Süchtig nach Fortsetzung

Sophia & Benjamin

Serienjunkies. So nennt sich eine beliebte Stream-Seite im Internet, auf der man alles anschauen kann, was es da so gibt. Fernsehserie ist laut Definition eine Filmproduktion über eine mindestens zwei Folgen umfassende, abgeschlossene oder nicht abgeschlossene, fiktionale oder auch an Tatsachen orientierte Handlung im Fernsehen. Für die meisten Menschen ist sie aber viel mehr: Lebenselixier, Suchtstoff, Identifikationsfläche und Alltagsflucht. Was sagen unsere Kolumnisten Benny und Sophia dazu?

Sophia:

Neulich war ich auf einer Geburtstagsfeier und nach einer Stunde Party Small Talk war mir klar, dass ich die Einzige im Raum bin, die weder Game Of Thrones noch Mad Men, Boardwalk Empire geschweige denn Girls gesehen hatte. Alle um mich herum fachsimpelten, diskutierten über ihre Lieblingscharaktere und unverhoffte Handlungsstränge und kicherten über Zitate und Insider-Witze. Ich kam mir vor wie eine aussätzige Außerirdische. Wie hatte ich so lange im meinem vertrauten sozialen Geflecht existieren können, ohne aufzufliegen mit einem so offensichtlichen Desinteresse an serieller Unterhaltung?
Das letzte Mal, dass ich eine ganze Staffel einer Serie, nämlich Californication, gekuckt hatte, muss 2008 gewesen sein, als der Arzt mir nach einer Bein-OP absolute Bettruhe verordnete. Ich glaube, ich habe einfach nicht die Aufmerksamkeitsspanne für Serien und auch das Regelmäßige, diese Montags-um-20.15-Uhr-Mentalität behagt mir nicht.
Klar kann man Serien heute jederzeit im Netz oder auf DVD kucken, aber ich sehe mir lieber einen guten Film an und nach eineinhalb Stunden kann ich eh nicht mehr ruhig sitzen und springe wieder durch die Gegend wie ein junges Reh auf WickDayMed. Meine Ex-Mitbewohnerin hat sich mal an einem Wochenende alle 7 Staffeln Dexter reingezogen, unter dem Vorwand der Recherche für eine Seminararbeit. Währenddessen schlief sie unter anderem auf einer Tafel Trüffelschokolade ein und fiel nach dem Genuss einer ganzen Tube Kondensmilch der Marke Milchmädchen vorübergehend in ein Zuckerkoma. Sie war süchtig. Serien können auf unterschiedlichste Weise eine Abhängigkeit erzeugen, entweder durch einen (unterbrochenen) Spannungsbogen oder durch ein familiäres Verhältnis oder eine sexuelle Anziehung zu den Protagonisten. Irgendwie bin ich dagegen vollkommen immun.
Auch wenn ich an meine Kindheit und Teenie-Zeit zurückdenke, kann ich mich nur an sehr wenige Serien erinnern. Eine davon war Beverly Hills 90210 – meine Freundin Steffi aus dem Nachbarhaus nahm jede Folge auf VHS auf und hortete ganze Staffeln, zusammen mit mehreren Jahrgängen der Bravo, im Kasten ihres aufklappbaren Teenie-Bettes. Heute würde sie dazu vermutlich eine Festplatte benutzen. Zwar kuckte ich mit, doch nicht weil es mich brennend interessierte, schlicht weil ich halt viel Zeit mit ihr verbrachte. Sie war in Brandon verliebt, Melli aus dem dritten Stock in Dylan und weil ich genötigt wurde, mir auch einen Boy auszusuchen, wählte ich David Silver, der heute im wahren Leben mit Megan Fox verheiratet ist und seine muskulösen Oberarme mit auffällig hässlichen Tätowierungen entstellt hat.
Meine letzte erzwungene Serienerfahrung habe ich erst kürzlich gemacht. Eine Freundin band mich fest, fütterte mich mit Kondensmilch bis ich mich nicht mehr bewegen konnte und verabreichte mir die erste Staffel von Glee. Ungelogen. Noch ein paar solcher Einheiten und ich kann wieder auf Geburtstagsfeiern gehen.

Benny

Eigentlich hatte ich vor, von meiner Verliebtheit in Mario von den „Kickers“ zu berichten und vom irrsinnigen Wahn meiner Mutter, mir allen Ernstes Sailormoon und Mila Superstar verbieten zu wollen. Dann wollte ich noch über How I Met Your Mother und Two And A Half Men lästern. Und über New Girl. Aber mich beschäftigt eine Serie, beziehungsweise der Hype darum, gerade viel mehr:
Kann mir bitte mal einer sagen, worum es eigentlich bei diesem Game of Thrones geht? Aufgrund der Massenhysterie um diese Serie habe ich mich dazu herabgelassen, meine aktuellen Serienlieblinge und täglichen Pausenfüller, wie Danni Lowinski, Modern Family und Parks and Recreation, ein bisschen ruhen zu lassen und mir – um dem Mysterium auf die Spur zu kommen – die ersten beiden Staffeln der HBO-Serie innerhalb kürzestmöglicher Zeit einzuverleiben. Irgendetwas musste doch dahinter sein, dachte ich mir. Jetzt, nach zwanzig Episoden (die aktuell laufende dritte Staffel erspare ich mir), bin ich verständnisloser ob des Hypes, um „GoT“ – wie Insider und echte Fans es bestimmt nennen – denn zuvor. Ich verstehe diese Serie nicht!
Es fällt unglaublich schwer, der Handlung zu folgen! Oder verfällt tatsächlich gerade die halbe westliche Welt in einen Kult um eine Serie, deren Handlung daraus besteht, dass etwa dreißig verschiedene langhaarige bärtige Männer mit grauenvoll angestrengtem britischen Akzent (oder was soll das sein?), die alle komplett gleich aussehen und anscheinend auch alle gleich heißen und sich allein durch den Nachnamen (jedoch auch beim besten Willen nicht äußerlich!) unterscheiden lassen, einander Briefraben schicken, um danach mit Schwertern auf den jeweils Nächsten loszugehen?
Zwischendurch gibt es auch noch Handlungsstränge mit Frauen und Kindern, die ebenso alle gleich aussehen, bei denen allerdings zumindest ab und zu die Frisur und/oder Haarfarbe variiert. Irgendwann kommen auch Kinder vor, die entweder zum König gekrönt oder entführt werden. Achja, und dann gibt es da noch den Kleinwüchsigen, der mit einer Prostituieren (die immerhin von der tollen Sibel Kekilli gespielt wird!) etwas am Laufen hat. Und nicht zu vergessen die blonde hübsche Dame, die sich wie Xena kleidet und Drachen züchtet. Die hat allerdings allem Anschein nach nichts mit dem Rest der Handlung gemein, denn sie hat eine ganz eigene Story irgendwo in einer Wüste oder so, durch die sie mit einem muskulösen aber geschminkten Indianer reist, auf der Suche nach was auch immer.
Spoiler Alert: der Indianer stirbt. Genau wie alle anderen Hauptdarsteller übrigens auch, die dann aber einfach durch neue Charaktere ersetzt werden, die zuvor nie vorgekommen sind und auch nicht wirklich eingeführt oder vorgestellt werden. Damit muss man sich wohl abfinden. Im Grunde auch egal, sehen sowieso alle gleich aus. Ich würde an dieser Stelle gerne ein kleines Gewinnspiel ausrufen: Derjenige, der es schafft, mir die Handlung und die Charaktere kürzestmöglich (am besten per Mail an die redaktion@volume.at) und doch verständlich zu erklären, bekommt … ein Geschenk. Welches genau, muss ich mir noch überlegen. Bis dahin widme ich mich wieder Serien, die ich verstehe. Guten Tag.