochmal klarer geworden.

Ich war bei eurem (vermutlich) ersten Wien-Konzert mit Shit Lives On im Konkav/Movimento. Heute spielt ihr mit Anti-Flag und den Hosen. Kann man als Deutschpunkband abseits des Mainstreams von der Musik leben?

Was? Im Ernst? Da seid ihr gewesen? Das war wirklich unser erster Halt in Wien. Das Konzert wurde am Vortag zunächst abgesagt, da der eigentliche Veranstalter einfach ‚abgehauen‘ ist. Ein Konzertkollektiv hatte spontan die Show doch noch durchgeführt. Ich glaube, bei der Show waren max. 10 Besucher. Das war trotzdem ein sehr spaßiger Abend. Ich will euch bei der Gelegenheit unbedingt zu unserem Konzert am 28. April in die Arena in Wien einladen. Dafür, dass ihr dieses Konzert damals ertragen habt, habt ihr mindestens 2 x Frei-Pfeffi verdient!  Es ist grundsätzlich schwierig, von der Musik zu leben. Wir haben beispielsweise ja gerade erst ein eigenes Label gegründet. Da merkst du, dass du erst mal sauviel Kohle für so einen Release vorstrecken musst. Das haben wir uns in den letzten Jahren erspielt. Also so gesehen kommt schon etwas rum, aber reich sind wir alles definitiv nicht.

Apropos Wien … hier spielt ihr vermutlich viel kleinere Venues als in Deutschland. Macht das trotzdem Spaß? Zahlt es sich aus, die ganzen Kilometer zurückzulegen? 

Spaß macht das auf jeden Fall. Vor allem in Wien sind wir sehr gerne. Wenn wir regelmäßig in Städten aufkreuzen, lernen wir ja auch viele Menschen aus der Region kennen und wir sehen sie wieder. Das ist wirklich eine super Komponente am Touren. Emotional zahlt es sich daher fast immer aus.

So. Und jetzt seid mal ehrlich: Geht ihr wirklich bei Kaufland klauen? 

Vor allem unser Drummer Anfy und Sänger Fichte haben beide tatsächlich so eine kleptomanische Art an sich. Das Schlimmste davon liegt aber schon ein paar Jahre zurück. Und ja, Kaufland war sicher auch dabei!

In diesem Sinne: Faust hoch – für Utopia. Danke!