Do, 7. Mrz 2013

Bruce Kulick im Interview

Die ungeschminkte Wahrheit

Er trug zwar nie die legendäre Schminke im Gesicht, war aber trotzdem der längst dienende Gitarrist der KISStory: Bruce Kulick. VOLUME hat ihn zuhause in Los Angeles heimgesucht und ganze zwei Stunden zum exklusiven Gespräch gebeten – über seine heutige Beziehung zur Rockinstitution KISS, die merkwürdige Freundschaft mit dem Anarcho Nikki Sixx von Mötley Crüe und seine dunkle Seite.

Fotos: Markus Zahradnik / Bruce Kulick

Bruce, wenn du dir heute Fotos aus deiner Anfangszeit bei KISS in den Achtzigern ansiehst, was geht dir durch den Kopf? Allein die Haare …

(Er grinst, Freundin Lisa lacht daneben laut auf) Oh mein Gott! Natürlich sieht das nach dem heutigen Modeverständnis fürchterlich aus. Einiges von dem Zeug, das ich anhatte, finde ich heute sogar schockierend. Aber es hat perfekt in die Zeit gepasst.

Zur ‚Crazy Nights‘-Tour 1987 hast du so einen argen Anzug mit Strahlenwarnzeichen getragen. Gibt’s den noch?

Nein, aber ich kenne den Fan, der ihn heute besitzt. Ich habe von den Bühnenoutfits nur wenige für mich aufgehoben. Wenn du das eine Tour lang getragen hast, willst du es nicht zuhause in deinem Kleiderkasten hängen haben, wirklich nicht (lacht). Das meiste Zeug haben Fans oder es wurde für wohltätige Zwecke versteigert.

Wie ist heute deine Beziehung zur Band?

Ich habe KISS Mitte der Neunziger nicht im Streit verlassen wie manch andere vor oder nach mir. Und ich bin ja immer noch Teil der KISS-Familie. Ich habe heute Fans, die noch gar nicht auf der Welt waren, als ich in der Band war. Gene würde wahrscheinlich sagen (imitiert perfekt Gene Simmons Stimme): ‚Wir haben Respekt voreinander.‘

Du machst ihn gut nach …

(lacht) Ich kenne ihn auch lang genug.

Darfst du KISS kritisieren?

Natürlich. Dieses ‚Monster‘-Buch zum Beispiel, das im Zuge des neuen Albums rausgekommen ist, finde ich komplett unnötig. Über einen Meter groß, 20 Kilo schwer, 4.250 Dollar! Welcher Fan kann sich das leisten? So etwas kann nur Gene einfallen. Außerdem wurde die ungeschminkte Ära komplett ausgelassen, also auch meine Jahre in der Band.

Kannst du dich an den Moment 1984 erinnern, als du gespürt hast, dass du der nächste Gitarrist von KISS wirst?

Gene rief mich an und meinte ‚Schneide ab jetzt deine Haare nicht mehr‘. Da war’s dann irgendwie klar.

Viele Fans wissen nicht, dass du bei KISS nicht nur Gitarre, sondern auch Bass gespielt hast…

Ja, auf ‚Forever‘ zum Beispiel. Später auch noch beim Album ‚Psycho Circus‘, obwohl ich da schon gar nicht mehr in der Band war. Meine Freundin meint, ich wäre mit Bass sogar noch attraktiver (Sie grinst und boxt ihm in die Seite).

Los Angeles ist die Rockstarzentrale der Welt. Wenn Du unterwegs bist, mit wem triffst du dich?

Fans haben da oft eine falsche Vorstellung. Von wegen nächtelange Gelage am Sunset Strip und zum Sonnenaufgang jammen, oben beim Hollywood Sign. Tatsächlich bin ich jeden Tag um 8 Uhr morgens im Büro und arbeite. Mit Eric (Singer, aktueller KISS-Drummer) verbindet mich eine lange Freundschaft, gestern waren wir gemeinsam auf einer Automesse. Joe Bonamassa treffe ich manchmal, letztens war auch Eric Clapton dabei. Mein engster Freund ist aber Nikki Sixx von Mötley Crüe.

Nikki Sixx und Bruce Kulick gehen auf einen Café? Sorry, aber das ist eine sehr komische Vorstellung…

(lacht) Begonnen hat es in der schwierigen Zeit seines Drogenentzugs – da stand meine Tür immer offen für ihn. Heute feiern wir mit unseren Familien zusammen Thanksgiving und Weihnachten. Und wenn ich in meinem Archiv ein altes Magazin aus den Achtzigern finde mit einer Story über ihn, dann scanne ich die, schick sie ihm und schreibe dazu: „Dude, schau dir das an. Wie du aussiehst!“ Und er schreibt zurück: ‚Verdammt, daran hab ich keine Erinnerung‘. Das ist immer ganz lustig.

Du wirst immer als der ruhige, introvertierte Teil der KISStory wahrgenommen. Hat Bruce Kulick auch eine dunkle Seite?

Die hat doch jeder! Ich bin in einer neurotischen, jüdischen New Yorker Familie als jüngster von drei Brüdern aufgewachsen. Mein älterer Bruder Bob hatte immer schon diese extrovertierte Attitüde mit viel Rock’n’Roll. Ich nicht. Er war der ‚Killer‘, ich der ‚Pretty Boy‘. Ich war auch nie der, der auf die Bühne gestiegen ist und gesagt hat ‚Das wird MEIN Gig!‘. Ich dachte nur ‚Warum bin ich so weit weg von zuhause?‘. Klar habe ich ab und zu Gras geraucht, aber Alkohol hat mich nie interessiert. Ich war in den wilden Achtzigern ein Außerirdischer auf dem Sunset Boulevard.

Ganz ehrlich: Hast du dich je als KISS geschminkt?

Nein, weder zuhause zum Ausprobieren noch zu Halloween. Wessen Gesicht hätte ich mir denn schminken sollen? Das von Ace? (lacht)

Klingt nach der ungeschminkten Wahrheit. Danke für das ehrliche und offene Gespräch!