Do, 8. Jan 2015

Schön ökumenisch: Wir gehören zusammen!

New Hot Music Shit #46

Ach jaaaa, es erwischt einen natürlich doch jedes Jahr: Der Geist der Weihnacht hat sich auch in meine musikalischen Synapsen geschlichen und predigt in einem fort, denen zu helfen, die vielleicht ein bissl kleiner sind als andere, oder ein wenig eckig und kantig oder einfach nur komplett anders als die dröge Einheitsmasse, die einen im Fernsehen oder Netz überrollt. Deswegen habe ich hier für Euch ein paar Bands, die großartig klingen, aber womöglich ein bisschen mehr Zuwendung brauchen. Also gehet hin und kauft auch den kleinen Combos die Platten ab, der Musikgott wird euch dafür segnen!

Rhodes

Modern Folk I: So why so sad? Du wirst doch eh ein Star, Bub!

Die Verlockung der Jugendkultur, den Sirenengesang der Popmusik schlechthin verkörpert der junge Herr David Rhodes aus Hitchin, Hertfordshire, UK natürlich: Jung, sehr ansprechend vom Äußeren her, für alle sexuellen Orientierungen offen und obendrein einsam wie ein vollgeschriebenes Tagebuch. Jackpot, sagt die Industrie. Scheißegal, sag ich – Rhodes taugt zum Zuhören und Verlieben, zum Bewundern seiner musikalischen Skills genauso wie zum Erlangen der erlösenden Erkenntnis: „Dem geht’s ja genauso beschissen wie mir, weil meine Liebe im dunkelsten Arsch ist!“ Der Boy hat angeblich bis circa 2013 nix von seinem Glück als Songwriter gewusst, bis er eine Gitarre in die Hand nahm und feststellte, dass er eine steinerweichende Stimme hat. Seitdem schreibt er Songs und tourte bereits mit Laura Marling, Nick Mulvey und London Grammar. Der echoverhallte, dramatische Folk mit Gitarre und Piano passt mit unter die Bettdecke, wird sich aber in Zukunft auf den großen Bühnen rekeln.
Für Fans von: Anthony and the Johnsons, Tim/Jeff Buckley, Coldplay
Link: http://rhodesmusic.co.uk/
Aktuelle EP: „Home“ (Rhodes Music)

From Kid

Modern Folk II: Andere Herkunft, ähnlicher Ansatz

Und während die Karriere eines David Rhodes dank britischer Herkunft und starker Businessstrukturen in Pop-UK bald größere Kreise ziehen dürfte, müssen sich From Kid ein paar Daumen mehr drücken, um Ähnliches zu erreichen – gut, da sie zu zweit sind, sind es immerhin schon vier Finger! Die beiden kommen nämlich aus Chur in der Schweiz. Das ist rein landschaftlich sehr schön – aber um im Musikbiz stattzufinden, nicht ganz so ideal als Sprungbrett. Denn erst mal muss es aus dem Eidgenossenland rausgeschafft werden. Super, dass dafür das die ganze Welt gleich machende Internet zuständig ist – denn hier zählt nur Sound, Bild und Talent. Und davon haben die beiden Burschen jede Menge. Aussehen tun’s, als wären sie in San Francisco aufgewachsen oder würden bei „Girls“ ne Gastrolle haben – lecker! Und ihre Musik hat so gar nichts Provinzielles, no, Sir! Der fantastische Akustik-Elektro-Folk gibt sich gender-ambivalent, was ihn noch geheimnisvoller macht. Hype Machine wurde auch schon alarmiert!
Für Fans von: Rhodes, Simon and Garfunkle, Rufus Wainwright
Link:
http://www.fromkid.ch/
Aktuelle LP: „You Can Have All The Wonders“ (Sony Music Entertainment Switzerland)

Christine And The Queens

Befreiter R’n’B, kontroverser Chanson

Alter Schwede! Das hat mich ganz schön vom Hocker gehauen, was Héloïse Letissier aka Christine and the Queens da am Start hat – die Frau ist gerade mal 26 Jahre alt, ist Tänzerin, Performerin und macht Musik, die mit jeder Popspeerspitze der Welt locker mithalten kann. Héloïse ist aber eine komplett andere Nummer als etwa eine Kate Perry oder eine Riri – sie verkauft erfrischenderweise Mal keinen Billigsex im Klischeefummel. Sie befreit sich von der Last des Geschlechts und will nicht die hübsche Sängerin sein. Sie sagt, sie ist morgens ein Mann und abends ein Mädchen. Das singt sie auch im Song „iT“ und besser hätte es keine Kate Bush hingebracht! Christine and the Queens als Name rührt ebenso an solche Themen – denn drei transgender Londoner Tänzer standen dafür Pate. Und diese ganze echt schwierige Thematik passt in wundervolle R’n’B-Pop-Songs, teilweise auf Französisch. In Frankreich nähert sich Mademoiselle dem Doppel-Platinstatus – wir können nur hoffen, dass der Rest der Welt das genauso sieht.
Für Fans von: Kate Bush, Michael Jackson (zu seiner guten Zeit), Paloma Faith
Link: www.christineandthequeens.com
Aktuelle LP: „Chaleur Humaine“ (Because Music)

Christobal and the Sea

Tropicalia aus Europa

Und noch mal bin ich verzaubert. Diesmal von einem Quartett, das sich in London niedergelassen hat. Engländer ist aber nur einer der vier – Drummer Josh Oldershaw, der als Letzter hinzukam. Mit Querflötistin Leïla Séguin aus Korsika ist noch eine Inselgeborene mit von der Partie. Bassist Alejandro Romero kommt aus Spanien und Gitarrist João Seixas aus Portugal. Gesungen wird mehrheitlich in Englisch, der musikalische Vibe oszilliert zwischen brasilianischen Sixties, psychedelischen Seventies und obskurem, mystischem Voodoo-Pop. Die beste Weltmusik seit LSD vom offiziellen Markt genommen wurde! Ein ähnlicher Effekt wie durch jene eben angesprochene Droge stellt sich auch beim Anschauen der Videos von Christobal and the Sea ein – ein herrlich verspultes Fantasy-Abenteuer mit unglaublich viel Einfallsreichtum und enormer Liebe zum Detail, das mit offensichtlich einfachsten Mitteln gemacht wurde. Achja, produziert hat sie Rusty Santos, der auch für Animal Collective, Panda Bear und Ariel Pink arbeitet.
Für Fans von: The Phenomenal Handclap Band, Os Mutantes, Gilberto Gil
Link: https://www.facebook.com/cristobalandthesea
Aktuelle EP: „Peach Bells“ (City Slang)

Just Another Snake Cult

Sammelsurrealica aus Island

Und noch einmal – bäm, verknallt, begeistert, überrascht bin ich. Ist ja wie Weihnachten! Unter meinem New Hot Shit Baum liegt nun diese Band, die mit Sicherheit eher etwas für den Liebhaber von Rumpelkistenmusik und abgedrehter-doch-liebenswerter Spinnertheit ist als für den Gouteur breitwandiger Mainstream-Produktionen: Just another snake cult, kurz JASC, aus Rekjavik. Þórir Bogason ist der Anführer der selten konstanten Truppe – allein Cousine Helga ist ein beständiges Mitglied im Kollektiv. Die Truppe ist tatsächlich schon seit 2010 am Musizieren und hat neben einer CD auch eine Kassetten-EP und ein digitales Download-Album herausgebracht. In unseren Gefilden kommt jetzt herrlicherweise das Werk „Cupid Makes a Fool of Me“ auf den Gabentisch. Der psychedelische Lo-Fi-Indiepop zeigt allen So-geht-ein-Song-Konventionen den Mittelfinger, ohne Melodie und Appeal einzubüßen. Toll auch das Video zu „Spell of Platonic Reversal“! Bitte in einer Reihe mit Christobal and the Sea anschauen!
Für Fans von: Ariel Pink, Jens Lekman, Still Flying
Link: https://www.facebook.com/justanothersnakecult
Aktuelle LP: „Cupid Makes A Fool Of Me“

Lilabungalow

Abgedreht im Electrojazzpop

Und, ja, liebe Leser, es wird noch weirder. Unterm Strich. Überhalb der anvisierten Linie sieht der Lilabungalow aus Erfurt erst mal ganz stattlich aus: Gitarre, Bass, Schlagzeug, extrem professionelles Muckertum, Support von Herbert Grönemeyer. Aber dann dreht man die Band auf den Rücken und sofort zeigt sie ihren nackten, gesprenkelten Bauch, der ein bisschen obszön wirkt und doch sehr einladend zum Streicheln lockt. Patrick Foellmer, der mit über 1,90 alle überragt, ist der Anti-Napoleon, der die Band ins Leben gerufen hat – und einen kruden-doch-sexy Humor pflegt. Seine Songs mäandern vom R’n’B zum Elektrofunk und werden von seinen Mitmusikern – Dave Daniel am Bass und Reen Kolditz am Schlagzeug – punktgenau umgesetzt. Gipfeln tut das Ganze allerdings in der optischen Umsetzung, ob nun im Video oder auf der Bühne. Ob Paillettenanzüge oder grenzwertige Schülerchoreografien – immer wird liebevoll den Außenseitern gedacht. Es wird überhaupt an alle gedacht und das macht ja wohl echte Liebe aus, oder?
Für Fans von: Nachlader, Jazzkantine, Peter Fox
Link: http://lilabungalow.com
Aktuelle LP: „Peace To Gold“ (Kick The Flame/ Analogsoul/ Broken Silence)