Sa, 4. Nov 2017

Jetzt erst recht dagegen

Anti-Flag im Interview

Nicht nur in Österreich, in immer mehr westlichen Staaten kommen rechtspopulistische Parteien an die Macht. Autoritärer Führungsstil liegt im Trend und Anti-Flag ist seit jeher eine Band, die lautstark dagegen auftritt. Mit ihrem neuen Album ‚American Fall‘ schalten sie erneut in den Angriffsmodus: Kein Pepsi vs Coca Cola, kein geringeres Übel mehr – wie Chris #2 im Interview erklärt.

Ist es unter Präsident Trump einfacher oder schwieriger geworden, eine politische Platte zu schreiben?

Es ist beides. Auf der einen Seite ist es einfacher – es gibt keinen Mangel an Themen. Polarisierende Persönlichkeiten wie Donald Trump kommen oft durch Manipulation an die Macht. Das Rezept: Man geht auf Bevölkerungsgruppen los, denen ohnehin nichts geschenkt wird. Das passiert auch in Deutschland oder Österreich, wenn Flüchtlinge dafür missbraucht werden, Angst zu schüren. Das führt immer zu einem Erstarken der Rechten, das wissen wir. Wir versuchen diese Muster zu erkennen und auf erprobte und erfolgreiche Arten des Aktivismus zurückzugreifen, um Faschismus und Neo-Faschismus zu bekämpfen. Das macht es einfacher. Andererseits ist es unter Trump schwieriger eine politische Punkplatte zu schreiben, weil du dich immer und immer wieder wiederholen musst. Aus künstlerischer Sicht wollen wir das natürlich vermeiden. Leider müssen wir in der jetztigen Situation wieder über Atomkriege sprechen. Ich dachte, Bob Dylan hätte dazu alles gesagt.

Die ‚Masters of War‘ sind wieder im Aufwind …

Wir bewegen uns in die falsche Richtung und darum schreiben wir sehr eindeutige Texte, die manchmal sehr schwarz und weiß sind. Unsere Musik wird deswegen manchmal in eine jugendliche Ecke gestellt. Wenn ein Song ‚Fuck Police Brutality‘ heißt, dann ist die Message klar und manche sagen: ‚Oh, Anti-Flag sagen wieder mal, was jeder weiß. Wer findet Polizeibrutalität schon toll? Niemand.‘ Aber das ist auch nicht der Gedanke, den ich anstoßen will. Wenn wir den Song am Novarock vor größtenteils weißen, männlichen Fans spielen, will ich die Frage aufwerfen: ‚Hey du, straight white male in 2017, der alle Privilegien dieser Welt genießt, wirst du dich mit denen solidarisieren, die jetzt gerade in deinem Land unterdrückt werden? Wirst du dich mit der Queer- und Transgender-Community oder der türkischen Community solidarisieren, wenn sie in Österreich unterdrückt wird?‘

Mit Solidarität gewinnt zurzeit kein Politiker Wahlen. Es scheint, als hätte es die Mehrheit nicht besonders gerne, wenn man sie auf ihre moralische Verantwortung anspricht.

Das ist einer der Gründe, warum ich so gerne auf Festivals spiele. Ich liebe es, wenn ich Leute darauf ansprechen kann und sie sich unwohl fühlen.

Was hat sich von ‚Americam Spring‘ (2015) auf ‚American Fall‘ (2017) geändert?

‚American Spring‘ und ‚American Fall‘ sind miteinander verbunden, doch der Vorgänger ist düsterer. Damals ging es um die nicht genutzte Chance auf Fortschritt, die durch das Momentum der Wahl von Barack Obama da war. Schließlich bekamen wir nicht den Anti-Kriegspräsidenten, für den sich Obama ausgab, sondern einen Drohnenpräsidenten, der das Drohnenprogramm von George W. Bush enorm ausweitete. Wir dachten, wir könnten unter Obama die Probleme des Finanzcrashs von 2008 lösen, doch es wurde kein einziger Wall Street Banker angeklagt, stattdessen wurde die Chicago-Version der Wall Street in Stellung gebracht. Nach all den Enttäuschungen waren wir der Ansicht zu verlieren. Aber das neue Album ‚American Fall‘ ist so optimistisch wie kein Album zuvor. Wir wollen nicht zwei Jahre zurück zu Barack Obama, wir wollen nicht 16 Jahre zurück zu Bill Clinton, wir wollen etwas viel besseres. Nicht „Pepsi vs. Coca Cola“, kein geringeres Übel mehr.

Gleichzeitig muss man feststellen, dass Teile der Bevölkerung nach rechts driften. In den USA steht die Antifa enorm unter Kritik.

Wir wollen mit unserer Musik ein Gefühl der Gemeinsamkeit erzeugen. Viele fühlen sich isoliert und allein und die Zeitungen und Fernsehsender fördern nicht gerade die Empathiefähigkeit, stattdessen bekommt man zwischen den Zeilen mitgeteilt, dass man nicht gut genug ist. Das macht Leute für Propaganda anfällig. Zu deinem Punkt, ja, es ist frustrierend: Die Leute, die behaupten, nicht alle Cops seien schlecht, sind die selben, die sagen, alle Antifa-Demonstranten seien gewalttätig. Donald Trump sah „Gewalt auf beiden Seiten“, nachdem Heather Heyer getötet wurde, obwohl sie friedlich gegen Neonazis demonstriert hat. Oder die US-Botschafterin in Kanada will „beiden Seiten“ zum Klimawandel Gehör schenken. Sie erzählen unglaublich dreiste Lügen und lenken davon ab, dass sie zur extremen Rechten gehören, den Umweltschutz deregulieren und großen Konzernen Steuererleichterungen in Milliardenhöhe beschaffen wollen. Auch in der Linken oder in der Punkrock-Community sehe ich eher die Bereitschaft, sich gegenseitig zu kritisieren als gegen die Mächtigen zu kämpfen.

Siehst du dich mehr als Anarchist oder willst du einen starken Wohlfahrtsstaat?

Ich bin grundsätzlich skeptisch gegenüber Poltikern und Menschen in Machtpositionen, also verstehe ich, dass viele nicht wollen, dass eine Regierung das eigene Leben reguliert, weil es absolut möglich ist, dass das nichts Positives bedeutet. Doch ich war viel in Europa unterwegs, besonders in den skandinavischen Ländern ist das Vertrauen in die Regierung hoch. Beispiel Schusswaffenregulierung. Auch in Australien haben sie nach einem Massenmord Schusswaffen strikt reguliert und seitdem gibt es keine Leute mehr, die sich jeden verdammten Tag gegenseitig erschießen. Was ist daran so schwer zu verstehen? An dieser Stelle kommt gerne das Gegenargument, dass die Bevölkerung dann unbewaffnet wäre, wenn die Regierung schwerbewaffnet die Straße runtermarschiert kommt. Diese Angst ist so irrational und dient mehr als Ausrede, um eine Waffe zu besitzen. Diese Frage ist identitätsstiftend geworden. Aber was wollen wir Menschen denn wirklich? Gutes Essen, ein Dach über den Kopf und die Möglichkeit zu lieben. Ich verstehe, dass ich das möglicherweise nicht mehr erlebe, aber ich glaube daran, dass es passieren wird.

Die Hoffnung stirbt zuletzt!