Di, 18. Dez 2012

Mumford & Sons im Feature

Durch die Decke

Sie sind nicht besonders schick und auch keine angesagten Hipster, dafür aber schrecklich erfolgreich: Mumford & Sons – vier Londoner Burschen, die seit 2009 mit ihrem sehr eingängigen Folk-Rock durch die Decken gehen, die Welt erobern und Melodien für Millionen schreiben, ohne dabei abzuheben. Gerade ist eine Deluxe Version ihres aktuellen Albums ‚Babel‘ mit Konzertmitschnitten und Tourtagebuch erschienen, am 7. März 2013 rocken Marcus Mumford und seine Wegbegleiter das ausverkaufte Wiener Gasometer. Eine Bestandaufnahme von VOLUME mit Bandzitaten.

Planen kann man das nicht, so etwas passiert einfach. Die Rede ist vom ausufernden Erfolg von Mumford & Sons. Das Quartett aus London hat in den letzten Jahren mehr Platten verkauft als der megaerfolgreiche Kinderverzahrer Justin Bieber und obendrauf noch zwei Grammys gewonnen. Die Briten sind auch in den Vereinigten Staaten bereits eine große Nummer – davon kann Robbie Williams nur träumen. Das Phänomen Mumford & Sons kann man nur schwer erklären. Warum füllt ausgerechnet eine Band aus London mit Folksongs, die sich tief in den USA verwurzelten Stilrichtungen wie Bluegrass und Country bedienen, ganze Stadien? Liegt es vielleicht daran, dass Menschen in Zeiten von internationalen Krisen wieder erdige, ‚hausgemachte‘ Musik hören wollen? Oder ist ihnen einfach der überkandidelte Pop einer Lady Gaga zu perfekt für das eigene unperfekte Leben?

Klar ist hingegen, dass Marcus Mumford, Winston Marshall, Ted Dwane und Ben Lovett auf alle Fälle nicht den (klischeehaften) Bildern von Superstars entsprechen. Keine Spur von gestriegelten Frisuren oder sündteuren Designeranzügen. Stattdessen hängt das ausgewaschene Holzfällerhemd aus der Hose, die Cowboy-Stiefel sind ausgelatscht, die Haare nicht gewaschen und der Bart macht sowieso, was er will. Kurzum: Die vier Mumfords sehen aus, als wären sie gerade aus dem Bett gefallen bzw. unter einer Brücke aufgewacht. Seit die Band rund um den 25jährigen Sänger Marcus Mumford die Bühnen britischer Pubs hinter sich gelassen hat, ist sie pausenlos ‚on the road‘. Mumford & Sons waren beinahe überall, spielten in Indien genauso wie in den USA oder Europa ihre Shows. Die zahlreichen Auftritte sind im Netz dank Smartphones auch filmisch gut dokumentiert: Da umarmen sich Menschen, wird vor Freude gesprungen, gelacht, geschmust oder der verflossenen Liebe hinterher geträumt.

Vermisst hat Frontmann Marcus Mumford während der Tournee nur seine Freunde und Familie. Diese Sehnsucht nach vertrauten Gesichtern und den Küssen der Liebsten sind aber immer auch eines: Quelle und Antrieb für neue Songs. ‚Reminder‘ nennt sich zum Beispiel so eine emotionale Momentaufnahme auf dem aktuellen Album ‚Babel‘: ‚I’ve been traveling oh so long‘, singt er darin im weinerlichen Tonfall und schickt ein ‚Oh, my love don’t fade away‘ hinter her. Für ihn ist das Schreiben der Songs auch „eine sehr private Angelegenheit. Man schreibt die Lieder meistens in einem intimen, privaten Moment und lässt danach die ganze Welt teilhaben.‘

Dieser kometenhafte Erfolg der Band ist im Zeitalter von schwindenden CD-Absätzen und dem Niedergang der Musikindustrie eine absolute Ausnahmeerscheinung. Das haben auch Branchenkenner in diesem Ausmaß nicht erwartet. Die Sprache der Zahlen ist aber unmissverständlich: Ihr Debütalbum ‚Sigh No More‘ ging bisher rund acht Millionen Mal über den Ladentisch – inklusive Downloads. Die Platten sind das eine, ihre Auftritte das andere. Wer die vier Mumfords in ihrem Element erleben will, muss eines ihrer Konzerte besuchen. Für die Show in Österreich nächstes Jahr ist es aber leider schon zu spät: Das Konzert im Wiener Gasometer am 7. März war binnen Stunden ausverkauft.

Der Zuspruch zu dieser Musik war aber nicht immer so enorm. Folk galt lange Zeit als nerdig, verkopft und eigenbrötlerisch. Die Songs waren für Menschen bestimmt, die mit Hornbrille, Selbstzweifel und einer melancholischen Grundstimmung durch die Welt irren. Der Fliesenleger oder die Bürokauffrau von nebenan konnten damit eher weniger anfangen. Und dann kamen Mumford & Sons – aus dem Nichts – und spielten sich langsam, aber nachhaltig in die Herzen unzähliger Menschen. Es liegt am cleveren, ehrlichen und harmonieseligen Folk der Band. Romantik kombiniert mit Sehnsucht und einer christlich geprägten Bodenständigkeit – dafür stehen die vier Buben aus der Mittelschicht.

‚Ehrlichkeit ist uns beim Texten sehr wichtig. Wir versuchen in unseren Lyrics Dinge, die uns beschäftigen, ganz offen an- und auszusprechen‘, sagt Marcus Mumford. Dass dabei der Gefühlsbogen oftmals überspannt wird, ist Teil des Konzepts. Es kommt nur auf die richtige Inszenierung an. Und so werden auch auf ‚Babel‘ wieder alle Register gezogen. Wird es dringlich, ziehen die Mumfords das Tempo an und jagen die Gitarre (‚Whispers In The Dark‘) durch den Verstärker. Oder der einprägsame Banjo Sound wird mit einem Effektgerät verunreinigt. Ansonsten gibt man sich wieder leidenschaftlich und bedacht – einfach menschlich.
 

Es gibt die Feuerzeugballade ‚Hopeless Wanderer‘, bei der Marcus Mumford zur lieblichen Pianomelodie die Akustik-Gitarre aus vollem Herzen schrubbt und von langen Nächten und dem Streunerleben zu berichten weiß. Die Liebste – in seinem Fall die Schauspielerin Carey Hannah Mulligan – möge ihn doch bitte verstehen und für immer festhalten, denn er sei ein hoffnungsloser Wandersmann. Schluchz! Als Weltverbesserer sehen sich Mumford & Sons aber nicht. Sie halten lieber den Ball flach, wollen nicht überheblich wirken, sondern bloß Musik machen und Spaß dabei haben. Bei all dieser Zurückhaltung kann die Band jedoch eines nicht abstreiten – und zwar, dass sie in ihren Texten eine gewisse Wertevorstellung vermitteln. Was stets betont wird, sind Ehrlichkeit, Treue, Tradition und Verlässlichkeit. Vielleicht steckt dahinter auch die Erklärung für ihren Erfolg. Setzt die Jugend in Krisenzeiten und Arbeitslosigkeit doch wieder verstärkt auf solche Werte. Hat man schon keine Arbeit, so darf man wenigstens hoffen. Und dazu versprechen einem Mumford & Sons das Blaue vom Himmel: ‚These days of dust which we’ve known will blow away with this new sun‘. Na dann: Ab durch die Wolkendecke!