Mo, 19. Mai 2014

Talent, entpupp dich!

New Hot Music Shit #38

Der neue heiße Scheiß ist zuweilen auch mal das Produkt einer längeren Verdauung – erst alle musikalischen Lektionen aufsaugen, den Gitarrenkasten leertrinken, sämtliche mageren Caterings aller Rumpelclubs des Landes leer essen – bis das, was zum Schluss rauskommt, so gewichtig ist, dass keiner mehr seine Existenz leugnen kann. Und ich rede hier nicht von Hundehaufen in der Innenstadt. Die jung-jungen Herrn und die starken Frauen dieser Runde respektive die Bands der Stunde haben entweder schon auf anderen Feldern geackert oder haben sich dank Unterstützung geistesgegenwärtiger Eltern so umfassend auf ihr Schicksal vorbereitet, dass es umso nachhaltiger „Plopp!“ machte, als sie dann endlich da waren mit ihrem Oevre…enjoy!

Ásgeir

Isländisch-melancholischer Elektronik-Folk

Es gab immer einen in der Klasse, der war ein Streber und wusste genau, welche Moves er nach der Matura machen würde, um nach oben zu kommen – einer, der immer übte. Und dann gab es den introvertierten, extrem talentierten Künstlertypen, bei dem man sich sicher war, der würde bestimmt nicht im Dorf bleiben. Ich unterstell dem 21-jährigen Isländer Ásgeir Trausti Einarsson mal, der imaginäre Sohn beider zu sein, mit einer dritten beteiligten Zeugungspartei, die ihm das Genset eines supersexy Hipsterposterboys verpasste. Soweit, so perfekt – fast unerträglich, wenn es nicht auch noch so gut wäre. Echt, smart und – ohje, ich hab auf die Tastatur gesabbert – sexy. Der schüchterne Boy ist in Island bereits eine große Nummer, Björk hat ihn auf ihr Label geholt und US-Musiker John Grant übersetzte seine Platte auf Englisch, um den internationalen Durchbruch dingfest zu machen. Und uns an der Schönheit der Texte teilhaben zu lassen, die teilweise sein 72 jähriger Poeten-Vater schrieb. Die Gene, sag ich doch.

Für Fans von: Everything But The Girl, Sigur Rós, Of Monsters and Men
Link: www.asgeirmusic.com 
aktuelles Album: In The Silence ( One Little Indian)

St. Vincent

Intellektueller Superpop der Renessaince-Guitar-Woman

Oh, aktueller Girl-Crush! Ganz neu ist St. Vincent aka Anie Clark zwar nicht, jedoch hat sie sich grade komplett neu erfunden und steht kurz vor der Übernahme der Weltherrschaft durch Fuzzgitarren-Feedback. Die Multiinstrumentalistin hat schon einige Posten abgearbeitet: War Mitglied von Polyphonic Spree, spielte in Sufjan Stevens Band und hat 2012 mit – ohmeingott – David Byrne von den Talkin Heads „Love this Giant“ gemacht. Ich applaudiere hier. St. Vincent hat alles Feist-im-Guten- und Norah-Jones-im-Schlechten-mäßige abgestreift, zusammen mit dem Naturlook des Mädchens von nebenan. Jetzt sträuben sich ihre dunklen Locken grau gebleicht, sie trägt futuristische Geometriekostüme und macht Pantomimenperformance. Yoko Ono und ich sind so stolz auf sie! Und alle Lady Gaga-Vergleicher können gleich die Klappe halten, denn die Inszenierung ist hier allein Zugabe zur musikalischen Weltgewandheit. Vielschichtiger Pop mit allen Indie-Ecken, gekrönt von St. Vincents verquerem Gitarrenmeisterspiel.

Für Fans von: Kate Bush, Yoko Ono, Janelle Monáe
Link: www.ilovestvincent.com
aktuelle Single: St. Vincent (Repulic Records)

Heidi Happy

Lupenreiner Pop, meist elektrisch und mit Seele

Dem Himmel sei Dank ist das nicht mehr selten: Ein Mädchen macht Musik. Und dann geht es so weiter: Sie spielt in lokalen Bands, schreibt Text und Musik, entscheidet sich für eine Solokarrierre, kriegt dank einem Preisgeld die Möglichkeit, ein Album zu veröffentlichen. Dies wiederum katapultiert sie ins Radio, die junge Frau tourt durch die Lande und wird eine respektable internationale Musikgröße. Was allerdings aufhorchen lässt, ist die Tatsache, dass besagte Heidi aus der Schweiz kommt, aus Luzern, genauer gesagt. Heidi Happy heißt eigentlich Priska Zemp – aber wir wollen uns nicht mit dem Philosophieren über die Künstlernamenswahl aufhalten, der schon ins Alberne rüberhängt und den sie zu Beginn eher als Witz wählte. Weil sie nicht unbedingt damit gerechnet hat, dass ihr der Name dank wachsendem Erfolg angeleimt sein würde. Ist er jetzt aber. Trotzdem nimmt sie vielschichtige Platten auf, die oben rum fröhlich scheinen und unten drunter düster und melancholisch sind.

Für Fans von: Gustav, The Cardigans, Cat Power
Link: www.heidihappy.ch
aktuelles Album: Golden Heart (Little Jig Records)

Sabina

Punk-Marlene Dietrich des Indie

Gotje hat „Sabina“ getweetet, weil er sie so toll findet – und alle waren entzückt. Dabei sollte man diese Frau gar nicht vorstellen müssen. Sie war Sängerin der Brazilien Girls, der New Yorker Indie-Electro-Punky-Weltmusik-Combo, die herrlich unverklemmt gute Laune propagierte. Von Verklemmung kann bei Sabina Margrit Sciubba auch gar keine Rede sein – in Video Nr. 1 „Viva l’amour“ zu ihrem Solo-Debut „Toujours“ ist sie – wenn auch gezeichnet – ganz und gar nackig und in Video Nr. 2, das der Titelsong des Albums ist, reitet sie im Eva-Kostüm auf einem Esel durch die Welt. Dabei zieht sie sich keinesfalls den „Sex sells“-Schuh an bzw. aus, sondern tritt selbstbestimmt auf. Die Frau, die in Rom geboren, im oberbayerischen Berg aufgewachsen ist und nach New York nun in Paris lebt, ist eine legitime Nachfolgerin von Ari Up und den Slits, performerisch wie musikalisch. Funky wie bei ESG geht’s ab, auch mal sixties-affin und zuletzt rauchig wie Marlene Dietrich, die über die Hamburger Docks zieht.

Für Fans von: Lizzy Mercier Descloux, ESG, Architecture in Helsinki
Link: www.samsmithworld.com
aktuelles Album: Toujours (Bar None Records)

Sylvan Esso

Electronic Folk Geek Music

Durham, North Carolina – da kommt also jetzt der Shit her? Ja, in Gestalt von Amelia Randall Meath und Nick Sanborn. Wenn man die Augen zukneift, kann man die beiden mühelos im Cast von „Portlandia“ erblinzeln, mit Wollpullies und weirden Tänzen. Fleisch geworden verkörpern sie das Ideal der Folkie-Elektronik-Bewegung: Gedubsteppte Breakbeats, supermoderne Vintage-Analog-Sounds, lakonische Frauenstimme. Die beiden verstehen sich unbedingt als ganzheitliche Gruppe und verzichten auf die Schublade „Laptoptyp und Frau am Mikro“ – auch wenn sie diese durchaus sehr gut bedienen. Gefahr, eindimensional zu enden, laufen sie nicht – Amelia hat ihre Akustik-Folk-Lektionen bei ihrer Band Mountain Man gelernt und Nick mit Megafaun die Harmonien der Byrds, America und Crosby, Stills & Young studiert. So vorgebildet macht man sich nun unverschämt über die Elektronik-Kiste her. Riesenpotential – und toll: Im Abspann ihres Songs „Coffee“ überkommt sie wieder die Tanzlust und es wird Tommy James’ „Hanky Panky“ zitiert.

Für Fans von: Cocorosie, The XX, Portishead
Link: http://blog.sylvanesso.com/
aktuelle Single: Sylan Esso, am 6.6.2014 (Partisan Records, City Slang)

Horse Thief

New old Americana-Folkrock

Oklahoma! Here we come! Klingt jetzt nicht gerade glamourös. Das dürfte aber die fünf Jungs von Horse Thief wenig scheren – mit Glamour haben sie eh kaum was am Hut, dafür umso mehr mit psychedelischen Hymnen. Ich möchte mich fast zum Ausrufen der neuen Kings Of Leon-in-smart versteigen. Die Buben gingen allesamt brav und emsig auf die Academy of Contemporary Music an der Universität von Zentral-Oklahoma, um dort zum Horse Thief zu werden, der kaskadeske Gitarren und träumerisch-folkrockige Vocals als Handwerkszeug mitbringt. Bevor es dann zu schmalzig werden könnte, kommen Einflüsse wie die Smiths ins Spiel sowie die Tatsache, dass das Management der ebenfalls Oklahomer Flaming Lips die Band präsentiert – und wo Wayne Coyne im Spiel ist, ist eine gute Portion Abwegigkeit nicht weit. Achja – man covert sich bereits gegenseitig auf einer aktuellen Single!

Für Fans von: Fleetfoxes, Kings of Leon, Midlake
Link: www.horsethiefokc.com
aktuelles Album: Fear in Bliss, 14.4. (Bella Union)