Ich war auch schon mit anderen im Bett

Innenleben #59

Ich sitze im Flieger nach Hamburg und platze fast vor LOVE und Aufregung. Das Herz so sehr mit euphorischen Luftsprüngen beschäftigt, dass es mir kaum möglich ist, einen klaren Gedanken zu fassen. „Trinkst du auch eine Bloody Mary?“ – „Jaja.“ Auf meinem Hirn hängt das Schild HEUTE RUHETAG, während ich mit Sebastian, den ich vor zwei (!) Wochen kennengelernt habe, vollkommen wie in Watte gepackt gen Norden fliege.

Sag mal, hast du so etwas Verrücktes schon einmal gemacht? Also mit jemandem, den du gerade erst kennengelernt hast, in eine fremde Stadt zu fliegen?“ Der kleine Popstar-Autobiograf in mir schmunzelt: „Ja, hab‘ ich tatsächlich. In Indien verbrachte ich mal eine stürmische Nacht mit Toni. Es war mein letzter Abend in Delhi. Sex im Hostel! Kannst du dir das vorstellen?! Na, jedenfalls trafen wir uns kurz darauf für eine Woche in London.“… hätte ich vielleicht antworten können. Tue ich aber nicht und knarze nur ein leises „Nein“ heraus, während ich an meiner Bloody Mary nuckel. Brrr, grässliches Gesöff. Irgendwie echt nicht so ohne, wie wenig mein Kopf funktioniert, wenn ich verliebt bin. Meilenweit entfernt von Coolness und Gelassenheit. Nur offenes Herz, reines Gefühl und Hach hoch zehn – jede Zelle meines Körpers romantisch-naiv darauf konzentriert, all diese endorphingeschwängerten Momente vollkommen wahrzunehmen. Nur hier und jetzt. Daher ist auch die Formulierung EIN FREUND in meinem Sprachschatz gerade omnipräsent. Nicht nur meinen Eltern („Ah i muass Schluss mochn, äh a Fraind kummt glei.“), sondern eben gerade DIESEM Freund gegenüber: Die Band? Mit einem Freund gesehen. / Barcelona? Mit einem Freund besucht. / Das Buch? Von einem Freund.

Sebastian ist da anders: „Mein erster Spanienurlaub war damals mit meiner Ex. Also nicht die eine Ex, sondern die Ex-Ex-Ex. Ich wurde am zweiten Tag krank. Immerhin hatten wir am ersten Tag zweimal Sex. Hat sich ausgezahlt.“ Ähm ja … aber das will doch niemand hören, oder? Ich zumindest nicht. Gut, es erschüttert mich nun nicht bis auf die Grundfesten, weil hey, das hatte ich auch alles schon einmal. Ich finde es nur einfach vollkommen irrelevant für den Moment. Und das hat nichts mit Lügen oder meiner akuten Konzentrationsverliebtheitsschwäche zu tun. Absolut nicht. In jeder Biografie gibt es nun mal schon ein paar erlebte erste Male. Aber auch zweite und dritte erste Male haben ihre Legitimation – ohne dabei Vergleiche heraufbeschwören oder es als platte Wiederholung werten zu müssen, wo doch gerade alles NEU und EINZIGARTIG ist.
„Nein, ich bin noch nie so übersprungshandlungshaft mit jemandem weggefahren.“ – … und die wahre Geschichte erzähl‘ ich dir bei Gelegenheit in der nächtlichen Seinsvergessenheit, wenn wir uns vielleicht ein bisschen besser kennengelernt, ein, zwei über den Durst getrunken haben und uns dennoch ein letztes Bier am Balkon teilen. Schlussendlich, wie wir seit „How I Met Your Mother“ wissen, gibt es IMMER noch unzählige erste Male, die es gemeinsam zu erleben gibt. Und sei es nur, wenn es das erste Mal ist, dass man vor seinem Partner pinkelt.