Sei mal pompös!

Sophia & Benjamin

‚Glamour hat nichts damit zu tun, wie viel Geld du auf der Bank hast, auch als ich keinen Penny besaß, war ich verdammt glamourös!‘. Dieses Zitat stammt angeblich von Lady Gaga, aber abgesehen von der Tatsache, dass der Popstar mittlerweile Multimillionärin ist und sie sich solche Aussagen genauso wie ihre Looks gerne mal von unbekannten Underground-Künstlern „ausleiht“, stimmt die Kernaussage. Wir alle können unser Leben mit einfachsten Mitteln aufregender gestalten oder wie Liberace einst sagte: ‚Everything looks better with glitter on it!‘

Sophia:

Glamour bezeichnete ursprünglich eine Verhexung, die den Betroffenen dazu bewegen sollte, an etwas Bestimmtes zu glauben oder jemandem zu verfallen. Eine Art Liebeszauber.
Heutzutage verstehen wir darunter das prunkvolle Auftreten oder die Attitüde einer Person genauso wie die Beschaffenheit einer Sache. Sowohl ein Individuum, eine Veranstaltung oder ein Kleidungsstück kann glamourös sein, jedoch lässt sich dieses Prädikat nur schwer eingrenzen oder festlegen. Ebenso wie die sprichwörtliche Schönheit kommt auch der Wille zum Glamour von innen. Eine grazile Handhaltung macht den Lebensmitteleinkauf zum Society Event (immer die Ananas am längsten Blättchen greifen und wie eine Clutch fröhlich schwenken, eine Kirsche übers Ohr gehängt), eine neckische Geste gepaart mit der passenden Ansage zaubert Hollywood Flair an den Würstelstand (um Mitternacht statt eines Käsekrainer-Hotdogs einen Wodka mit Essiggurkerl zu bestellen ist nicht nur kreativer, sondern auch wunderbar exzentrisch und magenfreundlich). Der Wurstverkäufer wird denken „De hot an Schuss!“ oder aber zutiefst beeindruckt sein über so viel Eleganz und Stil.
Wer diesen Habitus verinnerlicht hat, sollte umgehend dafür sorgen, dass das äußere Erscheinungsbild auch in alle Richtungen strahlt. Wichtig ist nicht der Preis eines Accessoires, sondern seine Wirkung: Auch ein früh errötetes Ahornblatt kann an einem schwülen Spätsommertag als Fächer dienen, aus 20 Mullbinden kann ein körperbetontes Pendant von einem Hervé-Léger-Kleid gefertigt werden und frisch aufgeschnittene rote Rüben machen Lippen und Wangen in der Not genauso rot wie der Dior Addict #Fatale.
Mit einer ordentlichen Portion Kreativität wird aus jedem Fetzen ein Look. Ein weiterer Aspekt des Alltags-Glamours ist es, sich ab und zu mal was Exklusives zu gönnen. Ein Schluck Champagner. Eine Auster. Eine Feige. Ein Kügelchen Kaviar. Hier muss die Devise lauten: Qualität, nicht Quantität. Wie traurig wäre das Dasein, wenn ich nur wüsste wie ich mich nach 10 Litern Bier aus der Bier-Bong fühle, aber noch nie das unvergleichliche Prickeln des französischen Schaumweins im Bauchnabel gespürt hätte?
Ist es nicht tausendmal glamouröser ohne einen Cent in der Tasche an der Côte d’Azur zu lustwandeln als mit 500 Euro im Bauchbeutel über den Ballermann zu kriechen? Worum es wirklich geht ist der Wagemut, die Abenteuerlust, der Wind in den Haaren… Wer nach Venedig fährt, nur um dort auf der Piazza San Marco einen Espresso zu trinken, zahlt zwar eine Menge Benzingeld, wird diesen Tag aber sicher stärker in Erinnerung behalten als viele andere.
Wieso nicht einmal im Monat in das unerschwingliche Sterne-Lokal einkehren und nur einen Nachtisch bestellen? Der Service ist toll, die Tischdecken blütenweiß und ich fühle mich danach tausendmal besser, als hätte ich vor dem Fernseher einen Liter-Becher Eiscreme ausgelöffelt. Mit kleinem Budget ein glamouröses Leben zu führen ist, wie wenn du dir die Schokomandeln von der Geburtstagstorte der verwöhnten Kinder pickst, auf dem rauschendsten Fest, zu welchem du je eingeladen wurdest – dem Leben!

Benny

Manchen Menschen wird einfach schon von Geburt an ein Hang zu Glamour und Melodramatik in die Wiege gelegt. Wächst man dann aber – wie ich – als Junge in der oberösterreichischen Provinz und zudem noch als Kind osteuropäischer Einwanderereltern auf, hat man es nicht immer leicht. Und hiermit will ich nicht sagen, dass ich ob meines schon damals exzentrischen Auftretens, meiner Vorliebe für klassische Musik und schlechte amerikanische Seifenopern, sowie meiner Abneigung gegen Fußball, Dorffeste und Dialekte, sonderlich viele gesellschaftliche Probleme gehabt hätte und deswegen eine Art unfreiwilliges Außenseiterleben geführt hätte.
Im Gegenteil! Hätte ich Interesse an sozialen Kontakten gezeigt, wäre ich doch relativ unproblematisch in die Dorfjugendgemeinschaft zu integrieren gewesen. Alleine der Umstand, dass ich keinerlei Intentionen zeigte, mich mit dem Großteil der anderen Kinder einzulassen, förderte mein Einzelgänger Dasein. Wobei – ganz alleine war ich dann doch nicht. Meine erste, beste und – bis zu meinem Umzug nach Wien auch einzige – Freundin hieß tatsächlich Anna Maria Magdalena Grundner-Ebenstädt, war damals bereits um die 80 Jahre alt und die wohl glamouröseste Dame, der ich je begegnen durfte. Frau Grundner-Ebenstädt bewohnte eine etwas heruntergekommene Villa am Ortsrand, war stets (wohl unabsichtlich) wie eine Drag Queen geschminkt, trug täglich ein schickes Kostüm – von dessen Modell sie sieben Versionen in sieben Farben besaß; für jeden Tag der Woche eines – und Sonntags zusätzlich einen gigantischen Hut mit Federn, mit dem sie sich zur Sonntagsmesse gerne in die erste Reihe zu setzen pflegte, um dem Rest der Gemeinde die Sicht auf den predigenden Vater zu nehmen.
Ich erinnere mich nicht mehr, unter welchen Umständen ich Frau Grundner-Ebenstädt kennengelernt hatte. Ich weiß nur noch, dass bald täglich nach der Schule anstatt nach Hause, sofort in den Schutz der Grundner-Eberstädt’schen Villa lief, um dort gemeinsam mit der Dame zuerst die jeweils aktuellste Folge der Serie Reich & Schön gespannt zu verfolgen und im Anschluss daran bei Tee, Streuselkuchen und musikalischer Untermalung durch die hauseigene imposante Plattensammlung, die gesehenen Szenen zu diskutieren und darüber zu spekulieren, ob Sally Spectra denn nun tatsächlich in den Mord von Brooke Forrester verwickelt gewesen sein könnte, oder nicht. Auf diese Weise verbrachte ich jahrelang beinahe jeden meiner Nachmittage. Manchmal zeigte mir Frau Grundner-Ebenstädt alte Fotoalben mit Bildern aus ihrem eindrucksvollen Leben als Frau eines ranghohen Militärs. Jung und schön war sie, in Pelze und edle Kleider gehüllt, immer an der Seite ihres attraktiven Mannes in seiner respekteinflößenden Uniform. Sie erzählte von Reisen nach Italien und Südfrankreich, Wohnungen in Paris und Zürich, ein Palazzo in Venedig und eben die kleine Ferienvilla für Wochenendaufenthalte am Land. Diese sei ihr nach Kriegsende und dem Tod ihres Mannes als einziger Besitz geblieben und selbst darum musste sie kämpfen. Worte fielen, die ich nicht verstand. Enteignung. Die Amerikaner und die Engländer wären schuld gewesen. Die Russen vielleicht auch. Ich habe nie nachgefragt und war damals noch zu jung, um politische Zusammenhänge herstellen zu können, zu wollen. Und heute? Frau Grundner-Ebenstädt ist schon lange tot, bei ihrer Beerdigung war ich nicht. Ich werde sie als das in Erinnerung behalten, was sie für mich war: eine Freundin, mit der ich meine Leidenschaft für Dramatik, Kitsch und Glamour teilen konnte. Jung und Alt auf der Suche nach den Schokomandeln.