Di, 31. Mai 2016

Portland Special

New Hot Music Shit #57

Oh, wäre doch Amerika ein bisschen mehr Portland – die Welt wäre ein friedlicherer Ort, dem kein Präsident Trump droht. Aber das kleine gallische Dorf, Verzeihung, die größte Stadt von Oregon, ist als unbeugsame Trutzburg der Unangepasstheit wohl bis auf Weiteres auf sich allein gestellt: Paradies für Hipster, Nummer eins in Nachhaltigkeit, Vorturner in Sachen Lebensqualität, Mekka der Kreativen und Sammelbecken für Weirdos und Nerds – das ist Portland im Normalzustand. Vegane Foodtrucks? Check. Microbreweries? Check. Third-Wave-Coffeeshops mit schnurrbärtigen Baristas beiderlei Geschlechts? Check und check. Musikszene? Moment, da müssen wir ein bisschen ausholen – denn kaum ein anderer Ort hat so viel zu bieten an außerordentlichen Künstlern. You don’t believe it? Put a bird on it.

Minden

Psychedelische Post-Disco knutscht sphärischen Indie-Soul-Pop

Im eher alltäglichen Kansas im Staat Missouri gründen Casey Burge, Lia Gist, James Taylor, Evan Houston und Ryan Johnson eine Band, um sich bald darauf ins fabulbunte Land Oz davonzumachen – öha, falsche Storyline. Nach Portland ziehen diese schönen jungen Menschen, um dort noch schillernder als sämtliche Munchkins, Feenköniginnen und Hexen herumzulaufen: Metalliclila Ganzkörperanzüge, türkise Kaftane, Disney-Kostüme und blauer Lidschatten gehören zur Grundausstattung der Band. Soweit, so normal – in Portland fällt man da nicht weiter auf. Herausragen aus der Masse kann die Truppe dank ihres fabelhaften Sounds – ein geschmeidiger, homogener Klangkörper ist diese Band, die alle Spielarten des psychedelischen Understatements beherrscht. Perfekte 70er Zitate verweben sich mühelos mit moderner Ästhetik, unaufgeregt und abgehangen. Ein heißes Versprechen, ein zu scharfes Date – und doch, im besten Sinne, immer ein bisschen unterkühlt und gerissen berechnet. Elegante Musik zum „guten-Sex-haben“.
Für Fans von: Blood Orange, Of Montreal
Link: www.mindenband.com
Aktuelle LP: ‚Exposé‘

Sama Dams

Post-Post-Rock- und Avantgarde-Pop-Symbiose

Entschuldigung! Wenn du, werte/r Leser/in ein zartes Gemüt hast, dann überspring bitte den nächsten Satz. Leck mich am Arsch, sind die geil! So, jetzt können alle Feingeister gerne wieder dazukommen, denn gerade für die ist das hier ein ausgesprochen gefundenes Fressen. Sama Dams ist eine Band, die keine Euphemismen um ihre Person brauchen – die drei Musiker, die Jeans und T-Shirt bevorzugen, sorgen für aufgeklappte Münder dank exaltierter Brachialsongs und perfekt beherrschten Instrumenten. Sie sind eine Art Anti-Muse – wo bei Matthew Bellamy und Co die Laserblitze zucken, spielt Sam Adams ein orgiastisches Solo auf seiner Gitarre. Seine Frau Lisa scheint zwanzig Finger zu haben, wenn sie Tasten oder Ukulele bearbeitet und dabei eine Grazie wie ein Reh im Morgentau an den Tag legt. Ehepaar Adams teilt sich die Sangesarbeit und das ist fantastisch. Ah, nicht zu vergessen Schlagzeuger Chris Hermsen: Ein junger Gott des Jazz und leisen Hardcore am Werk. Diese Band braucht mehr Platz!
Für Fans von: The Notwist, Radiohead
Link: www.sama-dams.com
Aktuelle LP: ‚Comfort In Doubt‘

Thanks

Dark Soul und Westküstenrock

Manche Stimmen drücken sich dir ins Ohr wie ein kleiner Auffahrunfall: Jimi Hendrix hat so ein Organ, das edle Naturgewalt ausstrahlt. Okay, erst kurz klären – die Sängerin der Band Thanks heißt Hendrix mit Nachnamen, den ‚Jimi‘ hat sie mit elf als Spitznamen verpasst bekommen. So wird sie seitdem genannt – klar, dass sie bei der Musik landen musste. Sechs Leute stapeln sich auf der Bühne, wenn Thanks ihren düster aufgeladenen, erdigen, souligen Rock spielen: klassische Besetzung plus Keyboard und Cello. Frontfrau Jimi sieht aus wie eine coole Version von Jessica Simpson, klingt nach Adele mit Tattoos und Wüstenboots und hat eine erfreulich dramatische Bühnenpräsenz. Drew, Andrew, Noah, Lily, Garett und Jimi wissen genau, was sie mit ihren Instrumenten zu tun haben und lassen Bilder aus Roadmovies quer durch die Wüste im Kopf entstehen. Würde auch gut in einen rockigeren Film von David Lynch passen – ein bisschen morbid, sehr geheimnisvoll. Dabei aber immer auf den Punkt und wohlkomponiert.
Für Fans von: PJ Harvey, Juliette and the Licks
Link: www.wearethanksband.com
Aktuelle LP: ‚No Mercy On The Mountain‘

Talkative

Experimenteller Noise Rock mit Hitpotential

Weil Cody und Casunn in Eugene, Oregon, zwar ein superbilliges, riesiges Haus mit genug Platz für einen Proberaum hatten, es dort aber keine Jobs zum sich-übers-Wasser-halten und auch keine Musikszene gab, zogen die beiden kurzer Hand ins gelobte Portland, um dort Talkative durch Chad 1 und Chad 2 zu komplettieren. Die vier Burschen legen sich gewaltig und dennoch unangestrengt und mit so viel Freude ins Zeug, dass es mächtig Spaß macht, sich ins Universum des freakigen Vierers einzuhören. Experimentell, spacig, hibbelig, dronig, drogig: Talkative öffnet Türen, von denen man gar nicht wusste, dass sie direkt von der Küche ins All führen. Tempowechsel und verhallter, nach hinten gemischter Gesang transportieren das Hirn in die späten Neunziger und frühen Zweitausender zurück – der gute Emo wie Built To Spill kommt hoch. Aber neue Koordinaten gibt es auch: Tame Impala oder Animal Collective werden genannt. Versteht man. Nicht umsonst im Finale der 2015er Poll für die Best New Band Portlands.
Für Fans von: Liars, Tame Impala
Link:
www.facebook.com/talkativesound
Aktueller Release:
‚One Eyed Love‘

SPOT ON AUSTRIA: Vague

Kraut’n’Rock

Was wie die Neuauflage eines französischen Schwarzweißfilms klingt, ist vielmehr ein junges Bandprojekt aus Wien, das nun endlich sein Debütalbum ‚In The Meantime‘ via Siluh Records veröffentlicht: Vague schwanken gitarrenverliebt zwischen düsteren Postpunkanleihen und der Hochblüte von New Wave der 80er Jahre hin und her. Eine eigentümliche Vertrautheit liegt in den Riffs, die von sanfter, tiefer Basslinie und zurückgehaltenen Drumsets begleitet gerne in eine scheinbar improvisierte Jamsession abdriften. Retro Sound, Nostalgie. Shoegaze-Versatzstücke, gehüllt in den Denkmantel Marke ‚unaufgeregt charmanter Postrock‘. Im Vorfeld der Albumveröffentlichung haben die fünf jungen Musiker schon auf zwei Europatourneen ihre EPs ‚Television‘ und ‚Tempdays‘ vorgestellt. Wie gut diese live funktioniert haben, kann man nun auf ‚In The Meantime‘ hören, wo die gesammelten Erfahrungen oft mit frech experimenteller Krautrockanleihe finalisiert worden sind.
Für Fans von: Diiv, Joy Division
Link: www.facebook.com/vague1000
Aktuelle LP: ‚In The Meantime‘

SPOT ON AUSTRIA: Like Elephants

Sound an, Stress aus

Ein Oneironaut ist ein Traumseefahrer. Jemand, der seine Träume bewusst steuern kann. Auch das Konzept des Debütalbums der oberösterreichischen Band Like Elephants erinnert an eine Reise durch unser aller Unterbewusstsein: Verhallte Gitarrenriffs, eine ganz dem aktuellen Dreampop-Hype entsprechende, verträumt- verwaschene Soundästhetik. Aber nicht nur der Sound auch die Lyrics orientieren sich an der Sehnsucht nach Abgeschiedenheit, einer Art Loslassen, Abkapseln, weg vom Stress, hinein in die Ruhe. Traurige aber schöne Melodien, gedämpfte Stimme, ein ja, traumartiges Gefuhl, das sich von Anfang bis Ende durchzieht. Dass der letzte Song ‚Wake Up‘ heißt, ist der schöne Turn dieser Platte. Eigentlich will man ja aber gar nicht aufwachen.
Für Fans von: Slow Dive, Wild Nothing
Link: www.facebook.com/likeelephants
Aktuelle LP: ‚Oneironaut‘