Ein bisschen Frieden, ein bisschen Sonne...

Sophia & Benjamin

Bald ist es wieder so weit, der Eurovision Song Contest findet im schwedischen Malmö statt. Dieses Unterhaltungs-Großereignis, das an Trash-Affinität kaum zu überbieten ist, wirtschaftlich schwachen Ländern zum Tourismus-Aufschwung verhilft und ausgewachsene (schwule) Männer zu Tränen rührt. Ein Veranstaltung wie Rosinen – entweder man liebt sie oder man verabscheut sie!

Benjamin


Fixtermin und einer meiner persönlichen Höhepunkte des Jahres ist seit meiner frühesten Kindheit der Eurovision Song Contest – ich erinnere mich sogar noch an die Zeit, in der die elegante französische Bezeichnung Grand Prix Eurovision de la Chanson geläufig war. Jahr für Jahr durfte ich am Abend der Ausstrahlung länger aufbleiben und Jahr für Jahr gab es dazu Vanilleeis mit Himbeersauce und Mandelsplittern.
Meine ältesten Erinnerungen an die Show selbst – die Jahre davor war es doch eher das Abenteuer des Lange-aufbleiben-und-Eis-essen-Dürfens – verbinde ich mit dem Song Contest des Jahres 1999, ausgetragen in Jerusalem. Schon damals war der kleine Hippie in mir fasziniert, begeistert und ganz aufgeregt über den Gedanken, dass alle Grenzen, Konflikte und Kriege für ein paar Stunden vergessen werden konnten (Israel und die beim ESC seit jeher sehr aktiven ehemaligen jugoslawischen Länder verband ich damals nur mit grauenvollen Bildern aus den Nachrichten von Krieg und Elend) und man zusammen einen Abend lang schöne Lieder singen, dabei tolle Kostüme tragen und sich einfach nur mal ein bisschen freuen durfte. Außerdem war ich damals ein wenig verliebt in die Interpretin des österreichischen Beitrags “Reflection“ – Bobbie Singer. Ihre großen lieben Augen und das freundliche Lächeln gepaart mit einem der wohl süßesten Lieder aller Zeiten haben bis heute großen Eindruck bei mir hinterlassen und lassen mich bisweilen immer noch manchmal in Nostalgie schwelgen.
Im selben Jahr trat für Deutschland die Gruppe Sürpriz mit dem Song „Reise nach Jerusalem“ an – ein Auftritt, der mir ebenfalls bis heute unvergessen bleibt und dessen wohl ungewollte Groteske für mich (neben der Idee der friedlich vereinten Welt) den Reiz und überhaupt einfach alles ausmacht, was der Eurovision Song Contest darstellt: Einen Spiegel unserer (Multi-)Kultur, ein Panoptikum musikalischer und lyrischer Ergüsse über deren Qualität man eigentlich nicht streiten dürfte und alles in allem ein ganz großartig gelungenes Aufgebot an Eurotrash vom Feinsten. Und das meine ich durchaus und äußerst positiv! Der ESC ist viel mehr als nur ein unterhaltsames Großereignis, als ein einfacher Liederwettbewerb! Er nimmt natürlich und im Besonderen eine bedeutende weltkulturelle und teilweise auch –politische Rolle ein. Wir als europäische Kulturgemeinschaft haben die Chance, uns der Welt zu präsentieren. Und das tun wir auch – und wie!  
Die Amerikaner haben den Super Bowl –  große dicke Männer in rüstungsähnlichen Outfits, die einander offensichtlich vollkommen willkürlich anrempeln und über ein großes Feld laufen – irgendwann unterbrochen von Madonna, Justin Timberlake, Beyoncé oder ähnlich wichtigen Superstars der aktuellen Popmusikbranche. 

Wir haben den  Song Contest – schrill, farbenfroh, ein bisschen laut, ein bisschen schräg, meistens sehr kitschig. Nicht immer perfekt und nur selten künstlerisch wirklich anspruchsvoll. Und doch: Jedes Jahr erfreuen sich hunderte Millionen Menschen an den Melodien, Texten, Outfits, Shows der einzelnen Teilnehmer. Für ein paar Stunden sind wir nicht mehr nur Österreicher oder Deutsche oder Türken oder, oder, oder. Wir sind eine große Familie, die ein buntes Fest feiert, an dessen Ende die entscheidenden Punkte dann irgendwie doch an uns alle gehen. 12 points go to Europe.

Sophia:

In erster Linie assoziiere ich mit dem Song Contest Glitzer-Outfits, üble Gassenhauer-Popsongs und jede Menge Spezialeffekte, welche die antretenden Kandidaten nutzen, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Es ist wie bei der Talentschau an der Schule, jeder versucht den anderen zu übertrumpfen, noch ein bisschen verrückter, lauter oder schöner zu sein. Das Unterhaltsamste sind aber die Stereotypen, die sich dabei rauskristallisieren und mit großer Verlässlichkeit jahrein jahraus wieder auftauchen: Der Schnulzen-Posterboy, die Diva mit dem wallenden Gewand (Windmaschine), die Boygroup, das gemischte Doppel (Abba lässt grüßen), die Pop-Lolita oder der/das Bursche/Mädel von nebenan.

Manchmal werden auch alternde Stars ausgegraben, deren Karriere bereits im Keller ist. Die Regeln wurden gefühlte eine Million mal geändert, eine Weile durften die Teilnehmer nur in ihrer Muttersprache singen, mittlerweile ist Englisch für alle wieder erlaubt. Es gibt komplizierte Vorauswahlverfahren und jedes Teilnehmerland hat seine eigene Prozedur um den Kandidaten zu bestimmen, der es vertreten darf. Alles nicht so wichtig, was zählt ist alleine das, was passiert, wenn die Eurovision-Melodie verklungen ist.
Ein Auftritt jagt den nächsten, dazwischen lustig gemeinte Einspieler, die Aufschluss über den Entwicklungsstand der Fähigkeiten der Animations-Grafiker des Austragungslandes geben.  Dann die Punktevergabe, vorgetragen von überwitzigen Moderatoren aus den jeweiligen Gebieten, gerne bibbernd vor einem der nationalen Wahrzeichen platziert (oder vor dem Green Screen geschummelt). Am Ende darf der Gewinner noch einmal seinen Song vortragen, während sich die Wirtschaftsbosse des geehrten Landes schon einmal Gedanken darüber machen, wie viele Hotels sie zusätzlich bauen werden, um aus dem Besucheransturm im nächsten Jahr möglichst viel Profit zu schlagen.

Die absolute Durchschaubarkeit und Berechenbarkeit der Veranstaltung wirkt auf mich irrsinnig beruhigend, gleichzeitig bleibt es bei aller Gesetzmäßigkeit spannend, weil es mir nur selten gelingt den Sieger vorherzusehen. Ich schaue den Eurovision Song Contest am liebsten im Kreise von ein paar (schwulen/Kitsch-begeisterten/naturwaachen/Hobbymusiker-) Freunden, dazu werden Schnittchen gereicht und drauf los gelästert. Ähnlich wie bei der Oscar-Verleihung, nur dass die Protagonisten meistens kein Schwein kennt.

1998 kuckte ich das erste Mal bewusst zu, da hieß das Ganze noch Grand Prix Eurovision de la Chanson. Die Israelitin Dana International gewann mit dem Disco-Knaller Viva la Diva. Ich war begeistert von dem Bühnenoutfit für das eine ganze Papageien-Familie ihre Federn gelassen hat. Dana war transsexuell, ihre Teilnahme ein mittelschwerer Skandal, ihr Sieg ein Triumph im Kampf für Rechte sexueller Minderheiten. Mir kommen heute noch Tränen der Rührung wenn ich mir den Auftritt im Internet ansehe. Selten haben solche Siege auch politische Bedeutung, aber manchmal gelingt es  Zeichen zu setzen. Um die 125 Millionen Zuschauer sitzen weltweit vor den Bildschirmen oder schwingen beim Public Viewing ihre Fähnchen. Gar nicht mal so wenig.
Ich werde auch dieses Jahr wieder einer davon sein und genussvoll in meinen Käsecracker beißen wenn es heißt: „Austria – zero points, L’Autriche – zéro points…“.