Do, 19. Mai 2016

Vollkommen unvollkommen

Joey Cape im Interview

Was sich auf der letzten und wohl düstersten Platte seiner Band Lagwagon bereits abgezeichnet hat, führt Mastermind Joey Cape alleine weiter: Auch sein Soloalbum ‚Stitch Puppy‘ verkündet nicht unbedingt Sonnenschein, vermittelt aber eine ganz eigene Schönheit und Düsterheit. Verdammt traurig, doch verdammt wunderbar! Man merkt sofort: Dieser Mann hat Herz und Verstand, trägt Punkrock tief in der Brust und zeigt, dass großartige Melodien laut wie leise taugen. VOLUME hat mit dem Californiapunk-Veteran über seinen wertvollsten Besitz, Gefühlsausbrüche und unvollkommene Kunst nachgedacht.

Wieso ist Joey Cape Bullshit?

Perfekt, diese Frage gefällt mir! Es ist für mich immer ein bisschen seltsam, meinen echten Namen auf einem T-Shirt oder einer Platte zu sehen. Ich habe immer in Bands gespielt … es ist total normal, dass man Bandnamen auf ein T-Shirt druckt. Aber meinen richtigen Namen? Als ich aber tatsächlich T-Shirts für mein Solo-Projekt brauchte, konnte ich das einfach nicht so ernst nehmen. „Joey Cape is bullshit“ ist einfach ein Scherz! Der Satz macht die ganze Selbstvermarktung weniger befremdlich für mich. Das gefällt mir!

Stitch Puppy, die namengebende Puppe für dein aktuelles Soloalbum, ist von viktorianischen Trauerpuppen inspiriert. Was betrauert sie?

Meine Tochter und meine Frau haben diese Puppe für mich gebastelt – kurz nachdem wir Tony Sly verloren haben. Das war eine sehr schwierige Zeit – für viele Menschen, mich eingeschlossen. Meine Tochter hat Stitch Puppy designed und beim Nähen geholfen. Ich liebe diese Puppe! Sie strahlt so viel Weisheit aus! Gleichzeitig wirkt es so, als hätte sie viel durchgemacht. Sie hält Blumen in der Hand und trägt einen feinen Anzug – so als würde sie auf jemanden warten, der nie auftaucht. Ich finde Stitch Puppy sehr inspirierend. Diese Puppe ist vermutlich das Wertvollste, das ich besitze.

Ist Stitch Puppy mit dir auf Tour?

Ich habe sie einmal als Glücksbringer mit auf Tour genommen – ein schwerer Fehler! Sie wurde in dem ganzen Durcheinander ein bisschen beschädigt. Ich habe extrem aufgepasst, sie ja wieder sicher nach Hause zu bringen und ich werde sie nie wieder mit auf Tour nehmen. Stitch Puppy wohnt jetzt auf meinem Nachttisch.

Wofür stehen die Fäden, die Stitch Puppy zusammenhalten?

Meine Tochter hat der Puppe diesen Namen gegeben – ich finde ihn so unglaublich klug gewählt! Nach schwierigen Zeiten setzten wir uns selbst immer wieder zusammen. Wir nähen uns sozusagen wieder zusammen und machen weiter – wie Stitch Puppy!

Eine schöne Metapher! Welche Fäden halten Joey Cape zusammen?

Oh Mann, manchmal weiß ich das selbst nicht so genau! Das hängt immer davon ab, wie schwierig die Zeiten gerade sind. Es gibt Zeiten, da weiß ich nicht mal genau, ob es Fäden gibt, die stark genug sind, alles zusammenzuhalten. Manchmal muss man aber einfach zusammenbrechen und loslassen. Es ist wie eine blutende Wunde, die heilen muss. Das macht einen stärker! Gut ist es, sich in solchen Zeiten mit Menschen zu umgeben, die einen lieben und die man liebt. Familie und Freunde sind die wichtigsten Fäden, die das Leben zusammenhalten!

Da kann ich nur zustimmen! Im Song „Spill my Guts“ lässt du tief blicken, revidierst aber gleichzeitig dahingehend, dass zu eigentlich nicht so viel preisgeben möchtest. Ein Widerspruch in sich?

Sozusagen, ja! In der Nummer geht es um einen Idealzustand, den man gerne erreichen möchte. Kennst du das Gefühl, wenn du glaubst, zu viel gesagt zu haben? Und dass deine Worte vielleicht negative Auswirkungen auf die Zukunft haben könnten? Die Idee ist, im Idealfall, mein Herz NICHT ständig auszuschütten! Wenn man emotional und aufgewühlt ist, sagt man nämlich vielleicht schnell gemeine Dinge, die man mit klarem Kopf vermutlich nicht gesagt hätte. Ich finde diese Phrase sehr interessant, weil ’spilling‘ eher negativ konnotiert ist. Man könnte es mit einem zähnefletschenden, knurrenden Hund vergleichen. Der Hund reagiert instinktiv. Es ist ganz natürlich für Tiere, aber wir Menschen sollten so weit entwickelt sein, unsere Instinkte und Triebe ein bisschen im Zaum zu haben und nicht gleich zu explodieren.

Das ist aber manchmal gar nicht so leicht …

Für mich ist das beinahe unmöglich! Ich bin echt schrecklich in diesem Zusammenhang! Dennoch habe ich das Gefühl, dass es mit dem Alter besser wird. Wenn der Köper langsamer wird, dann schaltet auch der Geist zurück.

In welchen Momenten denkst du dir, das Leben ist seltsam?

Das ist ein generelles Statement … über das älter werden, über die Dinge, die man durchgemacht hat und die Lehren, die man daraus gezogen hat. Mit dem Alter stumpft man vielleicht ein bisschen ab. An einem gewissen Punkt realisierst man, dass sich das Leben auf seltsame Weise verändert und sich Menschen anders verhalten. Man kann es nicht kontrollieren. Außerdem mag ich einfach den Klang dieser Textzeile: ‚this life is strange, it fades away‘ Das ist mir ganz plötzlich eingefallen. Drum herum habe ich dann den Song gebaut. Mir war bei diesem Album besonders wichtig, nicht zu lange über alles nachzudenken und es möglichst schnell zu schreiben. Sprich: Einfach die ersten Ideen, die mir in den Sinn kamen, zu Liedern zu machen.

Ähnlich funktioniert das ja auch bei deinem Label „One Week Records“. 10 Songs in 7 Tagen aufzunehmen ist ein äußerst motiviertes Zeitlimit …

Definitiv! Mir geht es dabei aber vor allem um die Rückkehr zum Künstler. Ich habe in den letzten Jahrzehnten so viele Alben professionell produziert und wir haben heutzutage so unendlich viele technische Möglichkeiten. Man kann beinahe alles oder jeden gut, ja fast makellos, klingen lassen. Das Problem ist aber, dass es in der Kunst doch um Unvollkommenheit geht. Erst die Unvollkommenheiten machen einen Künstler zu dem, was er ist. Das Zeitlimit ist in diesem Zusammenhang ein Vorteil, denn wir konzentrieren uns in dieser kurzen Zeit nur auf das Wesentliche – müssen wir sogar, denn grundsätzlich ist es nicht die beste Idee 10 Songs in 7 Tage zu quetschen. Es ist echt hart! Wir haben teilweise 120 Stunden pro Woche gearbeitet.

Wie hält man das durch?

Viel Kaffee! Und wenn wir keinen Kaffee mehr trinken konnten, dann sind wir auf Whisky umgestiegen – um wach zu bleiben. Ich bin manchmal vor meinem Computer eingeschlafen und völlig verwirrt aufgewacht, weil die Aufnahme immer noch abgespielt wurde. 

Alles für die Kunst sozusagen! Die Musiker übernachten in der Woche auch bei dir zu Hause. Bringst du ihnen Frühstück ans Bett?

Ihr Zimmer ist von außen verschließbar. Ich sperre sie dort für eine Woche ein, aber ab und zu schmeiße ich natürlich Brot durchs Fenster. Nein, Scherz! Sie wohnen bei mir und meiner Familie, haben ihr eigenes Zimmer im Keller mit eigenem Eingang. Der Zeitplan richtet sich ganz nach ihnen. Wenn sie aufstehen, können sie zu uns nach oben kommen und ich mache ihnen Frühstück.

Fein! Wie findest du deine Künstler? 

Ich habe alle auf Tour gefunden. Nach ihren Shows, die mich teilweise echt überwältigt haben, bin ich einfach zu ihnen gegangen und habe gefragt: ‚Hey, willst du eine Woche bei mir wohnen und ein Album aufnehmen?‘ Bis jetzt hat noch niemand Nein gesagt.

Wir würden auch sofort JA sagen & freuen uns auf ein Wiedersehen samt Band am 13. Juli 2016 in der Arena Wien!

Fotos: Pascal Riesinger