Politisch korrekt?

Sophia & Benjamin

Was war das wieder für ein Zirkus die letzten Wochen und Monate. Wahlkampf overload. Was haben die Outfits unserer Politiker mit unserem Interesse an Politik zu tun und wie steht es um das politische (Des)Interesse unseres gutangezogenen Kolumnisten-Doppels Benny und Sophia?

Sophia:

Ich lebe seit einigen Jahren in Deutschland, verfolge aber mit großem Interesse die österreichische Politiklandschaft, einfach weil sie viel unterhaltsamer ist als jene hier. Der Spiegel widmete den Wahlkampf-Absurditäten von Stronach, HC-Man und Co. vor Kurzem einen langen Bericht. Erst aus der Distanz betrachtet wird klar, wie skurril Aktionen wie das Posieren mit nacktem Oberkörper, miese Wahl-Raps, Befürwortung der Todesstrafe für Berufskiller und das Verteilen nachhaltiger Kondome eigentlich sind. Die deutsche Politik ist so langweilig, dass schon das Auftauchen von Angela Merkels „Schland-Kette“ für Aufregung sorgte und dem Schmuckstück umgehend die Ehre eines eigenen Twitter-Accounts zuteil wurde. Nachdem der SPD-Spitzenkandidat Peer Steinbrück in einem Foto-Interview seinen Mittelfinger zeigte, dauerte es keine 5 Minuten und man konnte verfolgen was  #peersfinger gerade so tweetete.
Traditionell ähneln sich die (unausgesprochenen) Kleiderordnungen innerhalb des Parteienspektrums in beiden Ländern stark. Männer tragen Krawatten in den Parteifarben. Selbst wenn Latzhosen tragende Vollbart-Hausmänner mittlerweile rar sind, geht es bei den Grünen bunt und casual zu, gerne mal mit Blume im Haar. Im Gegensatz zur FDP/FPÖ, wo Gelfrisuren neben Perlenohrringen glänzen. Das höchste der Gefühle sind hochgekrempelte Hemdsärmel zum Jubeln – wenn die Ergebnisse es zulassen.
Im Deutschland meiner Kindheit in den 1980er/90er Jahren dominierte Kanzler Helmut Kohl das politische Geschehen, wir nannten ihn liebevoll Birne. Doch wer jeden Tag nur Birnen bekommt, sehnt sich irgendwann nach einem Apfel und so konnte ich es kaum erwarten, als ich 1998 das erste Mal wählen durfte. Gerhard Schröder, der Birne abgelöst hat, blieb zumindest modisch im Gedächtnis, weil er auch in Krisenzeiten gerne die Anzüge des italienischen Luxus-Herrenausstatters Brioni trug. Mein Verhältnis zur Politik änderte sich frappierend, als eine meiner engsten Freundinnen politisch aktiv wurde. Auf einmal waren Politiker nicht mehr nur diese komischen Leute aus dem Fernsehen, sondern Menschen aus meinem sozialen Umfeld und selbst wenn sie bis jetzt nur auf kommunaler Ebene tätig ist, realisierte ich, dass sie etwas bewirken kann mit ihrem Engagement. Das beeindruckt mich! Verwundert sah ich zu, wie sie zerschlissene Jeans und Iro gegen Seidenblusen und Bleistiftröcke eintauschte und lauschte ihr bei Telefonaten mit Parteikollegen, die sie in souveränem Fachjargon spielerisch meisterte. Nebenbei steht ihr der Sexy Secretary Look verdammt gut!
Mir ist vollkommen klar, dass Politik für viele megalangweilig ist, aber trotzdem bin ich ein klarer Verfechter des Wählen-Gehens! So viele Menschen auf der ganzen Welt würden sich wünschen, mitentscheiden zu dürfen, wer sie regiert und gerade wir Mädels haben hart dafür kämpfen müssen, was uns heute selbstverständlich erscheint. Erst seit 1918 dürfen Frauen überhaupt ihre Stimme abgeben! Beim Wählen geht es darum, eine Meinung zu haben und Stellung zu beziehen. Auch wenn wir uns nicht mit Steuerpolitik auskennen, sollte es uns zum Beispiel interessieren, dass alle Menschen unabhängig von ihrer geschlechtlichen Orientierung fair behandelt werden und zukünftige Generationen einen bewohnbaren Planeten vererbt bekommen. Auch wenn der ganze Zirkus fad und lächerlich erscheint – es geht uns etwas an! Und wenn ihr diesmal nicht wählen wart, geht beim nächsten Mal!

Benny

Da ruft mich doch letztens tatsächlich der ORF an und fragt, ob ich denn Zeit hätte für einen – ich zitiere! – „Politiker-Stylecheck“. Worum es denn genau ginge, frage ich und dass ich absolut keine Ahnung von Politik hätte, teile ich mit. Man hüllt sich in Schweigen und versteckt sich hinter kryptischen Aussagen bezüglich Ablauf und Hintergrund, ist jedoch anscheinend nicht abgeschreckt von meiner offen mitgeteilten politischen Unbildung. Bereits eine knappe Stunde später ist mein Atelier gefüllt mit allerlei technischen Gerätschaften, Kameras, Mikrofonen und Praktikantinnen. Man wird verkabelt, Befehle werden gerufen und eine gestresst wirkende Produzentin oder Regisseurin oder Redakteurin (sie scheint jedenfalls eine wichtige Rolle einzunehmen) erklärt mir, ich solle doch bitte „einfach mal ganz natürlich die Klamotten an den Kleiderstangen bewundern“, ganz so „wie sie das immer tun.“
Mein Einwand, ich würde im Grunde relativ selten meine eigenen Entwürfe „ganz natürlich bewundern“, wird fröhlich lachend beiseite geschoben, als hätte ich einen wirklich vortrefflichen Kalauer gelandet. Mittlerweile bin ich übrigens auch schon darüber informiert, dass dem ganzen Wirbel die noch am selben Abend stattfindende Ausstrahlung eines kleinen Specials zur bevorstehenden Wahl zugrunde liegt, das sich im Rahmen der allabendlichen und bundesweit gesendeten Nachrichtensendung des ORF ereignet. Man wolle auch jüngeres Publikum ansprechen und unsere Politiker „auch einmal von einem anderen Aspekt begutachten“. Und hier käme dann wohl ich ins Spiel. Ich solle doch mal so „ganz natürlich – aber gerne bissig!“ in die laufende Kamera sagen, was ich denn vom Kleidungsstil eines gewissen Herren Spindelegger hielte. Gar nichts halte ich davon. Ich kenne diese Person nämlich leider nicht. Auch zu den Herr- und Damschaften Glawischnigg, Faymann und Bucher habe ich zu meinem großen Bedauern kein Bild im Kopf parat. Betretenes Schweigen im Raum entsteht und ich versuche mich beinahe schon hysterisch zu rechtfertigen, ich hätte ja vorgewarnt! Man wusste Bescheid über mein Unwissen und Desinteresse! Allem Anschein nach hatte man jedoch nicht damit gerechnet, dass ich wohl tatsächlich einer der wenigen Ignoranten sei, die den eigenen Kanzler nicht kennen.
Der Dreh müsse nun trotzdem in den Kasten, man habe keine Zeit zu verlieren und wir hätten also auf Plan B auszuweichen. Zwei der ORF-Praktikantinnen werden mir zur Seite gestellt, das iPad des Kabelträgers dient als Bildvorlage und schon wird aus dem „ganz natürlichen Politiker-Stylecheck“ ein unheimlich unangenehmes Schmierentheater, in dessen Verlauf mir die mittlerweile als „Fashion-Expertinnen“ getarnten Praktikantinnen die Namen der auf dem iPad angezeigten Politiker einflüstern und ich voller Inbrunst Sachen in die Kamera rufe wie: „Frank Stronach sieht aus wie ein Zuhälter, aber der Anzug sitzt!“ Meine Mutter wird stolz auf mich sein.

Zu meiner Verteidigung muss ich hier aber noch meine nicht-österreichische Staatsbürgerschaft anmerken und hinzufügen, dass ich sehr wohl gerade noch in der Lage bin, wirklich wichtige Leute wie zum Beispiel Angela Merkel oder auch Barack Obama auf Bildern oder in Fernsehbeiträgen zu erkennen. Die österreichische Politiklandschaft und mein Interesse an ihr hält sich jedoch wahrlich in Grenzen beziehungsweise ist de facto nicht vorhanden.
Wobei: Mit etwa 15 Jahren hatte ich ein paarmal Treffen der Grünalternativen Jugend Steyr/OÖ besucht – mit einem dort sehr aktiven Mitglied wollte ich unbedingt in trauter Zweisamkeit ein paar Molotov-Cocktails mixen oder was auch immer man dort so tut. Nach gelungener Mission hatte ich jedoch keine Gründe mehr, weiteren Treffen beizuwohnen. Obwohl ich wirklich herzlich empfangen wurde und auch die veganen Snacks waren immer sehr gut!