Mach dich nackig

Sophia Brown

Nackt ist das neue Schwarz. Bloggermädchen zeigen ihre Brüste her um sich ein paar Euro und Clicks dazu zu verdienen, Möchtegern-Promis ziehen sich für den Playboy, die FHM oder gegen Pelz aus und der Durchschnittsbürger lässt in der Sauna oder beim meditativen Wellness-Floating die Hüllen fallen. Wie fühlt sich Nacktsein an, so außerhalb der eigenen vier Wände? Zum Beispiel vor dem Wiener Riesenrad? Ich hab das mal ausprobiert…

Als Kinder waren wir alle gerne nackt. In der von Psychologen als phallische Phase bezeichneten Zeit zwischen dem 3. und 7. Lebensjahr entdecken wir unsere eigenen Geschlechtsorgane und neigen zu Narzissmus und Exhibitionismus. Ich habe mich damals besonders gerne ausgezogen wenn wir bei meinen Großeltern zu Besuch waren – Fotos aus dem Familienalbum belegen das. Die Erwachsenen lächeln beschämt, ich hüpfe mit einem breiten Grinsen durchs Bild.
Je älter ich wurde, desto stärker nahm das Schamgefühl zu, mit einsetzender Pubertät und den damit einhergehenden körperlichen Veränderungen kam es zu einer Entfremdung vom nackten Spiegelbild. Ich wurde gschamig.

Das änderte sich erst, als ich mich vor potentiellen Sexualpartner zu entblößen begann und feststellte, dass sie nicht verschreckt wegrannten.
Aber vor wildfremden Menschen? Höchstens in der Sauna, wo es dunkel ist oder im Dampfbad, wo die Luft den Blick stark eindämmt. Bis mich dann eine befreundete Fotografin fragte, ob ich an ihrem Kunstprojekt teilnehmen würde, bei dem sie Frauen an öffentlichen Plätzen in Wien nackt portraitierte.  Ich sagte ja. Ich wollte mir selbst beweisen, dass ich das durchziehen würde. Zum Ort sollte ich einen persönlichen Bezug haben. So entschied ich mich für eines der berühmtesten Wahrzeichen Wiens, das Riesenrad.
Zum einen hatte ich eine Partyreihe in der Fluc Wanne veranstaltet und oft bei Sonnenaufgang am Ende einer wilden Nacht den Blick auf den Prater genossen, andererseits mag ich die grüne Lunge Wiens genauso gerne wie den angrenzenden Würstelprater.
Wir trafen uns an einem eisigen Aprilmorgen zum Sonnenaufgang, ich war schrecklich nervös, ließ mir aber nichts anmerken. Es war Donnerstag und vereinzelt torkelten Betrunkene durch die Gegend. Ein altes Mütterlein, das aussah wie die böse Hexe aus Hänsel&Gretel sammelte mit einem spitzen Stöckchen Müll auf der Praterwiese. Ein junger Bursch kam des Weges, voll wie zehn Seemänner und begann uns lallend mit Fragen zu löchern. Noch war ich angezogen, aber bald würde das Licht perfekt sein. Wir versuchten ihn abzuwimmeln, er blieb.

Die Fotografin gab den Befehl zur Entblößung, ich tat wie mir befohlen, es war fürchterlich kalt. Ich rannte barfuß über die taunasse Wiese und warf mich in Pose, stolz und bibbernd. Aus der Ferne grölte eine Truppe Müllmänner, das alte Mütterlein fing an sich zu bekreuzigen und mich lauthals zu verfluchen und der Bursch glotzte. Ich fühlte mich extrem unwohl, gleichzeitig verdammt mutig. Ich ignorierte lächelnd alle Anwesenden und nach 4 Minuten war alles vorbei. Ich schlüpfte in mein Gewand und bekam bei McDonalds eine heiße Schokolade spendiert.
Einige Monate später wurden die Fotos dann im Rahmen einer öffentlichen  Ausstellung präsentiert. Ich blieb zuhause. Ich musste nicht zusehen wie andere meine Nacktheit musterten. Aber ich bin froh, dass ich es getan habe. Einmal ist aber auch genug, lieber gehe ich wieder in die Sauna, da ist es auch wärmer…